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»politische Differenz« nennt: es gibt keine statische Opposition zwischen der Politik (den
systemkonformen Routinen) einerseits und dem Politischen (dem Moment der
Öffnung und
Neugründung) andererseits, sondern ein differenzielles Ineinander dieser Dimensionen – und
das heißt konkret: eine ständige Oszillation, eine Dynamik zwischen Neugründung und
institutioneller Konsolidierung.
Heute kann es mitunter so scheinen, als würden die begrifflichen Erneuerer der Idee
des Politischen von einem global agierenden aktivistischen Mob überholt, der ebenfalls die
Wiederbelebung von Ideen wie Volkssouveränität, Mitbestimmung und radikaler Demokratie
anstrebt. Freilich zeigt sich hier drastisch, was die Denker des Politischen stets auch
einräumen: dass die Kontingenz und Offenheit des Politischen unweigerlich die Gefahr
autoritärer Schließungen mit sich bringt. Gerade der ur-demokratische Gedanke der radikalen
Unbestimmtheit menschlicher Angelegenheiten impliziert die Möglichkeit,
dass eine In-Group
das politische Feld ohne Rücksicht auf Verluste zu kolonisieren und abzuriegeln versucht.
Affektivität eignet sich als Untersuchungsfeld, um den Raum zu kartieren, der
zwischen einer emphatischen Bestimmung des Politischen und der Gefahr des Absturzes in
anti-demokratische, reaktionäre oder offen faschistische Formationen liegt. Die menschliche
Affektivität umfasst das ganze Spektrum existenzieller Verhältnisse, nicht zuletzt
grundlegend unterschiedliche Haltungen gegenüber anderen Menschen: In Gefühlen wie
Liebe, Mitgefühl, Anteilnahme liegen verbindende Kräfte, die Aussicht auf ein solidarisches
Zusammenleben eröffnen – andererseits können Zorn, Hass, Ekel, Angst und Abneigung zu
Politiken der aggressiven Selbstbehauptung führen, die auf dem gewaltvollen Ausschluss von
vermeintlichen »Fremden« basieren.
Im Folgenden werden vier aktuelle Versuche betrachtet, philosophische
Verhältnisbestimmungen von Politik und Affektivität vorzunehmen. Judith Mohrmann knüpft
in ihrem Buch Affekt und Revolution an Hannah Arendt und Immanuel Kant an, um ein
anspruchsvolles Modell der wechselseitigen Bestimmung von Affekt und Politik zu
skizzieren. Sie operiert auf jener genuin philosophischen Ebene, auf der Politik und Affekt
bereits im Vorfeld ihrer realpolitischen Verquickung konstitutiv aufeinander bezogen sind.
Als Modell, in dem sich beides trifft, fungiert bei Mohrmann das Theater. Nur im
Wechselspiel von Akteuren und Zuschauern, von Bühne und Auditorium, lassen sich
Emotionen in ihrer sozialen Positionalität und differenziellen Handlungswirksamkeit
verstehen, und auch das Politische als »Raum der Freiheit« könne nur im Rahmen einer
theatralen Konstellation und in den Vollzügen einer affektiven Vernunft zur Bestimmung
kommen.
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Martha Nussbaum unterfüttert in Politische Emotionen ihren in früheren Schriften
entwickelten Liberalismus mit einem Verständnis öffentlich inszenierter Emotionen, die zur
Akzeptanz und Verankerung der Werte eines liberaldemokratischen Gemeinwesens beitragen
sollen. Im Zuge dessen skizziert sie ein idealtypisches Emotionsrepertoire einer »stolzen
Nation« freiheitsliebender, solidarischer Individuen. Man könnte das aus heutiger Sicht als
den Versuch lesen, die Herzen der von Nationalismus und Chauvinismus verführten US-
Amerikaner für das Projekt eines modernisierten Republikanismus zurück zu gewinnen. Es
wird zu fragen sein, ob dabei nicht gerade das politische Moment auf der Strecke bleibt.
Denkbar weit von Nussbaum entfernt positionieren sich Brian Massumi und John
Protevi. Beide sind Vertreter des an Spinoza und Deleuze anschließenden Trends der affect
studies. In Entgegensetzung zu rationalistischen und normativistischen Ansätzen geht es in
ihren Büchern um affektive Dynamiken jenseits der kategorialen Festschreibung und
individualistischen Verengung. In dieser Perspektive sind Affekte politisch, weil sie auf einer
vorbewusst-relationalen Ebene Einstellungen, Wahrnehmungsmuster und Gewohnheiten
beeinflussen und damit politische Interaktions- und Handlungsweisen unterschwellig prägen.
Dabei rückt nicht zuletzt die Frage der Subjektivierung in den Blick, und es ergibt sich ein
kritischer Fokus auf verknappte oder in Machtgefügen monopolisierte Ressourcen der
»Subjektwerdung«.
Die hier betrachteten Bücher schlagen erste Breschen in ein weitläufiges Terrain. Der
vorliegende Text hat daher den Charakter einer Sondierung, die das Ziel verfolgt, einige
relevante Elemente einer philosophischen Perspektive auf politische Affektivität zu
identifizieren. Die besprochenen Werke werden weniger als in sich geschlossene Arbeiten
gelesen, denn als Beiträge zu einem im Entstehen begriffenen Forschungsfeld.
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Im letzten
Abschnitt wird eine Zusammenschau versucht, die Ansätze zu einer Programmatik künftiger
philosophischer Affekt- und Emotionsforschung in politischer Orientierung skizziert.
Was die Ausdrücke ›Affekt‹ und ›Emotion‹ betrifft, wird im Folgenden keine
einheitliche Sprachregelung befolgt, sondern es bleiben zwei begriffspolitische Strategien
nebeneinander im Spiel. In einem Teil der Debatte ist es üblich, keinen substanziellen
Unterschied zwischen ›Affekt‹ und ›Emotion‹ anzunehmen, sondern ›Affektivität‹ als
generische Bezeichnung für menschliche Gefühlsphänomene zu verwenden. Als Emotionen
werden in diesem Rahmen jene evaluativen Weltbezüge bezeichnet, die durch die etablierten
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Dass dieses Forschungsfeld zuletzt an Fahrt gewonnen hat, zeigen auch die folgenden Texte, die im Rahmen
dieses Artikels nur am Rande gewürdigt werden können: T
HOMAS
B
EDORF
: »Politische Gefühle« in:
DERS
./T
OBIAS
N
IKOLAUS
K
LASS
(H
G
.): Leib – Körper – Politik. Untersuchungen zur Leiblichkeit des
Politischen, Weilerswist 2015, S. 249-265; M
ARTIN
S
AAR
:
Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach
Spinoza, Berlin 2013, vor allem Kap. VI.