Seminar für allgemeine pädagogik


Sprachphilosophie und Argumentationstheorie



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3. Sprachphilosophie und Argumentationstheorie


Literatur

Kutschera, F. v.: Sprachphilosophie. München 1993.

Kopperschmidt, J. Methodik der Argumentationsanalyse. Stuttgart 1989.

Wohlrapp, H. (Hrsg.): Wege der Argumentationsforschung. Stuttgart 1995.



Toulmin, S.: Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg 1975.

3.1 Sprachphilosophische Grundpositionen


    Die Analyse der Struktur und Funktion von Argumentationen ist Gegenstand der Argumentations­theorie, die ihre theoretischen Grundlagen einerseits von der Logik, andererseits von der Sprachwissenschaft bezieht. Sofern Argumentation sich in kontroversen Diskussionen entfaltet, spielt in ihnen die gedanklich reflektierte und gesprochene Sprache eine bestimmende Rolle. Fragen zum Verständnis von Argumenten hängen zusammen mit hermeneutischen Grundlagenproblemen, die Fragen nach der Präzision von Sprache einschließen. Sowohl Argumentation als auch Kommunikation sind theoretisch gebunden an sprachwissenschaftliche bzw. sprachphilosophische Grundlagen. Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft werden heute auch mit dem Begriff Semiotik (Zeichenlehre) zusammengefaßt. Die drei Hauptdisziplinen der Semiotik sind (nach einer Einteilung von Charles W. Morris):

  • Semantik (Bedeutungslehre)

  • Syntaktik (Lehre von der Grammatik, Syntax)

  • Pragmatik (Lehre vom Sprachhandeln).

    Aus der Fülle erkenntnistheoretischer Grundlagenprobleme seien die folgenden vier Fragenkomplexe genannt:

  1. Ist Sprache ein Abbild der Realität - oder erzeugt sie selbst die Realität, von der wir im Alltag meinen, sie existiere unabhängig von uns?

  2. Sind die sprachlichen Strukturen durch Erbkoordination im Menschen angelegt oder werden sie durch die jeweilige Umwelt, in der Menschen aufwachsen, erzeugt?

  3. Sind die sprachlichen Begriffe, mit denen wir umgehen, die Gefäße unseres Denkens - oder schafft die menschliche Sprache überhaupt erst ist die Voraussetzungen für das Denken? Geht dem Denken die Sprache oder geht die Sprache dem Denken voraus?

  4. Ist das Ideal des präzisen sprachlichen Ausdrucks und dessen Verständnis zu suchen in den formalen Kunstsprachen der mathematischen Logik, die die - vermeintlichen oder tatsächlich vorhandenen - Unvollkommenheiten der natürlichen Sprache vermeiden - oder hängen sprachliches Verstehen, sprachlicher Ausdruck und sprachliche Präzision vor allem davon ab, in welchem Maße wir die natürliche Sprache zur Grundlage unserer Erkenntnis machen?

    Der Abbildtheorie der Sprache liegt die Auffassung zu Grunde, daß sprachliche Ausdrücke (insbesondere Attribute, Substantive, Prädikate) Gegebenheiten der Wirklichkeit bezeichnen. Die Wirklichkeit wird in ihren einzelnen Gegebenheiten begrifflich erfahrbar indem sie durch Begriffe abgebildet wird. Diese Abbildungen können tatsächliche oder mögliche, fiktive oder reale Zustände oder Vorgänge betreffen. Die Bezeichnungen „Garten“ „Mensch“ „regnen“ haben ihre Entsprechungen in der wahrnehmbaren Realität. Diese generelle Vorstellung, daß es eine subjektunabhängige Realität gibt, welche die Sprache in gewisser Weise abbilde, wird auch als semantischer Realismus bzw. realistische Semiotik bezeichnet (vgl. Kutschera 1993, S. 31, S. 78). Aus der Abbildtheorie der Sprache, die lange Zeit den sprachphilosophischen Diskurs bestimmte, ergeben sich bei genauerer Überlegung allerdings schwerwiegende Probleme.

    Platonismus “versus moderner Nominalismus im Universalienstreit: Sprachlich kann ich unterscheiden zwischen einem kon­kreten Begriff von einem Gegenstand, Tun oder Ereignis und einem allgemeinen Begriff von diesem Gegenstand, Tun oder Ereignis. Aber gibt es in der Realität überhaupt etwas Abstraktes (Allgemeines)? Ist die wahrnehmbare Welt nicht ausschließlich konkret? In der antiken und frühmittelalterlichen Philosophie wurde in der Nachfolge Platons genau umgekehrt gefragt: Ist nicht alles Konkrete erst dadurch wirklich, daß es Anteil hat an den allgemeinen Ideen (Universalien)? Die moderne - uns geläufige Frage lautet dagegen: Sind allgemeine Begriffe in der Realität als Seinsgegebenheiten vorfindbar, oder stellten sie „nur“ eine Leistung unseres Denkens, unserer Sprache, dar ? Aufgehängt an dem Problem, ob die Realität Gottes als allgemeine, höchste Idee oder aus verschiedenen einzelnen Bestimmungen zusammengesetzt gedacht werden müsse, spaltete diese Frage die Meinung die philosophische Lehre im Mittelalter.

