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Mit allen handwerklichen und landwirtschaftli-
chen Arbeiten wie pflügen, eggen, säen, drillen,
ausmisten, Mist fahren und streuen, Kunstdünger
aus der mit einem Schultergurt vor dem Bauch
getragenen Zinkschüssel streuen, Rüben verziehen,
Gras und Getreide mit der Sense mähen sowie der
Planung der täglichen Arbeit wurden Kinder durch
Zuschauen und Zuhören vertraut; die frühe Anwe-
senheit und Mithilfe beim Graben, Pflanzen, Sähen,
Jäten und Ernten im Garten, bei der Versorgung des
Viehs, bei der Heu- und Kartoffelernte und beim
Torfmachen, das Singen und Musizieren im Dorf,
Holz hacken und stapeln, Beeren und Pilze sam-
Bei Arbeit und Dorfleben
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meln, Fischen, Borkenschiffe schnitzen und das
Erkunden der großen Wälder prägten die Kindheit
im ländlichen Hinterpommern unauslöschlich.
Im Alter von etwa zwölf Jahren half ich bei der
Kartoffelernte der Bauernfamilie Bremer und des
Gutes. Auf dem Gut hackten und sammelten wir die
Kartoffeln in einer Reihe von etwa 30 Frauen, Män-
nern und Kindern und erhielten für jede Kiepe vom
Hofmeister Onkel Heinrich eine Wertmarke. Er-
wachsene sammelten zwei Reihen gleichzeitig; ich
begnügte mich mit einer Reihe und war dann immer
einige Meter vorneweg. Nach der Ernte wurden die
Wertmarken eingelöst und das Kartoffelgeld zur
Schule in die Sparkasse gebracht, die jährlich ein-
oder zweimal unter Beteiligung aller Schüler vom
Lehrer geleert wurde. Dabei wurde ausgezählt, wer
die meisten Reichsmark angespart hatte. In diese
Sparkasse gelangten auch die ersten selbstverdienten
Groschen für gesammelte Pfifferlinge und gepflück-
te Blau- und Preiselbeeren. Zusammen mit Geldge-
schenken von Verwandten, vor allem aber durch
manchmal monatlich eingehende großzügige Zu-
wendungen des Soldaten Jupp Bartkiewicz aus
Recklinghausen, sammelten sich bis 1945 immerhin
mehrere Tausender auf meinem Sparkonto an. Jupp
war einige Zeit auf dem Galgenberg im Nachbardorf
Wundichow bei einer Fernmeldeeinheit tätig und
wurde dann mit seiner Einheit nach Ostpreußen
Kartoffeln
sammeln
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versetzt. Durch seine danach einsetzenden unge-
wöhnlich hohen Zuwendungen profitierte ich wohl
unverdient davon, dass er eine anhaltende Verbin-
dung zu meiner Schwester pflegen wollte. Ich kann-
te lange Zeit meinen Sparbetrag sehr genau, habe
ihn aber heute nicht mehr parat. Durch die Kriegser-
eignisse ging das Sparbuch im März 1945 auf der
Flucht meiner Eltern, Großeltern und Geschwister
sang- und klanglos verloren, mein Sparwille übri-
gens langjährig auch. Im Jahre 2000 habe ich Bart-
kiewcz noch über die Telefonauskunft ermittelt,
konnte ihn aber wegen einer altersbedingten Erkran-
kung nicht mehr sprechen.
Als mich meine Mutter zum ersten Male zum
Kartoffelnsammeln bei Bremers mitnahm – es muss
1942 oder 1943 gewesen sein – fragte ich sie: „Mama,
wat kriege wi doar för de Kiep?“ Ihre Antwort war:
„Dat sind uns Noabers, doar helpe wi immer twei
Doag. Doarför nehme wi nuscht.“ Diese Antwort
ging mir nie aus dem Sinn und wurde später zum
Nachbarschaftsgebot meines Lebens.
