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duktivkraft begleitenden Akkumulation erhält und verewigt die Arbeit daher in stets neuer Form einen
stets schwellenden Kapitalwert.[60] Diese Naturkraft der Arbeit erscheint als Selbsterhaltungskraft des
[59] Friedrich Engels, "Lage der arbeitenden Klasse in England", p.20.[1*]
[60] Die klassische Ökonomie hat wegen mangelhafter Analyse des Arbeits- und Verwertungs-
prozesses dies wichtige Moment der Reproduktion nie ordentlich begriffen, wie man z.B. bei Ri-
cardo sehn kann. Er sagt z.B.: Welches immer der Wechsel der Produktivkraft, "eine Million
Menschen produziert in den Fabriken stets denselben Wert." Dies richtig, wenn Extension und
Intensivgrad ihrer Arbeit gegeben. Es verhindert aber nicht, und Ricardo übersieht dies in gewis-
sen Schlußfolgerungen, daß eine Million Menschen sehr verschiedne Massen von Produktions-
mitteln, bei verschiedner Produikvkraft ihrer Arbeit, in Produkt verwandelt, daher sehr verschied-
ne Wertmassen in ihrem Produkt erhält, die von ihr gelieferten Produktenwerte also sehr ver-
schieden sind. Ricardo hat, nebenbei bemerkt, an jenem Beispiel umsonst versucht, dem J. B. Say
den Unterschied zwischen Gebrauchswert (den er hier wealth nennt, stofflichen Reichtum) und
Tauschwert klarzumachen. Say antwortet: "Was die Schwierigkeit anbelangt, die Ricardo hervor-
hebt, wenn er sagt, daß bei besseren Verfahren eine Million Menschen zwei- bis dreimal soviel
Reichtümer hervorbringen kann, ohne mehr Wert zu erzeugen, so verschwindet diese Schwierig-
keit, wenn man, wie erforderlich, die Produktion als einen Austausch ansieht, bei dem man die
produktiven Dienste seiner Arbeit, seiner Erde und seiner Kapitalien hergibt, um Produkte zu er-
halten. Durch diese produktiven Dienste erhalten wir nämlich alle Produkte, die
[1*] Siehe Band 2 unserer Ausgabe, S.244
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Kapitals, dem sie einverleibt ist, ganz wie ihre gesellschaftlichen Produktivkräfte als seine Eigenschaften,
und wie die beständige Aneignung der Mehrarbeit durch den Kapitalisten als beständige Selbstverwertung
des Kapitals. Alle Kräfte der Arbeit projekieren sich als Kräfte des Kapitals, wie alle Wertformen der
Ware als Formen des Geldes.
es auf der Welt gibt ... Also ... sind wir um so reicher, haben unsere produktiven Dienste um so
größeren Wert, je größer die Menge nützlicher Dinge ist, die sie bei dem Produktion genannten
Austausch einbringen. (J. B. Say, "Lettres à M. Malthus", Paris 1820, p.168, 169.) Die "difficul-
té"[1*] – sie existiert für ihn, nicht für Ricardo – , die Say erklären soll, ist die: Warum vermehrt
sich nicht der Wert der Gebrauchswerte, wenn ihre Quantität infolge gesteigerter Produktivkraft
der Arbeit wächst? Antwort: Die Schwierigkeit wird dadurch gelöst, daß man den Gebrauchswert
gefälligst Tauschwert nennt. Tauschwert ist ein Ding, das one way or another[2*] mit Austausch
zusammenhängt. Man nenne also die Produktion einen "Austausch" von Arbeit und Produkti-
onsmitteln gegen das Produkt, und es ist klar wie Wasser, daß man um so mehr Tauschwert erält,
je mehr Gebrauchswert einem die Produktion liefert. In andren Worten: Je mehr Gebrauchswerte,
z.B. Strümpfe, ein Arbeitstag dem Strumpffabrikanten liefert, desto reicher ist er an Strümpfen.