    Der Universalienstreit beschäftigte die Philosophie im Mittelalter über mehrere Jahrhunderte. Die sogenannten Realisten, die sich auf die Philosophie Platons und seiner Schüler beriefen, sahen das Allgemeine (die „Ideen“, die Universalien) als das eigentlich Wirkliche an, die konkret in Erscheinung tretenden Dinge waren ihnen dabei nur ein unvoll­kommenes Abbild des Allgemeinen. Das bedeutet, daß die Wirklichkeit in den allgemeinen Begriffen zur Darstellung kommt, während jede konkrete Bestimmung in einer Aussage, z.B. „Dieses Tuch ist rot“, nur dadurch wahr bzw. real ist, daß es eine „Tuchheit“ (Tuch als Idee) und eine Rot­heit (das Rote als Idee) gibt. Dieser extreme „Realismus“ (Platonismus) sah das Allgemeine als die den konkreten Seinsgegebenheiten vorausgehende Urrealität an. Demgegenüber vertraten die Nominalisten die Ansicht, daß allgemeine Ideen - dazu gehören die Ideen des Wahren, Guten und Schönen - der Realität (als der Summe wahrnehmbarer Einzeldinge) nicht zukomme, sondern nur Namen (Nomen) für Sachverhalte darstellten. Als einen Kompromiß zwischen beiden Meinungen konnte längere Zeit die Ansicht vertreten werden, daß das Allgemeine weder den Dingen vorausgehend noch nachgeordnet sei, vielmehr das formale Moment in allem Konkreten sei, das es gestatte, es in einem übergeordneten Sinne als zusammengehörig zu begreifen.

    In der modernen Wissenschaftsgeschichte sind Positivismus (auch in der Form des Behaviorisums), Rationalismus, Materialismus und die analytische Philosophie nominalistisch orientiert; theoretisch ungelöst bleibt das Problem, die Mathematik, die von allgemeinen Sätzen und Sachverhalten ausgeht, streng nominalistisch zu begründen (Stegmüller 1974, S. 116). Im modernen Nominalismus wird die Wirklichkeit als die dem Subjekt gegenüberstehende Welt der Einzeldinge begriffen. Demgegenüber sind Idealismus und Phänomenologie durch normierende Setzungen der Realität bestimmt, kommen also Vorstellungen der platonischen Philosophie von der Abhängigkeit des Konkreten von einem allgemeinen ideellen Prinzip sehr nahe. Zwei erkenntnistheoretisch wie sprachphilosophisch wichtige Positionen müssen gesondert genannt werden: Radikaler Konstruktivismus und Pragmatismus.

    Radikaler Konstruktivismus und Pragmatismus: Der radikale Konstruktivismus steht der als „Solipsismus“ bekannten Form des Idealismus nahe: Nur Wahrnehmung und Bewußtsein des einzelnen Subjektes sind hier „real“. Während der traditionelle Realismus die reale Welt dem Subjekt gegenüberstellt, erzeugt im Verständnis des Konstruktivismus das Subjekt jene Realität, von denen die Alltagsmeinung annimmt, sie sei objektiv und subjektunabhängig. Daß die menschliche Sprache in bestimmter Weise ein universales Mittel der Verständigung darstellt, das die subjektive Welt öffnet gegenüber anderen Welten - bleibt dem Konstruktivisten letztlich unverständlich. Er betont vielmehr – in Anlehnung an die Forschung von Sapir und Whorf – die durch die jeweilige Sprachstruktur bedingten Grenzen einer universalen Weltsicht (vgl. Glasersfeld 1997, S. 25).

    In besonders akzentuierter Weise beschäftigte sich der amerikanische Mathematiker und Philosoph Charles Sanders Peirce (1839-1914) mit der allgemeinen Funktion der Sprache. Peirces Zeichenlehre gilt als die Geburtsstunde der Semiotik, seine Philosophie ist als Pragmatismus (bzw. von ihm selbst als Pragmatizismus) bezeichnet worden. Nach Peirce wird für den Menschen die Welt sprachlich wie gedanklich nur über Zeichen erfahrbar, die immer einen dreifachen Bezug aufweisen: (1) den Bezug zu einem sinnlich-wahrnehmbaren Substrat des Zeichens (z.B. einem Laut), (2) den Bezug auf ein Objekt, auf welches das Zeichen verweist, (3) den Bezug zum „Interpretanten“, der das Zeichen auf Grund seinem durch Konvention bestimmten Sinn deuten kann (vgl. Apel 1975, S. 226). Die dreifache Relation des sprachlichen Zeichens zeigt einen engen Zusammenhang mit der oben erwähnten Dreigliederung der Semiotik von Morris.

