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einklassigen Dorfschule: mehr nachbarschaftliches
und gemeinschaftliches Leben und Treiben im Dorf
und in der Natur als in der Familie.
Mit Obst versorgten sich viele Dorfbewohner
durch naturalwirtschaftliches Teilen. Wir Kinder
suchten zur Herbstzeit kreuz und quer in vielen
Gärten nach den besten Kruschken (Birnen), Eier-
pflaumen und Äpfeln und halfen uns dabei auch
gegenseitig in die eigenen Gärten. Besonders beliebt
waren die Botterkruschken von Max Bartsch, des-
halb aber auch immer gut bewacht. Bei dem Bauern
Bremer reizten mich immer die unmittelbar an
seinem Gartenzaun stehenden Stachelbeeren zum
Naschen.
An Schlachttagen wurden Nachbarn und Ver-
wandte mit Wurst und Fleisch bedacht. Mir
schmeckte die gut gewürzte Leberwurst von unserer
Nachbarin Else Pallas am besten. Die habe das
Rezept aus Kottow, hieß es.
Das war ein ganz besonderer Anlass für gegenseiti-
ge Hilfe, weil dabei viele Hände für das Rupfen der
Tiere benötigt wurden. Noch gemeinschaftlicher und
andauernder ging es dann beim Feddere striepe,
dem Federnstreifen an den langen Winterabenden
gleich nach Weihnachten zu, an dem sich auch
Kinder beteiligen durften. Unter den Weihnachts-
bäumen standen dann noch die mit grünen Tannen-
zweigen und brennenden Kerzen bedruckten bunten
Gänse
schlach-
ten
Nach-
barschaft-
liches
Leben
und Wirt-
schaften
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Teller, auf denen Heiligabend zur Bescherung neben
eigenen Pfefferkuchen und Plätzchen auch gekaufte
und bestreuselte Schokoladenplätzchen, eine Tafel
Schokolade, eine Apfelsine und auch mal eine neue
Mundharmonika lagen.
Feddere striepe verband sich immer mit gemeinsa-
mem Singen. Weil dabei Daunen umherflogen,
banden sich die Frauen meistens große selbst genäh-
te Wickelschürzen um und versteckten ihre Haare
unter Kopftüchern.
Das größte Vergnügen der Dorfjugend war zur
abendlichen Winterzeit das Schlittenfahren auf der
Dorfstraße im Geleitzug von der Klapper bis zum
Backofen und in der Koppel am Lindenberg bei
Licht von Taschenlampen. Unser Schlitten, ein
Geschenk unserer Berliner Verwandten, war doppelt
so groß wie die anderen und aus exotischem Holz,
wahrscheinlich aus Teakholz. Er fuhr im Geleitzug
immer an der Spitze, auch wenn ein Geleitzug mal
von einem Gespann gezogen oder an einen Acker-
schlitten angehängt wurde, mit dem Holz aus dem
Wald geholt oder Mist auf die Äcker transportiert
wurde.
Der Backofen, den wir von unserer Haustüre und
vom Fenster des Schlafzimmers unserer Eltern sehen
konnten, war der im ganzen Dorf am meisten fre-
quentierte und bedeutendste, vor den Feiertagen
immer im Hochbetrieb. Darin wurde für das halbe
Winter-
sport
Gänse-
federn
streifen
Brot und
Kuchen
backen,
Obst
trocknen
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Meine Schwester und Tante Else am Backofen, 1942
Großmutter am
Spinnrad, 1942
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Dorf Brot und Kuchen gebacken, im Sommer Heidel-
beeren und Kirschen, im Herbst Äpfel, Birnen und
Pflaumen getrocknet. An getrocknete Pilze habe ich
keine Erinnerungen. Sie wurden zur Vorratshaltung
damals wohl nur eingeweckt.
Brotteig wurde in einem großen Trog auf einer
Schubkarre zum Backofen gefahren. Die Frauen
trugen Kuchenbleche unter ihren Armen zum Back-
ofen und nach Hause. Dann verbreitete sich der
Kuchenduft entlang der Dorfstraße bis zum Klapper-
berg. In der aus dem Ofen geholten restlichen Glut
buken wir Kinder noch Kartoffeln. Im Winter konn-
ten wir uns zwischen den Schlittenfahrten am Feuer
des Backofens aufwärmen.
Dort befanden sich ständig eine Stange mit einem
Querholz an der Spitze, mit der die Glut aus dem
Ofen gezogen wurde, außerdem eine Patsche, mit
deren angefeuchteten Tüchern die Aschenreste
aufgenommen wurden, sowie ein Brotschieber, auf
dem die Brote eingeschoben und herausgenommen
wurden. Das Wasser für die Patsche wurde in alten
Zinkeimern mitgebracht, die im ganzen Dorf so
verbeult aussahen, als hätten schon mehrere Genera-
tionen damit hantiert. Wer in seiner Kindheit das
Hantieren mit Zinkeimern erlebt und gehört hat,
sollte sich ihren Klang unbedingt wieder auf Erdbo-
den oder Stein zu unterschiedlichen Tageszeiten
verschaffen. Ich hantiere zur Sommerzeit manchmal
Am
Backofen
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rund um unser Haus mit einem stark verbeulten
Zinkeimer, den Bauhandwerker vor Jahrzehnten
zurückließen, und höre den Aufschlag des Bügels
auf seinen oberen Rand vergnüglich als vertrautes
Echo unvergessener hinterpommerscher Zeiten.
Welche Verwandten uns, und sei es auch nur zu
Geburts- und Feiertagen, schrieben, wie oft uns
während des Krieges eine Feldpost von Bruder Otto
erreichte, welche Briefwechsel meine Eltern und
älteren Geschwister pflegten, erinnere ich nicht
mehr.
Korres-
pondenzen
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