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Strikes und Trades' Unions, nachdem es selbst, fünf Jahrhunderte hindurch, mit schamlosem Egoismus
die Stellung einer permanenten Trades' Union der Kapitalisten gegen die Arbeiter behauptet hatte.
Gleich im Beginn des Revolutionssturms wagte die französische Bourgeoisie das eben erst eroberte Asso-
ziationsrecht den Arbeitern wieder zu entziehn. Durch Dekret vom 14. Juni 1791 erklärte sie alle Arbei-
terkoalition für ein "Attentat auf die Freiheit und die Erklärung der Menschenrechte", strafbar mit 500
Livres nebst einjähriger Entziehung der aktiven Bürgerrechte. Dies Gesetz, welches den Konkurrenz-
kampf zwischen Kapital <770> und Arbeit staatspolizeilich innerhalb dem Kapital bequemer Schranken
einzwängt, überlebte Revolutionen und Dynastiewechsel. Selbst die Schreckensregierung ließ es unange-
tastet. Es ward erst ganz neulich aus dem Code Pénal gestrichen. Nichts charakteristischer als der Vo r-
wand dieses bürgerlichen Staatsstreichs. "Obgleich", sagt Le Chapelier, der Berichterstatter, "es wün-
schenswert, daß der Arbeitslohn höher steige, als er jetzt steht, damit der, der ihn empfängt, außerhalb der
durch die Entbehrung der notwendigen Lebensmittel bedingten absoluten Abhängigkeit sei, welche fast
die Abhängigkeit der Sklaverei ist", dürfen dennoch die Arbeiter sich nicht über ihre Interessen verständi-
gen, gemeinsam handeln und dadurch ihre "absolute Abhängigkeit, welche fast Sklaverei ist", mäßigen,
weil sie eben dadurch "die Freiheit ihrer ci-devant maîtres , der jetzigen Unterneh-
mer", verletzen (die Freiheit, die Arbeiter in der Sklaverei zu erhalten!) und weil eine Koalition gegen die
Despotie der ehemaligen Meister der Korporationen – man rate! – eine Herstellung der durch die franzö-
sische Konstitution abgeschafften Korporationen ist!
4. Genesis der kapitalistischen Produktion
Nachdem wir die gewaltsame Schöpfung vogelfreier Proletarier betrachtet, die blutige Disziplin, welche
sie in Lohnarbeiter verwandelt, die schmutzige Haupt- und Staatsaktion, die mit dem Exploitationsgrad
der Arbeit die Akkumulation des Kapitals polizeilich steigert, fragt sich, wo kommen die Kapitalisten
ursprünglich her? Denn die Expropriation des Landvolks schafft unmittelbar nur große Grundeigentümer.
Was die Genesis des Pächters betrifft, so können wir sie sozusagen mit der Hand betappen, weil sie ein
langsamer, über viele Jahrhunderte sich fortwälzender Prozeß ist. Die Leibeignen selbst, woneben auch
freie kleine Landeigner, befanden sich in sehr verschiednen Besitzverhältnissen und wurden daher auch
unter sehr verschiednen ökonomischen Bedingungen emanzipiert.
<771> In England ist die erste Form des Pächters der selbst leibeigne Bailiff. Seine Stellung ist ähnlich
der des altrömischen Villicus, nur in engerer Wirkungssphäre. Während der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts wird er ersetzt durch einen Pächter, den der Landlord mit Samen, Vieh und Ackerwerkzeug ver-
sieht. Seine Lage ist nicht sehr verschieden von der des Bauern. Nur beutet er mehr Lohnarbeit aus. Er
wird bald Metayer, Halbpächter. Er stellt einen Teil des Ackerbaukapitals, der Landlord den andren. Bei-
de teilen das Gesamtprodukt in kontraktlich bestimmter Proportion. Diese Form verschwindet in England
rasch, um der des eigentlichen Pächters Platz zu machen, welcher sein eignes Kapital durch Anwendung
von Lohnarbeitern verwertet und einen Teil des Mehrprodukts, in Geld oder in natura, dem Landlord als
Grundrente zahlt.
Solange, während des 15. Jahrhunderts, der unabhängige Bauer und der neben dem Lohndienst zugleich
selbstwirtschaftende Ackerknecht sich selbst durch ihre Arbeit bereichern, bleiben die Umstände des
Pächters und sein Produktionsfeld gleich mittelmäßig. Die Agrikulturrevolution im letzten Dritteil des 15.
Jahrhunderts, die fast während des ganzen 16. Jahrhunderts (jedoch mit Ausnahme seiner letzten Dezen-
nien) fortwährt, bereichert ihn ebenso rasch, als sie das Landvolk verarmt. Die Usurpation von Gemein-
deweiden usw. erlaubt ihm große Vermehrung seines Viehstands fast ohne Kosten, während ihm das Vieh
reichlichere Düngungsmittel zur Bestellung des Bodens liefert.