    Im Gegensatz zur reinen Abbildtheorie der Sprache, die die Bedeutung von Begriffen aus deren „Idee“ ableitet (und dabei den alltagssprachlichen Kontext überhaupt nicht beachtet) sieht Peirce die gesprochene Sprache als ein System von Zeichen an, die Indices für die verschiedenen Lebenssituationen darstellen. Die Bedeutung der Begriffe und Sätze ergibt sich aus dem, was sie in ihrer Zeichenfunktion im situativen Kontexten bedeuten. Argumentationstheoretisch ist zweierlei bedeutsam.


  • Sprache ist für Peirce situations- und funktionsbezogen. Die Frage, wozu (mit welcher Absicht, welchem Ziel) etwas sprachlich ausgedrückt und verstanden wird, ist für Peirces Sprachverständnis grundlegend.

  • Peirce nennt die sprachliche Darstellung logischer Beziehungen Argumente (Pape 1996, S. 321). Daß sich die Wahrheit erst im realen Vollzug des Sprachhandelns vollzieht, bedeutet für dessen Verständnis: Die sprachliche Logik bedarf des konkreten Vollzugs durch die damit verbundene Interpretation, um als wahr gelten zu können (ebenda, S. 321).

    Naturalismus, Umweltprägung und Konventionalismus: Die Universalität der menschlichen Sprache, d.h. die grundsätzliche Möglichkeit sprachlicher Verständigung aller Menschen, ist gegeben. Selbst Angehörige entfernter Kulturen sind dazu in der Lage - trotz mannigfacher Differenzen der Grammatik und der Semantik ihrer Sprachen. Dies ist das eigentliche Wunder. Eine anthropologische Deutung der Sprache wird nicht umhinkönnen, für dieses Faktum die menschliche Natur verantwortlich zu machen. Die mündliche wie schriftliche Sprachkompetenz ist im Menschen genetisch verankert. Wie sich die Sprache innerhalb der Indiviudalentwicklung im Zusammenhang von Kommunikation (Sprachhandeln) semantisch und syntaktisch strukturiert, ist Sache des Hineinwachsens in eine bestehende Sprach- und Kulturgemeinschaft.

    Es war vor allem Noam Chomsky (geb. 1929), der Begründer der „generativen Grammatik“, der die Fähigkeit zum Verstehen der Sprache in erster Linie nicht Umwelteinflüssen, sondern der biologischen Ausstattung des Menschen zuschrieb. Daß wir einen Satz, der - nach unserem Sprachverständnis - eigentlich Subjekt und Prädikat haben müßte, auch dann verstehen, wenn er diese nicht hat, daß die komplizierte grammatische Struktur eines Satzes, den ich forme, von jedermann verstanden und - wenn auch nicht völlig kongruent - in Sprachen mit einer anderen syntaktischen Struktur übersetzbar ist: dieser Tatbestand wäre unbegreiflich, wenn er nicht als schon von vornherein gegeben postuliert werden muß. Ein Beispiel: Wenn ich im Deutschen sage: „Es ist kalt“, so heißt dieser Satz im Russischen nur „kalt“ (cholodno); im Japanischen heißt dasselbe „samui desu“ - was ebenso interpretierbar ist als „Mir ist kalt.“ Würde jedoch mit Betonung gesagt: Mir ist kalt, müßte es japanisch heißen: „Watashi wa samui desu“. Für die genaue Übersetzung in eine andere Sprache ist also neben der Anpassung an eine andere Syntax auch das ein Verständnis des situativen Kontextes notwendig - ansonsten kann dieser Beispielsatz ohne Mühe übersetzt und verstanden werden: Die Tiefenstruktur des Satzes „Es ist kalt“ ist dieselbe, obwohl die Oberflächenstruktur differiert.

    Insbesondere bei Sprachen mit äußerst unterschiedlicher Grammatik können Übersetzungen oft nur Annäherungscharakter haben - man denke an Übersetzungen aus einer flektierenden Sprache (wie dem Deutschen) in eine agglutinierende Sprache (z.B. das Türkische) oder in eine isolierende Sprache (z.B. das klassische Chinesisch).1 Daß es derartig große Strukturunterschiede zwischen verschiedenen Sprachen gibt, ist ein Zeichen für den engen Zusammenhang, der zwischen Geschichte, Kultur und Sprache besteht. So gesehen darf die Sprache nicht nur in ihrer Universalität gesehen, sondern muß auch von ihrer Vielgestaltigkeit her verstanden werden.

    Chomsky ist Vertreter eines grammatischen Naturalismus, er betont die Universalität sprachlicher Kompetenz. Demgegenüber war in der berühmten Sapir-Whorf-Hypothese die Ansicht vertreten worden, daß durch die jeweilige soziokulturellen Umwelt nicht nur die Sprache, sondern darüber hinaus auch das Denken und die Realitätssicht der Bewohner tiefgreifende Prägungen erfahren. Die Ethnologen Edward Sapir (1884-1939) und Benjamin L. Whorf (1897-1941) entwickelten ihre aufsehenerregende Theorie im Zusammenhang von Studien über die Sprache und die Lebensweise von Indianern Nordamerikas, insbesondere der Hopi.

