In Anbetracht der möglichen
Reinfektion und der immer
häufiger auftretenden Resistenzbildung erfordert der Einsatz
eine gewisse Zurückhaltung und sorgfältige Planung
139
.
Infektion und Transmission von Bakterien
In den letzten 10 Jahren wurde an verschiedenen Forschungs-
zentren gezeigt, dass die parodontopathogenen Bakterien
innerhalb eines Patienten z. B. via Hygienehilfsmittel zur
Zahnzwischenraumreinigung von unbehandelten Quadran-
ten zu bereits behandelten Quadranten und auch von Person
zu Person via Speichel übertragen werden können
5,99,138
.
Ebenso können pathogene Keime von Nischen, Taschen nicht
durchgebrochener Weisheitszähne,
Zungenrücken oder Ton-
sillen ausgehen und die frisch behandelten Stellen wieder
besiedeln. Quirynen et al.
98
fanden an verschiedenen Hy-
gienehilfsmitteln nach der Zahnreinigung nicht nur aerobe,
sondern auch anaerobe Bakterien.
Full-mouth Disinfection
Während das Konzept der so genannten Full-mouth Disin-
fection auf dem Gebiet der Parodontologie erst in jüngster
Zeit angewendet wird, ist es in der Kariologie relativ eta-
bliert. Axelsson et al.
13
z. B. kombinierten schon vor Jahren
eine professionelle Plaqueentfernung mit CHX-Spülungen.
Dadurch wurden bei Kindern mit initial hohen Konzentra-
tionen S. mutans und in der Folge die Karies deutlich redu-
ziert
31
. Entgegen früheren Lehrmeinungen konnte durch die
verbesserte mikrobiologische Technik kürzlich auch in der
Parodontologie nachgewiesen werden, dass die meisten
Bakterien über Speichel und Mundflüssigkeit übertragen
werden
10
. Parodontitis ist deshalb als eine Infektion zu ver-
stehen und sollte nicht nur mechanisch, sondern insbeson-
dere aus Gründen der Gewebeschonung auch antiseptisch
angegangen werden
123
.
Antiseptika
Schon vor vielen Jahren gab es ein Konzept, Bakterien mit
Antiseptika in der Mundhöhle zu eliminieren oder wenigstens
zu reduzieren
122
.
Dies wurde angestrebt, um eine Gingivitis
als Vorstufe von Parodontitiden zu verhindern oder zu ver-
zögern. Die Zielsetzung bei der Vorbeugung und Therapie
der Parodontitis besteht deshalb darin, die pathogene Ka-
pazität der Bakterien, deren Produkte und das Wachstum zu
reduzieren sowie möglichst viel Gewebe zu erhalten. Aus
Untersuchungen auf dem Gebiet der Kariologie ist bekannt,
dass Antiseptika die Säurebildung in der Plaque um viele
Stunden verzögern oder gänzlich verhindern können
121
. Eine
ähnliche Wirkung kann wahrscheinlich auch durch den Ein-
fluss von Antiseptika auf die Produktion von pathogenen
und/oder enzymatischen Substanzen aus der Plaque erwartet
werden
105
. Ein Teil der Bakterien wird bei direktem Kontakt
100
oder nach einer bestimmten Einwirkungszeit vernichtet
33,57
.
Dadurch verzögert sich automatisch das bakterielle Wachs-
tum, was in verschiedenen Untersuchungen als Nachweis der
3
Quintessenz 55, 4, 00–00 (2004)
PARODONTOLOGIE
Einsatz von Antiseptika bei der Parodontitisprävention und -therapie (I)
Abb. 1 Vier wichtige Eigenschaften von
Biofilmen sind die Fähigkeit, Nährstoffe zu
sammeln (1), selbst Nahrung herzustellen
(2), einen Verdauungsapparat zu bilden
(3) sowie Bakterien im Biofilm vor Anti-
septika bzw. Antibiotika und Phagozyten zu
schützen (4). Grafik nach: Costerton, J. W. et
al.: Bacterial biofilms in nature and disease.
Annu Rev Microbiol 41, 435-464 (1987)
Substantivität gewertet wurde
40
. Naszierender Sauerstoff
wurde immer wieder vor allem zur Bekämpfung subgingi-
valer Bakterien herangezogen, aber die entsprechenden
Produkte haben sich nicht durchgesetzt. Hingegen werden
Peroxide in verschiedenen Kombinationen angewandt
48
.