Im 16. Jahrhundert kommt ein entscheidend wichtiges Moment hinzu. Damals waren die Pachtkontrakte
lang, oft für 99 Jahre laufend. Der fortdauernde Fall im Wert der edlen Metalle und daher des Geldes trug
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den Pächtern goldne Früchte. Er senkte, von allen andren, früher erörterten Umständen abgesehn, den
Arbeitslohn. Ein Bruchstück desselben wurde zum Pachtprofit geschlagen. Das fortwährende Steigen der
Preise von Korn, Wolle, Fleisch, kurz sämtlicher Agrikulturprodukte, schwellte das Geldkapital des
Pächters ohne sein Zutun, während die Grundrente, die er zu zahlen hatte, im veralteten Geldwert kontra-
hiert war. So bereicherte er <772> sich gleichzeitig auf Kosten seiner Lohnarbeiter und seines Landlords.
Kein Wunder also, wenn England Ende des 16. Jahrhunderts eine Klasse für die damaligen Verhältnisse
reicher "Kapitalpächter" besaß.
5. Rückwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie.
Herstellung des innern Markts für das industrielle Kapital
<773> Die stoßweise und stets erneuerte Expropriation und Verjagung des Landvolks lieferte, wie man
sah, der städtischen Industrie wieder und wieder Massen ganz außerhalb der Zunftverhältnisse stehender
Proletarier, ein weiser Umstand, der den alten A. Anderson (nicht zu verwechseln mit James Anderson) in
seiner Handelsgeschichte an direkte Intervention der Vorsehung glauben läßt. Wir müssen noch einen
Augenblick bei diesem Element der ursprünglichen Akkumulation verweilen. Der Verdünnung des unab-
hängigen, selbstwirtschaftenden Landvolks entsprach nicht nur die Verdichtung des industriellen Proleta-
riats, wie Geoffroy Saint-Hilaire die Verdichtung der Weltmaterie hier durch ihre Verdünnung dort er-
klärt. Trotz der verminderten Zahl seiner Bebauer trug der Boden nach wie vor gleich viel oder mehr Pro-
dukt, weil die Revolution in den Grundeigentumsverhältnissen von verbesserten Methoden der Kultur,
größerer Kooperation, Konzentration der Produktionsmittel usw. begleitet war und weil die ländlichen
Lohnarbeiter nicht nur intensiver angespannt wurden , sondern auch das Produktionsfeld, worauf sie für
sich selbst arbeiteten, mehr und mehr zusammenschmolz. Mit dem freigesetzten Teil des Landvolks wer-
den also auch seine frühern Nahrungsmittel freigesetzt. Sie verwandeln sich jetzt in stoffliches Element
des variablen Kapitals. Der an die Luft gesetzte Bauer muß ihren Wert von seinem neuen Herrn, dem
industriellen Kapitalisten, in der Form des Arbeitslohns erkaufen. Wie mit den <774> Lebensmitteln ver-
hielt es sich mit dem heimischen agrikolen Rohmaterial der Industrie. Es verwandelte sich in ein Element
des konstanten Kapitals.
Man unterstelle z.B. einen Teil der westfälischen Bauern, die zu Friedrichs II. Zeit alle Flachs, wenn auch
keine Seide spannen, gewaltsam expropriiert und von Grund und Boden verjagt, den andren zurückblei-
benden Teil aber in Taglöhner großer Pächter verwandelt. Gleichzeitig erheben sich große Flachsspinne-
reien und Webereien, worin die "Freigesetzten" nun lohnarbeiten. Der Flachs sieht grad aus wie vorher.
Keine Fiber an ihm ist verändert, aber eine neue soziale Seele ist ihm in den Leib gefahren. Er bildet jetzt
einen Teil des konstanten Kapitals der Manufakturherrn. Früher verteilt unter eine Unmasse kleiner Pro-
duzenten, die ihn selbst bauten und in kleinen Portionen mit ihren Familien verspannen, ist er jetzt kon-
zentriert in der Hand eines Kapitalisten, der andre für sich spinnen und weben läßt. Die in der Flachsspin-
nerei verausgabte Extraarbeit realisierte sich früher in Extraeinkommen zahlloser Bauernfamilien oder
auch, zu Friedrichs II. Zeit, in Steuern pour le roi de Prusse . Sie realisiert
sich jetzt im Profit weniger Kapitalisten. Die Spindeln und Webstühle, früher verteilt über das flache
Land, sind jetzt in wenig große Arbeitskasernen zusammengerückt, wie die Arbeiter, wie das Rohmateri-
al. Und Spindeln und Webstühle und Rohmaterial sind aus Mitteln unabhängiger Existenz für Spinner
und Weber von nun an verwandelt in Mittel, sie zu kommandieren und ihnen unbezahlte Arbeit auszu-
saugen. Den großen Manufakturen, wie den großen Pachtungen, sieht man es nicht an, daß sie aus vielen
kleinen Produktionsstätten zusammengeschlagen und durch die Expropriation vieler kleinen unabhängi-
gen Produzenten gebildet sind. Jedoch läßt sich die unbefangne Anschauung nicht beirren. Zur Zeit Mira-
beaus, des Revolutionslöwen, hießen die großen Manufakturen noch manufactures réunies, zusammenge-
schlagne Werkstätten, wie wir von zusammengeschlagnen Äckern sprechen.