    In der Tat gibt es in einigen Indianersprachen Ausdrucksmöglichkeiten, die in den indogermanischen Sprachen keine Entsprechung besitzen. Dennoch ist die Sapir-Whorf-Hypopthese zu weitreichend, als daß sie als Ganzes bewiesen werden könnte. Sie ist kommunikationstheoretisch deshalb wichtig, weil sie darauf aufmerksam macht, daß die Semantik einer Sprache (wenn wir die Grammatik einmal beiseite lassen), in verschiedenen Milieus lebenspraktisch bedeutsame Differenzierungen erfährt. Man kann durchaus nachweisen, daß Wortschatz und Semantik in einigen Sprachen besonders starke Ausdifferenzierung dort besitzen, wo Leben und Überleben der Bewohner von bestimmten beruflichen Tätigkeiten (z.B. Fischen, Jagen, Ackerbau) oder von Naturereignissen bestimmt waren bzw. sind. So wird in der sprachvergleichenden Literatur häufig erwähnt, daß die Eskimos über eine Fülle von differenzierenden Ausdrücken für die Farbe des Schnees verfügen, während das Arabische eine Fülle von differenzierenden Ausdrücken für die Farbe des Wüstensandes besitzt. Daß über die Sprache auch Wahrnehmungs-, Auffassungs- und Denkstrukturen geprägt werden können, ist eine durchaus sinnvolle Annahme. In welchem Ausmaß sich die soziokulturelle Prägung in der Sprache syntaktisch und semantisch niedergechlagen hat, darüber kann man spekulieren.

    Bereits Wilhelm von Humboldt (1767-1835) hatte den Gedanken zum Ausdruck gebracht, „daß der Dialog zwischen Ich und Du immer in jener geistigen Perspektive vor sich geht, die die einzelne Sprache eröffnet. Die kommunikative Grundbeziehung „Ich - Du“ ist demgemäß das Ergebnis einer immer schon durch Sprache vorstrukturierten geistigen Welt (vgl. Di Cesare 1996, S. 283). Hum­boldt steht für die klassisch-romantische Auffassung, die in der Sprache nicht nur ein Instrument oder Zeichen, sondern etwas Dynamisches, Lebendiges sieht, das sowohl eng mit der Geschichte der Menschheit als auch mit dem geistigen Charakter („Nationalcharakter“) der einzelnen Sprachgemeinschaften bzw. der Völker zusammenhängt. Kommunikationstheoretisch von Interesse ist Humboldts Auffassung von der Vorrangigkeit des artikulierten Lautes vor dem Gedanken. Entgegen der landläufigen Meinung, die Sprache sei die sinnlich wahrnehmbare Gestalt des Denkens, stellt für Humboldt die Sprache die eigentliche Voraussetzung dafür dar, daß sich das Denken in der sprachlich vermittelten Geistigkeit eines Volkes ausprägt: „Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken“ (Humboldt 1979, S. 191). Anthropologisch gesehen ist für Humboldt - wie für Chomsky - Sprache in der Tiefe der menschlichen Natur angelegt. Damit steht auch Humboldt einem Naturalismus der Sprache nahe, dessen Ursprung bis auf Platons Dialog „Kratylos“ zurückverfolgt werden kann. Der naturalistischen Anschauung steht der sog. Konventionalismus gegenüber: die Ansicht, daß die Bedeutung sprachlicher Zeichen auf Konvention innerhalb des jeweiligen kulturellen Kontextes zurückgehe, nicht aber mit naturhaften Anlagen korrespondiere.



    Alltagssprache versus formalisierte Kunstsprache: Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert verstärkten sich die Bemühungen, die Logik mathematisch zu präzisieren - mit dem Ziel, im wissenschaftlichen Beweis das logische Schlußverfahren zu einem Kalkül (einer Rechenoperation) zu machen. Dazu leisteten Gottlob Frege (1848-1925), Bertrand Russell (1872-1970) und Rudolf Carnap (1891-1970) grundlegende Beiträge. Allerdings zeigte sich auch in der weiteren wissenschaftstheoretischen Grundlagenforschung, daß logisches Schließen weder vollständig auf Rechenoperationen rückführbar ist, noch immer zu Ergebnissen führen muß, da es auch unentscheidbare Sachverhalte und unvollständige Theorien gibt (vgl. Dowek 1995, S. 30 ff.).

    Die Veränderung der Logik unter dem Einfluß der Mathematik bestand in der Einführung formalisierter Kunstsprachen. Doch der Versuch, die „unpräzise“ Alltagssprache durch eine exakte formalisierte Wissenschaftssprache zu ersetzen, war nur partiell erfolgreich. Nach jahrzehntelangem Ringen, dieses Problem zu lösen, besteht heute eher die Meinung, daß die Sprache ihrer eigentlichen Möglichkeiten verlustig geht, wenn sie nur unter technisch-formalem Aspekt genutzt und ihr Phantasiepotential verdrängt wird (vgl. Schneider 1992). Für diese Einsicht steht die Sprachphilosphie Ludwig Wittgensteins.

