ERMLANDBRIEFE
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Ostern 2010
Am Fest der heiligen Apostel Petrus
und Paulus (29. Juni) waren Tausende
der Einladung Bischof Kaller’s gefolgt
und haben sich mit ihm um Maria ge-
schart. Nur wenige Tage später - am 7.
Juli - verstarb der Diener Gottes Bischof
Maximilian Kaller plötzlich und uner-
wartet in Frankfurt am Main. So wurde
diese Wallfahrt für die allermeisten Erm-
länder zur letzten Begegnung mit ihrem
geliebten Bischof.
Im Gedenken an Bischof Kaller und
die Wallfahrt am 29. Juni 1947 kommen
die Ermländer nun jedes Jahr am ersten
Sonntag nach dem 1. Mai nach Werl.
Rückblickend ist die Werl-Wallfahrt Ver-
mächtnis im Gedenken an Bischof Kal-
ler und seine Predigt in Werl, die wir
heute als sein geistliches Testament an-
sehen dürfen. Nach vorne blickend ist
diese Wallfahrt für uns Ermländer ein
geistlicher Auftrag. Sich auf den Weg
machen - allein oder in einer Gruppe,
am Wallfahrtsort in Gemeinschaft mit
Gleichgesinnten Gott loben und preisen
und ihn verherrlichen, indem wir Maria,
die der Herr uns zur Mutter und Für-
sprecherin gegeben hat, anrufen und
sie um Hilfe und Fürsprache in unseren
persönlichen und gemeinsamen Anlie-
gen anrufen.
Wallfahren heißt darum, mit meinen
Gedanken, Fragen und Bitten, mit mei-
nen Sorgen und Nöten, meinem Hoffen
und Hadern komme ich an den geheilig-
ten Ort, um hier gleichsam alles „abzu-
laden“, was auf meinen Schultern ruht
und mich niederzudrücken droht. Auf
meinem Rücken ruhen wie in einem
Rucksack aber nicht nur meine Anlie-
gen; wie oft nehme ich auch die Bitten
und Sorgen anderer mit, die mir aufge-
tragen haben: „Bitte, bete für mich!“
Ob ich nun allein wallfahre oder zu-
sammen mit anderen - nie bin ich al-
lein; immer weiß ich mich umgeben
von anderen, die mit mir den gleichen
Wunsch haben: zu beten, zu danken,
zu bitten, zu vertrauen, dass Gott mich
auf die Fürsprache Marias, der „Tröste-
rin der Betrübten“, hört und erhört.
Für dieses Gebet, das Trost und Kraft
schenkt, machen sich viele Ermländer
auf den Weg nach Werl. Nur wenige ha-
ben eine kurze Fahrzeit; meistens sind
es Stunden mit dem Auto oder mit der
Bahn. Zahlreiche Busse - wie diese
von Kurt-Peter Engelberg organisiert -
bringen viele Pilger nach Werl. Die
längste Reise nehmen unsere Ermlän-
der aus dem Ermland auf sich, um ge-
meinsam mit allen anderen in Werl zu
beten und zu singen. Darum ist gerade
diese Wallfahrt ein besonderer Aus-
druck der „Heimatverbundenheit“;
gleiches gilt auch für die Herbst-Wall-
fahrt nach Dietrichswalde.
Neben diesem wichtigen geistlichen
Aspekt gibt es noch einen anderen,
„weltlichen“ Aspekt, der für uns Erm-
länder eine Werl-Wallfahrt zu einem be-
sonderen Erlebnis werden läßt: die
Freude des Wiedersehens. Es gibt ei-
gentlich nur frohe und dankbare Ge-
sichter und leuchtende Augen, in die
man in Werl schauen kann. Auch das
gehört zu einer Wallfahrt! Gemeinsam
mit allen, die man seit vielen Jahren
kennt und mit denen man das Geden-
ken an die Heimat und die Freude des
Glaubens teilt, macht die Freude an die
Werl-Wallfahrt größer und hält den
Wunsch lebendig: „Im kommenden
Jahr sehen wir uns hier wieder - so Gott
will!“ Für viele Wallfahrer ist der Tag in
Werl die einzige Möglichkeit, Freunde
und Weggefährten wiederzusehen, mit
ihnen über „damals“ zu sprechen und
alte Erinnerungen auszutauschen.
„Ich freute mich, als man mir sagte:
‚Zum Haus des Herrn wollen wir pil-
gern’.“ Was der Verfasser und Beter die-
ses Psalmwortes dankbar zum Aus-
druck brachte, gilt auch heute für uns,
wenn wir nach Werl kommen: „Ich freu-
te mich, als man mir sagte: ‚In Freude
fahre ich nach Werl, um bei der Mutter-
gottes zu sein, um Gott zu danken und
zu bitten, um in Gemeinschaft mit den
anderen Ermländern Gottesdienste zu
feiern und dabei viele Lieder aus der
Heimat zu singen. Ich freue mich, bei
diesem Fest des Glaubens mit Angehöri-
gen, Freunden und Weggefährten wie-
der zusammen sein zu können. Ich
freue mich, wieder erfahren zu dürfen:
Auf meinem Weg bin ich nicht allein -
Maria ist mit mir und mit uns.“
Gedanken zur Ermländerwallfahrt nach Werl
Mit Maria auf dem Weg
Von Pastor Clemens Bombeck, Prodekan des Ermländischen Konsistoriums
„Ich freute mich, als man mir sagte:
‚Zum Haus des Herrn wollen wir pil-
gern’.“ (Ps 122, 1) Seit biblischen Zei-
ten machen Menschen eine Wallfahrt
zu Stätten, die ihnen heilig sind. Sie
verlassen ihre vertraute Umgebung
und machen sich auf den Weg zu dem
geheiligten Ort, um dort Gott anzube-
ten, die Jungfrau Maria oder einen an-
deren Heiligen zu verehren. Sie neh-
men die Mühen eines langen und mit-
unter auch beschwerlichen Weges auf
sich. In vergangenen Zeiten hieß dies
oft, Monate, wenn nicht sogar Jahre
unterwegs zu sein, um z.B. nach Rom,
Santiago de Compostella oder gar nach
Jerusalem zu wallfahren. Heute haben
es die Wallfahrer wesentlich leichter.
