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"Grundherren und Pächter", sagt Dr. Hunter, "handeln hier Hand in. Hand. Wenige Acres zur Cottage
würden den Arbeiter zu unabhängig machen."
Einen neuen furchtbaren Anstoß erhielt der gewaltsame Expropriationsprozeß der Volksmasse im 16.
Jahrhundert durch die Reformation und, in <749> ihrem Gefolge, den kolossalen Diebstahl der Kirchen-
güter. Die katholische Kirche war zur Zeit der Reformation Feudaleigentümerin eines großen Teils des
englischen Grund und Bodens. Die Unterdrückung der Klöster usw. schleuderte deren Einwohner ins
Proletariat. Die Kirchengüter selbst wurden großenteils an raubsüchtige königliche Günstlinge verschenkt
oder zu einem Spottpreis an spekulierende Pächter und Stadtbürger verkauft, welche die alten erblichen
Untersassen massenhaft verjagten und ihre Wirtschaften zusammenwarfen. Das gesetzlich garantierte
Eigentum verarmter Landleute an einem Teil der Kirchenzehnten ward stillschweigend konfisziert. "Pau-
per ubique jacet" <"der Arme ist überall unterjocht">, rief Königin Elisabeth nach einer Rundreise durch
England. Im 43. Jahre ihrer Regierung war man endlich gezwungen, den Pauperismus offiziell anzuer-
kennen durch Einführung der Armensteuer.
"Die Urheber dieses Gesetzes schämten sich, seine Gründe auszusprechen, und schickten es daher, wider
alles Herkommen, ohne irgendein preamble (Eingangsmotivierung) in die Welt."
Durch 16. Car. I., 4 <4. Gesetz aus dem 16. Regierungsjahr Karl I.> wurde es perpetuell erklärt und er-
hielt in der Tat erst 1834 eine neue härtere Form. Diese unmittelbaren Wirkungen der Reformation waren
nicht ihre nachhaltigsten. Das Kircheneigentum bildete <750> das religiöse Bollwerk der altertümlichen
Grundeigentumsverhältnisse. Mit seinem Fall waren sie nicht länger haltbar.
Noch in den letzten Dezennien des 17. Jahrhunderts war die Yeomanry, eine unabhängige Bauerschaft,
zahlreicher als die Klasse der Pächter. Sie hatte die Hauptstärke Cromwells gebildet und stand, selbst
nach Macaulays Geständnis, in vorteilhaftem Gegensatz zu den versoffen Mistjunkern und ihren Bedien-
ten, den Landpfaffen, welche die herrschaftliche "Lieblingsmagd" unter die Haube bringen mußten. Noch
waren selbst die ländlichen Lohnarbeiter Mitbesitzer am Gemeindeeigentum. 1750 ungefähr war die
Yeomanry verschwunden , und in den letzten Dezennien des 18. Jahr- <751> hunderts die letzte Spur von
Gemeindeeigentum der Ackerbauer. Wir sehn hier ab von den rein ökonomischen Triebfedern der Agr i-
kulturrevolution. Wir fragen nach ihren gewaltsamen Hebeln.
Unter der Restauration der Stuarts setzten die Grundeigentümer eine Usurpation gesetzlich durch, die sich
überall auf dem Kontinent auch ohne gesetzliche Weitläufigkeit vollzog. Sie hoben die Feudalverfassung
des Bodens auf, d.h., sie schüttelten seine Leistungspflichten an den Staat ab, "entschädigten" den Staat
durch Steuern auf die Bauerschaft und übrige Volksmasse, vindizierten modernes Privateigentum an Gü-
tern, worauf sie nur Feudaltitel besaßen, und oktroyierten schließlich jene Niederlassungsgesetze (laws of
settlement), die, mutatis mutandis, auf die englischen Ackerbauer wirkten wie des Tataren Boris Godu-
now Edikt auf die russische Bauerschaft.
Die "glorious Revolution" (glorreiche Revolution) brachte mit dem Oranier Wilhelm III. die grundherrli-
chen und kapitalistischen Plusmacher zur Herrschaft. Sie weihten die neue Ära ein, indem sie den bisher
nur bescheiden betriebenen Diebstahl an den Staatsdomänen auf kolossaler Stufenleiter ausübten. Diese
Ländereien wurden verschenkt, zu Spottpreisen verkauft oder auch durch direkte Usurpation an Privat-
güter annexiert. Alles das geschah ohne die geringste Beobachtung gesetzlicher <752> Etikette. Das so
fraudulent angeeignete Staatsgut samt dem Kirchenraub, soweit er während der republikanischen Revolu-
tion nicht abhanden gekommen, bildet die Grundlage der heutigen fürstlichen Domänen der englischen
Oligarchie. Die bürgerlichen Kapitalisten begünstigten die Operation, u.a. um den Grund und Boden in
einen reinen Handelsartikel zu verwandeln, das Gebiet des agrikolen Großbetriebs auszudehnen, ihre
Zufuhr vogelfreier Proletarier vom Lande zu vermehren usw. Zudem war die neue Grundaristokratie die
natürliche Bundesgenossin der neuen Bankokratie, der eben aus dem Ei gekrochnen hohen Finanz und der
damals auf Schutzzölle sich stützenden großen Manufakturisten. Die englische Bourgeoisie handelte für
ihr Interesse ganz so richtig wie die schwedischen Stadtbürger, die umgekehrt, Hand in Hand mit ihrem
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ökonomischen Bollwerk, der Bauerschaft, die Könige in der gewaltsamen Resumption der Kronländerei-
en von der Oligarchie (seit 1604, später unter Karl X. und Karl XI.) unterstützten.