    Ludwig Wittgenstein (1889-1951) war eine faszinierende Persönlichkeit und ein genialer Denker (vgl. Bartley 1993). Seine Grundthese lautete, daß Philosophie nur als Sprachkritik betrieben werden könne. Doch kaum ein Philosoph vollzog - unter Beibehaltung dieser These - einen stärkeren Wandel in seinen Auffassungen über Funktion und Möglichkeiten der Sprache im Erkenntnisprozeß als Wittgenstein. In einer zuerst 1921 publizierten Abhandlung, die 1929 als Dissertation von der Universität Cambridge angenommen wurde, und dann den Namen „Tractatus logico-philosophicus“ erhielt, setzte sich Wittgenstein mit dem Wesen des Satzes auseinander: Was kann durch einen Satz (allgemein: durch die Sprache) gesagt, was kann nicht gesagt werden? Sinnvolle Sätze sind jene, die etwas aussagen über das Bestehen (oder Nichtbestehen) von Sachverhalten. In diesem Sinne sinnvoll sind für Wittgenstein im „Tractatus“ nur die Sätze der Naturwissenschaft, die er als strukturelles Korrelat zur Wirklichkeit sieht.

    In den 1953 erschienenen „Philosophischen Untersuchungen“ steht Wittgenstein in deutlicher Distanz zur früheren Auffassung im „Tractatus“. In der Spätphilosophie fordert er die Beseitigung aller philosophischen Probleme und gibt der Hoffnung Ausdruck, dies leisten zu können. Denn diese Probleme seien sprachlich verursacht. Wittgenstein will in seiner Spätphilosophie das Auseinanderklaffen zwischen Wissenschafts- und Alltagssprache beseitigen durch stärkere Beachtung der letzteren. Das, was Philosophen als „Wissen“, „Sein“, „Gegenstand“ bezeichneten, habe keinerlei Entsprechung in der gesprochenen Alltagssprache, wohingegen es darum ginge, die metaphysische Verwendung der Wörter auf ihren alltäglichen Gebrauch zurückzuführen (Wittgenstein 1988, S. 300; § 116).

    Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. [...] (Wittgenstein 1988, S. 301; § 119)

    Wittgenstein geht es um ein besseres Verständnis der Funktion der Sprache, deren falsche Verwendung viele erkenntnistheoretische Probleme erst erzeugt habe. Er sieht den Gebrauch der Wörter in der Alltagssprache in Analogie zu jenen Spielen, mit deren Hilfe Kinder ihre Muttersprache erlernen können. Er spricht von einzelnen „Sprachspielen“ bezeichnet aber auch den Gesamtzusammenhang von Sprache und Tun als „Sprachspiel“ (ebenda, S. 241; § 7). Die Untersuchung alltagssprachlicher Ausdrücke im Kontext ihrer Verwendung, die Wittgenstein in vielen kleinen Anläufen vollzieht, läßt ihn zu der Einsicht gelangen, daß in ihnen nicht nur Bedeutungen ausgetauscht, sondern auch implizite Normen und Regeln enthalten sind. Der Einfluß Wittgensteins auf Wissenschaftstheorie, Sprachwissenschaft und die Philosophie der Gegenwart ist bedeutend.



    Strukturalismus - Poststrukturalismus: Die Wende vom Ideal der exakten Wissenschaftssprache zur Entdeckung der vielgestaltigen Alltagssprache hat ihre Entsprechung in jener Ende der sechziger Jahren einsetzenden Abwendung vom Strukturalismus.

    Der Strukturalismus ist eine sprachwissenschaftlich wie völkerkundlich begründete Kulturtheorie - mit einem universalistischen Geltungsanspruch bei gleichzeitigem Desinteresse an historisch-lebensweltlichen Auffassungen. In seiner linguistischen Wurzel geht der Strukturalismus auf den Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857-1913) zurück, der Sprache als strukturiertes, überindividuelles System interpretierte. In seiner völkerkundlichen Wurzel ist der Strukturalismus eng verbunden mit dem Lebenswerk des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss. Insbesondere in den sechziger Jahren war der Strukturalismus eine dominante Theorie innerhalb der Sozialwissenschaften. Er vertrat den Anspruch, den Naturwissenschaften bezüglich Exaktheit und intersubjektiver Überprüfbarkeit nicht nachzustehen. Er hat mit der Systemtheorie eine Reihe von Aspekten gemeinsam, ist allerdings im Gegensatz zu dieser nicht dynamisch-prozeßorientiert, sondern eher statisch.



Strukturalismus ist die Auffassung, daß die menschliche Kultur und ihre Teilbereiche in der Form von Ganzheiten (Strukturen) vorliegen, die mehr sind als nur die Summe jener Einzelheiten, die aus der Ganzheit (der Struktur) zu erschließen sind. In den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen und Kulturbereichen hat der Begriff „Strukturalismus“ zum Teil unterschiedliche Bedeutungen.

Poststrukturalismus entstand als radikale politische Kritik der 68er Jahre in Paris, zum einen als Kritik am Strukturalismus, dessen Ahistorizität und Statik als inakzeptabel gewertet wurde, zum andern als Instrument der Analyse politischer Machtverhältnisse. Der Wandel vom Strukturalismus zum Poststrukturalismus wurde von insbesondere von Lacan, Barthes, Derrida und Foucault im Sinne des Poststrukturalismus vollzogen. Sie werden im folgenden kurz vorgestellt.