Halogene: Jod
Betadine (Povidone-Jod, PVP-I, Fa. Mundipharma, Basel,
Schweiz) ist ein potentes Antiseptikum und in der Medizin
weit verbreitet (Abb. 2). Es ist in Wasser und Alkohol löslich,
wirkt bei Kontakt bakterizid und hat auch einen Effekt auf
Pilze, Viren und Protozoen. PVP-I oxidiert die Amino (NH-),
Thiol (SH-) und Hydroxyl (OH-)-Gruppen zu Aminosäuren
sowie Nukleotiden und reagiert mit Fettsäuren. Es stört we-
der die Wundheilung, noch wird das Resistenzrisiko erhöht.
Allergien sind kaum bekannt, und die früher befürchteten
Reaktionen sind auf Begleitstoffe in den Lösungen und nicht
auf das Spurenelement Jod, welches jeder Mensch benötigt,
zurückzuführen. Durch hälftige Zugabe einer 3%igen H
2
O
2
-
Lösung kann seine Wirkung in der Zahnmedizin kurzfristig
noch verbessert werden. Bei direktem Kontakt wirkt PVP-I
u. a. im Vergleich zu Chlorhexidin in geringen Konzentratio-
nen (0,1-0,5 %) auf die hauptsächlich subgingival vorkom-
menden P. gingivalis und A. a. deutlich besser
24,60,79,89,123
.
Bei allen Patienten mit den verschiedensten Formen der
Parodontitis führt der Einsatz von Schall- oder Ultraschall-
geräten mit zusätzlicher Spülung zu einer 80- bis 90%igen
Bakterienreduktion
14
. Die Göteboger Schule verwendet PVP-I
systematisch seit mehr als 20 Jahren und berichtet über 13-
jährige positive Erfahrungen
106
. Subgingivale Irrigation mit
PVP-I verringert auch die Gefahr einer Bakteriämie und
kann vor dem Scaling oder vor Operationen angewendet
werden
45,46
. Allerdings lässt sich diese Technik bei Risikopa-
tienten nur unter Abschirmung einsetzen.
Im Vergleich zu anderen Antiseptika ist die orale Ap-
plikation von PVP-I lediglich in einer kleineren Anzahl von
Studien untersucht worden
46,100
. Supragingival und in Fissuren
konnten Streptokokken besser mit Chlorhexidin beeinflusst
werden
114
. Als Nachteil wird bei der Anwendung zu Hause
oder in der Praxis die Farbe betrachtet, da kleine Spritzer in
der Umgebung unangenehm auffallen. PVP-I und CHX
werden in Krankenhäusern sehr häufig verwendet und im
Hinblick auf die Wirksamkeit praktisch identisch beur-
teilt
19,53,135
. Es fällt auf, dass im Vergleich zu früher CHX häu-
figer und mit Erfolg zur Desinfektion im medizinischen
Bereich untersucht und auch mit PVP-I verglichen wird.
Chloride
Das Natriumhypochlorit (NaOCl 0,05-0,5 %), Dakin’sche
Lösung, fälschlicherweise Javellwasser genannt, was eigent-
lich dem K-Salz entspricht (in den USA unter dem Namen
„Bleach“ bekannt), ist ein durch den „Council on Dental
Therapeutics“ (1982) der American Dental Association (ADA)
akzeptiertes Mundwasser. Es ist günstig in der Anschaffung
und lässt sich auch in Wasserstrahlgeräten effizient einset-
zen
100,124
. Die Lösung kann verdünnt (0,05-0,5 %) auch zur
4
Quintessenz 55, 4, 00–00 (2004)
PARODONTOLOGIE
Einsatz von Antiseptika bei der Parodontitisprävention und -therapie (I)
Abb. 2 Betadine
(Fa. Mundipharma,
Basel, Schweiz) ist
eine 10%ige Povi-
done-Jod-Lösung,
die 1 % Jod enthält.
Die Lösung wird
unverdünnt zur
Desinfektion aller
Wundflächen und
vor Operationen
angewandt. Sie
eignet sich in der
Zahnmedizin her-
vorragend zur Des-
infektion von par-
odontalen Taschen
nach Kürettage
und Scaling
Abb. 3 Retardex
(Fa. Esro/Profimed,
Kilchberg, Schweiz)
ist eine 0,1%ige
Chlordioxid-Spüllö-
sung zur Reduktion
der Zahnbeläge und
des Mundgeruchs