In Erinnerung ist mir von diesen Tagen aber auch
ein Mittagessen auf freiem Felde: ein mit Kümmel
gewürzter Eintopf aus Weißkohl mit Hammelfleisch,
den ich vorher noch nie gerochen und gegessen
hatte. Selbst bei Regen wurden Kartoffeln gesam-
melt. Dann schützten über den Kopf gestülpte Kar-
toffelsäcke eine Zeit lang vor Nässe. Ein Zipfel am
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unteren Ende des Sackes wurde in den anderen
geschoben, sodass eine größere Zipfelmütze ent-
stand, die den Sack als Regenschutz über den Schul-
tern hielt und auch die Hack- und Sammelbewegun-
gen mit den Armen gestattete.
In den Wäldern nahe des Dorfes gab es viele Blau-
beeren. Oft trafen sich viele Pflücker auf einem Platz,
weil sich so immer gut vergleichen ließ, wer die
meisten Blaubeeren gepflückt und die größten
gefunden hatte. Oft fanden wir auch Pfifferlinge und
Steinpilze, die ich stets lieber sammelte und suchte
als Blaubeeren, Preiselbeeren und die kleinen Wald-
erdbeeren.
Zum Pilzesuchen war ich meistens mit meinem
Großvater unterwegs; er kannte den Wald rund ums
Dorf. In manchen Jahren fand ich mit ihm auf dem
Lindenberg auch Morcheln. Wir sammelten sonst
nur Pfifferlinge und Steinpilze. Beim Förster musste
dafür jedes Jahr ein Sammelschein für 1,50 RM
erworben werden. Noch heute bin ich gedanklich
mit Großvater zu unseren Stellen im Klein Nossiner
Wald unterwegs, wenn zu Beginn der Saison wieder
die ersten Spankörbe mit Pfifferlingen angeboten
werden.
Wenn Großvater gelegentlich unter asthmatischen
Beschwerden litt, nahm er einen Spaten und grub
eine große Meerrettichwurzel aus. Die putzte, rieb
und briet er und verzehrte sie als Medizin. Ich sah
Großva-
ters Heil-
praxis
In die
Blaubee-
ren und
Pilze
gehen
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ihm dabei auch des Öfteren zu, konnte aber nicht
finden, dass sie seine Beschwerden linderte oder gar
heilte. In der Speisekammer setzte er auch immer
einen Wermutschnaps in einer klarsichtigen Flasche
an. Die Wermutstrünke holte er – wie den Meerret-
tich – vom Feldrain zwischen Garten und der riesi-
gen Eiche. Möglich, dass er sie dort selbst gepflanzt
hatte, denn beide Gewächse waren dort in großer
Zahl und sehr üppig vertreten.
Größtes Vergnügen bereitete im Sommer das
Leben an der Schottow. Hier waren ideale Bedingun-
gen für das Anstauen des Wassers, für Spielen und
Trödeln. Forellen, Hechte, Aale, Barsche und Plötzen
waren hier zu beobachten und im seichten Wasser
von Kindern schon die kleinen Wolfsfische und
Stichlinge zu fangen, wenn der Müller Jagnow
eineinhalb Kilometer oberhalb des Baches das Was-
ser anstaute, um es mit größerer Macht auf seine
Wasserräder zu leiten und Korn zu mahlen.
An der Gänseweide vor dem Walde teilte sich der
Bach und umschloss eine größere Insel, hinter der er
sich wieder umso kräftiger vereinigte. An dieser
Stelle befand sich eine tiefe und dunkle Kuhle, an
der wir Kinder mit Vorliebe, aber meistens erfolglos,
unsere selbstgefertigten Angeln auswarfen. Am
sandigen und an dieser Stelle schon oft nachge-
rutschten westlichen Steilufer tauchte eines Nach-
mittags unvermutet der Gutsbesitzer Karl von der
Im
Sommer
an der
Schottow
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