Jacques-Marie Lacan (1901-1981) war Psychiater; Psychoanalytiker und Schriftsteller. Lacan faßte die Psychoanalyse als hermeneutische und historische Wissenschaft. Er griff auf die linguistische Strukturtheorie zurück, um Freuds Theorie des Unbewußten neu zu fassen: Lacan entwarf das Unbewußte als ein Ordnungssystem von Zeichen, das in engem Bezug zur Sprache stehe. Er machte auf die Zusammenhänge der Strukturen in der Psychoanalyse und in der Sprache aufmerksam und deutet so die Struktur des Symbolischen. Lacan wandte seine psychoanalytische Konzeption auch auf die Literatur an und gilt als wichtiger Anreger des Strukturalismus. Er betonte (eng in Anlehnung an Freud), daß die Geschlechtswerdung phallischer Natur sei, was zu einer Kontroverse mit Vertreterinnen des Feminismus führte. Lacans sprachphilosophische Arbeiten waren seit den siebziger Jahren in Frankreich besonders einflußreich.



Claude Gustave Lévi-Strauss, (*1908) betrieb Feldforschung in Brasilien, emigirierte 1941 in die USA und lehrte nach dem Krieg wieder in Paris . Er versuchte, die in der Linguistik von Saussure entwickelten Methoden des Strukturalismus auf ethnologische Befunde anzuwenden. So interpretierte er die verschiedenen Formen sozialer Interaktion (Ökonomie, Heirat u.a.) als Austauschsysteme, die den Gesetzen eines allen Produkten des menschlichen Geistes gleichermaßen zugrundeliegenden „strukturalen Unbewußten“ gehorchten. Er ging davon aus, daß sich die menschliche Gesellschaft nach universalen Strukturprinzipien aufbaue. Lévy-.Strauss ging es um den Nachweis, daß es eine gesellschaftliche Fundamentalstruktur gäbe, die zu allen Zeiten bei allen Völkern gleich sei.

Der Literaturkritiker und Publizist Roland Barthes (1915-1980) gilt als Hauptvertreter der „Nouvelle Critique“ - ein Kreis der im Umfeld der Zeitschrift Tel-Quel angesiedelten Literturkritik mit deutlichem Interesse an sprachlicher Reflexion. Barthes markiert den Übergang zum Poststrukturalismus: Er untersuchte soziale und literarische Sachverhalte mit strukturalistischen Methoden. Der Text ist für ihn ein Netz von Zeichen, das ein Neu- und Umschreiben erfordere. Seine Literaturkritik zielt darauf ab, den Leser nicht als Konsumenten, sondern als Produzenten des Textes zu sehen.



Jacques Derrida (*1930) ist neben Michael Foucoult vielleicht der bedeutendste Philosoph Frankreichs der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts. Als Sprach- und Kulturphilosoph war er zunächst Vertreter des Strukturalismus und wollte, beeinflußt von Heidegger und Mallarmé, in seinem ersten Hauptwerk „De la grammatologie“ (1967; deutsch 1974) der Schrift ihre zentrale Bedeutung gegenüber dem Wort zurückgewinnen. Die gesamte abendländische Philosophie von Platon bis Saussure habe der Schrift gegenüber dem gesprochenen Wort immer nur einen nachgeordneten Platz zugewiesen. Der „Logozentrismus“ der abendländischen Philosophie nicht nur ungerechtfertigter „Etnozentrismus“ gegenüber anderen Kulturen, er habe auch die die Schriftsprache zu einem verachtungswürdigen Beiwerk erniedrigt. Die Schrift sei immer nur als dienendes Abbild des Wortes gesehen worden. Schrift ist demgegenüber für Derrida eine ursprüngliche Operation, die es heute wieder freizulegen gelte.

Derrida (1992, S. 44) prägte den Begriff „différance“, der mit der symbolischen Umformung des „e“ in (frz.) „différence“ zum „a“ dem Logozentrismus als „ontisch-ontologische Differenz“ sichtbar entgegentreten will. Derrida spricht von Dekonstruktion. Programm der Grammatologie ist die Dekonstruktion der in der abendländischen Philosophie fixierten Dichotomien von „drinnen“ und „draußen“, „Materie“ und „Geist“ „Schrift“ und „gesprochenem Wort“ Für Derrida erschöpft sich die Schrift nicht - wie bei Saussure - in der Aufgabe, das gesprochene Wortes sichtbar zu machen; sie ist etwas Ursprünglicheres. Derrida kritisiert Rousseau in dessen Essay „Über den Ursprung der Sprache“, weil hier paradigmatisch das logozentrische Programm der abendländischen Philosophie besonders deutlich werde: Bei Rousseau erscheine die Schrift als gefährliches Supplement der Sprache, die sich an die Stelle des gesprochenen Wortes setzen könnte. Derridas Sichtweise bedeutet nicht nur die Aufgabe der zweiwertigen zugunsten einer mehrwertigen Logik bei der Textinterpretation. Er kann mit seinem Standpunkt auch die Formen und Ausdruckssubstanz geschriebener Literatur in ihrer Eigenwertigkeit würdigen. Argumentationstheoretisch ist Derridas Eintreten für die Eigenwertigkeit der Schriftsprache bedeutsam für den Typus der textorientierten (nicht diskursorientierten) Argumentation.