Das Gemeindeeigentum – durchaus verschieden von dem eben betrachteten Staatseigentum – war eine
altgermanische Einrichtung, die unter der Decke der Feudalität fortlebte. Man hat gesehn, wie die gewalt-
same Usurpation desselben, meist begleitet von Verwandlung des Ackerlands in Viehweide, Ende des 15.
Jahrhunderts beginnt und im 16. Jahrhundert fortdauert. Aber damals vollzog sich der Prozeß als indiv i-
duelle Gewalttat, wogegen die Gesetzgebung 150 Jahre lang vergeblich ankämpft. Der Fortschritt des 18.
Jahrhunderts offenbart sich darin, daß das Gesetz selbst jetzt zum Vehikel des Raubs am Volksland wird,
obgleich die großen Pächter nebenbei auch ihre kleinen unabhängigen Privatmethoden anwenden. Die
parlamentarische Form des Raubs ist die der "Bills for Inclosures of <753> Commons" (Gesetze für Ein-
hegung des Gemeindelandes), in andren Worten Dekrete, wodurch die Grundherrn Volksland sich selbst
als Privateigentum schenken, Dekrete der Volksexpropriation. Sir F. M. Eden widerlegt sein pfiffiges
Advokatenplädoyer, worin er das Gemeindeeigentum als Privateigentum der an die Stelle der Feudalen
getretenen großen Grundeigentümer darzustellen sucht, indem er selbst einen "allgemeinen Parlamentsakt
für Einhegung der Gemeindeländereien" verlangt, also zugibt, daß ein parlamentarischer Staatsstreich zu
ihrer Verwandlung in Privateigentum nötig ist, andrerseits aber von der Legislatur "Schadensersatz" für
die expropriierten Armen fordert.
Während an die Stelle der unabhängigen Yeomen tenants-at-will traten, kleinere Pächter auf einjährige
Kündigung, eine servile und von der Willkür der Landlords abhängige Rotte, half, neben dem Raub der
Staatsdomänen, namentlich der systematisch betriebne Diebstahl des Gemeindeeigentums jene großen
Pachten anschwellen, die man im 18. Jahrhundert Kapital-Pachten oder Kaufmanns-Pachten nannte, und
das Landvolk als Proletariat für die Industrie "freisetzen".
Das 18. Jahrhundert begriff jedoch noch nicht in demselben Maß wie das 19. die Identität zwischen Na-
tionalreichtum und Volksarmut. Daher heftigste Polemik in der ökonomischen Literatur jener Zeit über
die "inclosure of commons". Ich gebe aus dem massenhaften Material, das mir vorliegt, einige wenige
Stellen, weil dadurch lebhaft die Zustände veranschaulicht werden.
"In vielen Pfarreien von Hertfordshire", schreibt eine entrüstete Feder, "sind 24 im Durchschnitt 50-150
Acres zählende Pachten in 3 Pachten zusammengeschmolzen." "In Northamptonshire und Lincolnshire
hat die Einhegung der Gemeindeländereien sehr vorgeherrscht und die meisten aus den Einhegungen
entsprungnen neuen Lordschaften sind in Weide verwandelt; infolge davon haben viele Lordschaften jetzt
nicht 50 Acres unter dem Pflug, wo früher 1.500 gepflügt wurden ... Ruinen früherer Wohnhäuser,
Scheunen, Ställe usw." sind die einzigen Spuren der früheren Einwohner. "Hundert Häuser und Familien
sind an manchen Plätzen zusammengeschrumpft ... auf 8 oder 10 ... Der Grundeigentümer in den meisten
Pfarreien, wo <754> die Einhegung erst seit 15 oder 20 Jahren vorging, sind sehr wenige in Vergleich zu
den Zahlen, von denen das Land im offnen Feldzustand bebaut wurde. Es ist nichts Ungewöhnliches, 4
oder 5 reiche Viehmäster große, jüngst eingehegte Lordschaften usurpieren zu sehn, die sich früher in der
Hand von 20-30 Pächtern und von ebenso vielen kleineren Eigentümern und Insassen befanden. Alle
diese sind mit ihren Familien aus ihrem Besitztum herausgeworfen nebst vielen andren Familien, die
durch sie beschäftigt und erhalten wurden."
Es war nicht nur brachliegendes, sondern oft, unter bestimmter Zahlung an die Gemeinde, oder gemein-
schaftlich, bebautes Land, das unter dem Vorwand der Einhegung vom angrenzenden Landlord annexiert
wurde.
"Ich spreche hier vom Einschluß offner Felder und Ländereien, die bereits bebaut sind. Selbst die Schrift-
steller, welche die Inclosures verteidigen, geben zu, daß letztre das Monopol großer Pachtungen vermeh-
ren, die Preise der Lebensmittel erhöhen und Entvölkerung produzieren ... und selbst die Einhegung wü-
ster Ländereien, wie jetzt betrieben, raubt dem Armen einen Teil seiner Subsistenzmittel und schwellt
Pachtungen auf, die bereits zu groß sind." "Wenn", sagt Dr. Price, "das Land in die Hände einiger weniger