Plötzlich fällt Say jedoch ein, daß "mit der größern Quantität" der Strümpfe ihr "Preis" (der na-
türlich nichts mit dem Tauschwert zu tun hat) fällt, "weil die Konkurrenz sie" (die Produzenten)
"zwingt, die Produkte für das hinzugeben, was sie sie kosten". Aber wo denn kommt der Profit
her, wenn der Kapitalist die Waren zu dem Preis verkauft, den sie ihm kosten? Doch never
mind[3*]. Say erklärt, daß infolge der gesteigerten Produktivität jeder im Ersatz für dasselbe
Äquivalent jetzt zwei statt früher ein Paar Strümpfe usw.\ erhält. Das Resultat, wobei er anlangt,
ist grade der Satz Ricardos, den er widerlegen wollte. Nach dieser gewaltigen Denkanstrengung
apostrophiert er Malthus triumphierend mit den Worten: "Das ist, mein Herr, die gut begründete
Lehre, ohne die es, so erkläre ich, nicht möglich ist, die schwierigsten Fragen der politischen
Ökonomie zu lösen, insbesondere, wie es kommt, daß eine Nation reicher werden kann, wenn ih-
re Produkte sich im Wert vermindern, obwohl der Reichtum Wert darstellt." (l.c. p.170.) Ein eng-
lischer Ökonom bemerkt über ähnliche Kunststücke in Says "Lettres": "Diese affektierten Manie-
ren zu schwatzen (those affected ways of talking) bilden im Ganzen das, was Herr Say seine
Doktrin zu nennen beliebt und die er dem Malthus ans Herz legt, zu Hertford zu lehren, wie das
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schon "dans plusieurs parties de l'Europe"[4*] geschehe. Er sagt: "Wenn Sie an allen diesen Be-
hauptungen einen paradoxen Charakter finden, betrachten Sie die Dinge, die sie ausdrücken, und
ich wage zu glauben, daß sie Ihnen sehr einfach und sehr vernünftig vorkonunen werden." Zwei-
felsohne, und zugleich werden sie infolge desselben Prozesses alles andere, nur nicht original
oder wichtig erscheinen." ("An Inquiry into those Principles respecting the Nature of Dernand
etc.", p.110.)
[1*] "Schwierigkeit" – [2*] so oder so – [3*] das macht nichts – [4*] "in mehreren Teilen Euro-
pas"
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Mit dem Wachstum des Kapitals wächst die Differenz zwischen angewandtem und konsumiertem Kapi-
tal. In andren Worten: Es wächst die Wert- und Stoffmasse der Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Maschi-
nerie, Drainierungsröhren, Arbeitsvieh, Apparate jeder Art, die während längerer oder kürzerer Perioden,
in beständig wiederholten Produktionsprozessen, ihrem ganzen Umfang nach funktionieren oder zur Er-
zielung bestimmter Nutzeffekte dienen, während sie nur allmählich verschleißen, daher ihren Wert nur
stückweis verlieren, also auch nur stückweis auf das Produkt übertragen. Im Verhältnis, worin diese Ar-
beitsmittel als Produktbildner dienen, ohne dem Produkt Wert zuzusetzen, also ganz angewandt, aber nur
teilweis konsumiert werden, leisten sie, wie früher erwähnt, denselben Gratisdienst wie Naturkräfte, Was-
ser, Dampf, Luft, Elektrizität usw. Dieser Gratisdienst der vergangnen Arbeit, wenn ergriffen und beseelt
von der lebendigen Arbeit, akkumuliert mit der wachsenden Stufenleiter der Akkumulation.
Da die vergangne Arbeit sich stets in Kapital verkleidet, d.h. das Passivum der Arbeit von A, B, C usw. in
das Aktivum des Nichtarbeiters X, sind Bürger und politische Ökonomen voll des Lobes für die Verdien-
ste der vergangnen Arbeit, welche nach dem schottischen Genie MacCulloch sogar einen eignen Sold
(Zins, Profit usw.)\ beziehn muß.[61] Das stets wachsende Gewicht der im lebendigen Arbeitsprozeß
unter der Form von Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem Arbeiter
selbst, dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfremdeten Gestalt zugeschrieben, ihrer Kapital-
gestalt. Die praktischen Agenten der kapitalistischen Produktion und ihre ideologischen Zungendrescher
sind ebenso unfähig, das Produktionsmittel von der antagonistischen gesellschaftlichen Charaktermaske,
die ihm heutzutag anklebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst von seinem Cha-
rakter als Sklave.
Bei gegebnem Exploitationsgrad der Arbeitskraft ist die Masse des Mehrwerts bestimmt durch die Anzahl
der gleichzeitig ausgebeuteten Arbeiter, und diese entspricht, obgleich in wechselndem Verhältnis, der
Größe des Kapitals. Je mehr also das Kapital vermittelst sukzessiver Akkumulationen wächst, desto mehr
wächst auch die Wertsumme, die sich in
[61] MacCulloch löste das Patent auf "wages of past labour"[1*] lange bevor Senior das Patent
auf die "wages of abstinence"[2*].
[1*] "Lohn für vergangene Arbeit" – [2*] den "Lohn für Enthaltung"
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Konsumtionsfonds und Akkumulationsfonds spaltet. Der Kapitalist kann daher flotter leben und zugleich
mehr "entsagen". Und schließlich spielen alle Springfedern der Produktion um so energischer, je mehr
ihre Stufenleiter sich erweitert mit der Masse des vorgeschossenen Kapitals.
5. Der sogenannte Arbeitsfonds