Der Aufruf zum Verzicht auf eine zentrierende Struktur macht Derrida zu einem Wegbereiter von Poststrukturalismus und Postmoderne. In der Praxis führt das nicht zur Abkehr von der Rationalität, sondern zur Dechiffrierung von Texten, die vielfältige Interpretationen zulassen. Derridas Essays spiegeln ein am Rande des traditionellen Philosophieren angesiedeltes Interpretationsbemühen, das von Offenheit und Uneindeutigkeit geprägt ist. Sein Dekonstruktionsprogramm fällt in die politisch heiße Phase der 68er Jahre in Frankreich. In Deutschland wurde seine Bedeutung erst in den achtziger Jahren richtig entdeckt.

Das Werk des Philosophen Michel Foucault (1926-1984) behandelt die Prägung des Subjektes im historischen Zusammenhang der Entstehung der Moderne. Insbesondere die Institutionen der Machtausübung, der Disziplinierung und der Ausgrenzung wurden Gegenstand seiner Analysen. Unter diesem Aspekt untersuchte Foucault die Biologie, die Medizin (insbesondere die Psychiatrie), den Strafvollzug, die Sexualität. Relevante Institutionen und Kulturbereiche werden als „Diskurse“ verstanden, die sich selbst hervorbringen und bestimmte Aussagetypen produzieren - wobei der manifeste Diskurs „nur die repressive Präsenz dessen [ist], was er nicht sagt“ (Foucault 1973, S. 39). Der französische Begriff discours wird von Foucault in einem „schwebenden“ Verständnis gebraucht, das dem deutschen Interpreten einigermaßen Schwierigkeiten bereitet - vor allem wenn man an den Habermas’schen Diskursbegriff denkt.

Die in bestimmten Formen in Erscheinung tretenden Äußerungsformen und Wissensbestände einer Epoche, die die Geschichte einer Zeit repräsentieren, hinterfragt Foucault. Seine Sprachanalyse sucht im historischen Material Übergänge und Brüche, um einen anderen - verborgenen - Diskurs zu entdecken: das „sprechende Subjekt“. Foucault (1973, S. 42 f.), der sich immer wieder bemüht, der Unterstellung zu widersprechen, er betreibe Strukturalismus, geht es „um das Wiederfinden des stummen, murmelnden, unerschöpflichen Sprechens, das von innen die Stimme belebt, die man hört, um die Wiederherstellung des kleinen und unsichtbaren Textes, der den Zwischenraum der geschriebenen Zeilen durchläuft und sie manchmal umstößt.“

Foucault zeigt, daß die Kultur in vielen Bereichen Grenzen errichtet, die einerseits bestimmte Verhaltens- und Denknormen abweisen (und sie zum Unsinn bzw. „Wahnsinn“ deklarieren), andererseits Herrschaftsstrukturen schaffen. Wahrheit wird dementsprechend zum Machtinstrument der bestehenden Ordnungen in der historischen Abfolge der abendländischen Aufklärung und Rationalitätsentfaltung. Zu den wichtigsten Erkenntnissen Foucaults in bezug auf den Umgang mit Sprache gehört die These, daß jede Interpretation eine Form der sozialen Machtausübung sei. Dies gilt im Prinzip auch für die wahrheitsbeweisende Argumentation.

Foucault Kritik an den bestehenden Ordnungen hat keine marxistische Wurzel, sondern ist ein „Spiel“ mit den Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten der Neuverteilung von Macht und Ordnung.“. Er spricht von einer „Geschichte des Wahrheitsspiels“. Ähnlich wie Derrida wollte Foucault im Grunde die Grenze zwischen Rationalität und Unvernunft überwinden, indem er


  1. Rationalität als Ergebnis eines verlustreichen Reduktionsprozesses darstellte (Ausgrenzung von mythischen, religiösen, symbolischen, spirituellen Aussagen);

  2. den „Nullpunkt“ von Rationalität und Unvernunft suchte - und gleichzeitig mit dem Problem konfrontiert war, seine Darstellung historisch wahrheitsgetreu zu leisten.