Mit Auto, Bahn oder Flugzeug kann
man in wenigen Stunden das Ziel der
Wallfahrt erreichen.
Die Wallfahrt ist eine der ursprüng-
lichsten religiösen Ausdrucksweisen
des Menschen. Sie gibt es nicht nur im
Christentum, auch in anderen Religio-
nen wird sie praktiziert. Wir Christen
halten an ihr fest, weil es Gott selbst ge-
wesen ist, der an einem bestimmten
Ort und zu einer bestimmten Zeit sich
den Menschen als der „Gott mit uns“
offenbart hat und mit ihnen in einen le-
bendigen Austausch getreten ist; den-
ken wir nur an die verschiedenen Orte
in der Geschichte Israels: der brennen-
de Dornbusch, Sinai, Karmel, Jerusa-
lem. Mit diesen Stätten sind stets auch
Menschen verbunden: Abraham, Mo-
se, Elia. Nicht zuletzt und in endgülti-
ger Weise hat Gott unter uns Men-
schen Wohnung genommen in seinem
Sohn Jesus Christus. Darum ist Israel
als Ganzes für uns gleichsam ein einzi-
ger, großer Wallfahrtsort. Eine Wall-
fahrt zu den heiligen Stätten im Heili-
gen Land galt und gilt darum als der
Höhepunkt aller Wallfahrten.
Aber auch andere Orte sind durch
Gottes wirkmächtiges Handeln zu „Or-
ten seiner Gegenwart“ geworden; es
sind jene Orte, zu denen wir Christen
heute pilgern. Ein Ort, den wir ohne
Mühen Tag für Tag aufsuchen können,
ist die Gemeindekirche. Hier begegnen
wir dem Herrn in seinem Wort und Sa-
krament. Darüber hinaus sind es jene
Orte, die Gott erwählt hat. Sie zeichnen
sich dadurch aus, dass Gott hier be-
sonders die Bitten der vertrauensvoll
Rufenden selbst oder durch seine Mitt-
ler - Gottesmutter Maria, die Heiligen -
hört und erhört. Eine Wallfahrt stellt
deshalb gewöhnlich eine mit besonde-
ren Mühen unternommene Form des
Bittgebetes dar.
Alle Wallfahrtsorte haben ihre je eige-
ne Entstehungsgeschichte. Oft waren es
Erscheinungen der heiligen Jungfrau,
die eine Wallfahrt begründete: so z.B. in
Kevelaer (1641), Lourdes (1858), Diet-
richswalde (1877) oder Fatima (1917).
Oder es waren besondere Ereignisse,
wie z.B. in Köln die Übertragung der Re-
liquien der Heiligen Drei Könige von
Mailand nach Köln (1164), oder in Werl
die Überführung des Gnadenbildes von
Soest nach Werl (1561). Zunächst ka-
men gewöhnlich die Menschen einzeln
an diese Orte. Bald jedoch wurde die
Zahl der Wallfahrer größer. Nun kamen
auch Gruppen von Pilgern, und es zeig-
te sich die Notwendigkeit, eine Kapelle
oder eine Kirche zu bauen, um zum ei-
nen das Walten Gottes an diesem Platz
zu ehren und zum anderen, einen wür-
digen Ort für Gebete und Gottesdienste
zu haben.
Die Werl-Wallfahrt
Seit 1947 wallfahren wir Ermländer
Jahr für Jahr nach Werl. Warum gera-
de nach Werl? Nun, damals nach dem
Krieg waren die Grenzen geschlossen,
die Ermländer aus ihrer Heimat ver-
trieben oder geflohen. Ein Zurück gab
es nicht mehr. Zu ihren Wallfahrtsor-
ten wie Dietrichswalde, Heiligelinde,
Glottau, Springborn, Krossen oder an-
deren kleinen Orten konnten die Erm-
länder nicht mehr gehen. Gleiches galt
auch für die aus Schlesien, Schneide-
mühl, Danzig und anderen deutschen
Ostgebieten Vertriebenen. Auch für sie
war es unmöglich geworden, ihre ge-
liebten Stätten des Glaubens aufzusu-
chen. Darum rief unser Bischof Maxi-
milian Kaller als päpstlicher Sonderbe-
auftragter für die deutschen Heimat-
vertriebenen im Frühjahr 1947 alle Ver-
triebenen zu einer gemeinsamen Wall-
fahrt in diesen kleinen westfälischen
Ort in der Erzdiözese Paderborn. Ver-
mutlich wählte Bischof Kaller diesen
Wallfahrtsort, weil er gleichsam in der
Mitte Deutschlands liegt, vielleicht
aber auch, weil ihm mit Blick auf das
Schicksal der Heimatvertriebenen der
Titel des Gnadenbildes in Werl „Maria
- Trösterin der Betrübten“ zusagte.
So kennen die Ermländer die Wallfahrtsbasilika in Werl. Hierhin zur Mutter der
Betrübten pilgern sie in diesem Jahr zum 64. Mal.
Foto: Martin Grote
Sticker: „Auf dem Weg“. Erkennungs-
zeichen der ermländischen Pilger bei
ihren Wallfahrten mit dem Christopho-
rus-Reisedienst Münster.