Postmoderne: Der Poststrukturalismus der siebziger Jahre, der in Frankreich im wesentlichen auf Philosophie, Sprache und Literatur bezogen war, fand darin sein Ende, daß ein neuer programmatischer Begriff die Interpretation der Epoche übernahm, der zuvor in der Architektur eine besondere Rolle spielte: der Begriff der Postmoderne. Von großem Einfluß auf diese Entwicklung waren die Texte von Jean-François Lyotard (1924-1998) (vgl. Lyotard 1986, 1987, 1994). Wenn der späte Wittgenstein noch meinte, der Rückgriff auf die Sprache könne die Probleme der Philosophie beseitigen und Habermas den idealen Diskurs als denknotwendig betrachtete, so ist Lyotard der Ansicht, daß man heute weder der Wissenschaft noch der Sprache eine normsetzende oder problemlösende Universalfunktion zuschreiben könne. Die verschiedenen in Konflikt miteinander stehenden Diskurse, die Gesellschaft prägen, besitzen jeweils ihr eigenes Recht. Sie dürfen nicht unterdrückt werden. Für sie existiert keine oberste Wahrheitsinstanz, sondern immer nur der schwierige Annäherungsversuch an gerechte Entscheidungen.

Die Methode, über die Sprache „Wahrheit“ zu erfahren, orientiert Lyotard an der „Sprachspiel“-Metapher Wittgensteins; damit ist einerseits der Vielfalt der sich durch Gebrauch legitimierenden Sprachformen Rechnung getragen, andererseits Rationalität nicht ausgeschaltet; denn jedes Sprachspiel ist regelgeleitet. Sprechakte sind – und hier greift Lyotard auf die antike Sprachphilosophie zurück – Bestandteil einer „allgemeinen Agonistik“: Aussagen stehen im Widerstreit miteinander, der in der postmodernen „Provokationsarbeit der Sprache“ besonders zum Ausdruck komme. Die agonstische Struktur der Sprache werde allerdings erst im Zusammenhang eines zweiten Prinzips voll verständlich: Das soziale Band der Gesellschaft könne weder technokratisch-leistungsbezogen, noch neomarxistisch begriffen werden; sondern nur von einer pluralistischen Theorie des Wissens, die sowohl „kritische“ als auch „technische“ Komponenten enthalte (Lyotard 1994, S. 41 ff.).

Jenseits des Postmoderneverständnisses von Lyotard produziert die Auslegung dieses Begriffs auch noch ganz andere, seltsam schillernde Welten. Die Vermischung von Stilen, die Verbannung der Prinzipien der Moderne - Rationalität, Fortschritt Aufklärung - zugunsten eines Nebeneinanderbestehens selbstgewählter Werte, Formen, Normen, die Lust an der Unentschiedenheit und Ungeklärtheit der Verhältnisse blieb nicht ohne Folgen für das „Verstehen“ und den „Sinn“ von gesprochener wie geschriebener Sprache. Die Trennung sinnvoller Aussagen von unsinnigen Aussagen, welcher der junge Wittgenstein noch sein ganzes Interesse entgegenbrachte, ist nicht mehr gefragt. Begriffe wie Sinn und Unsinn sind unscharf geworden, werden miteinander vermischt. Ironische Verweisungen, Textcollagen, komplizierte Beziehungsmuster bestimmen die schriftlichen Äußerungsformen, während der große gesellschaftliche Diskurs, dessen Rettung das Habermassche „Projekt der Moderne“ darstellte, in eine Vielzahl bereichs- und interessenspezifischer Dialoge zerfallen ist.

Übriggeblieben sind die Medien. Sie definieren qua Vollzug, was Diskurs ist und was nicht. Ihre Durchmischung von Information, Unterhaltung und Werbung, die ständig abrufbar ist, gibt dem Nutzer ein Höchstmaß an Selbstbestimmung. Die Macht des Rezipienten ist die Ohnmacht des Unbeteiligten. Anders gesagt: Die Ohnmacht des Rezipienten ist die Macht des Unbeteiligten. Postmoderne funktioniert nur in einer Gesellschaft, die sie sich leisten kann. Weder Armut noch Krieg sind postmodern, nur deren mediale Erfahrung für Nichtbetroffene. Der Krieg als Medienereignis - Talkshows mit Experten unter Einblendung voyeristischer Bilder von Zerstörung und Mord, Qual und Entsetzen. Sie indizieren die Funktionalität ernst gemeinter Expertendialoge als dazugehöriges Programm. Foucaults „Archäologie des Wissens“ enthüllt ihren verborgenen Sinn erst im Mediendialog. Die Medienkommunikation ist das eigentliche „Archiv“ des Weltgeschehens. Die Ja-nein-Dichotomien gesellschaftlicher Diskurse werden vom Strom erregender Bilder aufgesogen und miteinander vermischt. Die Parole der Postmoderne: Anything goes!“ findet hier ihre eigentliche Erfüllung. Medienpräsenz ist für die Gesellschaft weder hinterfragbar noch abzuschalten. Es gibt kein Legitimationsproblem für die Medienkommunikation: Sie läuft: Anything goes! Teilhabe am Mediengeschehen, aktiv oder passiv, ist das eigentliche Erfüllungskriterium.

In der historischen Rückblende der folgenden Abschnitte holt uns die Wirklichkeit wieder ein. Im sprachphilosophischen Kontext werden die Anfänge von Rhetorik und Argumentationstheorie aufgezeigt. Es gibt heute nur wenige Sachverhalte im argumentativen Dialog, die nicht schon in der Philosophie und Rhetorik der Antike aufgetreten sind.


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