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nie tatsachlich gegeben haben muss […].“
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Das Innere der Gegenstände ist
somit nicht in diesen selbst zu finden, sondern konstituiert sich zwischen Sub-
jekt und Objekt als Inhalt einer visionären, durchaus auch projektiven Erfah-
rung.
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Es geht hier nicht darum, die Illusionen eines Moments glücklicher
Hingabe kurzerhand zur Realität zu erklären, sondern vielmehr um das, was
sich in der Differenz von Realität und Illusion zeigt: Das Objekt dieser Erfah-
rung scheint mehr zu sein, als es faktisch ist. Dies ist aber keine Projektion des
selbstherrlichen Geistes, der das Objekt verstümmelt, denn zugleich ist das
erfahrende Subjekt hier nahezu verliebt an sein Objekt hingegeben, entdeckt
also real mehr an ihm, als im Licht des reduktiven Begriffsdenkens zugänglich
wäre. Aber auch vor der Hypostasierung des Objekts wird gewarnt: „Fehlte
Subjekt als Moment am Objekt selber, so würde dessen Objektivität zum
Nonsens.“ (GS 8, 454) Im Modell der Ortsnamen (in der Sache muss es hier
jedoch keineswegs um Ortsnamen gehen)
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zeichnet Adorno den Inhalt einer
konkreten metaphysischen Erfahrung nach, die die Immanenz des Faktischen
übersteigt und über das bloß Seiende „ausschweift“, (vgl. NL IV/14, 219)
womit er dezidiert über Kants Warnung vor der letzteren Tätigkeit hinaus-
gehen will. Diese glückliche Erfahrung weicht, will man sie dingfest machen,
wie der Regenbogen zurück. Sie ist momenthaft, wie jeder Glückszustand:
„Treue hält ihm bloß, der spricht: ich war
glücklich. Das einzige Verhältnis
des Bewußtseins zum Glück ist der Dank: das macht dessen unvergleichliche
Würde aus.“ (GS 4, 126) Dies ist der Grund, aus dem Adornos mystisch-
metaphysische Erfahrungen an der Kindheit festgemacht sind. Es geht nicht
361
Bobka.
Geschichtsphilosophie vom Standpunkt der Erlösung. S. 83.
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Im Hintergrund steht hier die schon in der Dialektik der Aufklärung artikulierte These:
„Zwischen dem wahrhaften Gegenstand und dem unbezweifelbaren Sinnesdatum,
zwischen
innen und außen, klafft ein Abgrund, den das Subjekt, auf eigene Gefahr, überbrücken muß.
Um das Ding zu spiegeln, wie es ist, muß das Subjekt ihm mehr zurückgeben, als es von ihm
erhält.“ (GS 3, 214).
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Adorno beruft sich auch auf andere Kindheitserinnerungen zur Schilderung ähnlicher idio-
synkratischer Erfahrungen, entweder in den Notizen für sein unvollendet gebliebenes Beet-
hoven-Buch: „Deutlich kann ich mich aus meiner Kindheit an den Zauber erinnern, der von
einer Partitur ausgeht, welche die Namen der Instrumente nennt und von jedem genau zeigt,
was es spielt. Flöte, Klarinette, Oboe – das verspricht nicht weniger als farbige Billette oder
Namen von Ortschaften. […] So stark war dieser Zauber, daß ich ihn noch heute fühle, wenn
ich die Pastorale lese, an der er mir wohl zuerst aufging.“ (NL I/1, 21) Anderswo werden die
ersten Mahler-„Erfahrungen“ reflektiert. (vgl. GS 13, 204 f.) Es lässt sich auch argumentieren,
dass sich die flüchtigen Glückserlebnisse der metaphysischen Erfahrung für Adorno über-
haupt an Namen heften, die stets das Individuelle meinen, anders als prädizierende Begriffe,
die auf bestimmte Eigenschaften ausgehen. Vgl. zum Modell des Namens Kapitel 6.3.
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notwendig um infantile Erfahrungen, sondern um solche eines von Besorg-
nis freien Glücks, wie sie wohl kaum jemand als seinen psycho-emotionalen
Dauer zustand beanspruchen könnte.
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Im Hier und Jetzt sind sie höchstens als
erinnerte zugänglich – oder als Gegenstand der Sehnsucht, die sich auf Mög-
lichkeiten und Hoffnungen bezieht. So wird die Totalität in zweifacher Weise
durchbrochen: Dadurch, dass das Glück ihre Geschlossenheit als unwahr ent-
hüllt, sowie dadurch, dass sie sich immanent als widersprüchlich erweist, weil
die moderne Gesellschaft ihre eigenen Versprechen untergraben hat.
„Das Totum ist das Totem. Bewußtsein könnte gar nicht über das Grau verzweifeln,
hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur
im negativen Ganzen nicht fehlt. Stets stammt sie aus dem Vergangenen, Hoffnung
aus ihrem Widerspiel, dem, was hinab mußte oder verurteilt ist; solche Deutung
wäre dem letzten Satz von Benjamins Text über die Wahlverwandtschaften, ‚Nur
um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben‘, wohl angemessen.“
(GS 6, 370 f.)
So außeralltäglich, vereinzelt und – aufs Ganze gesehen – hoffnungslos dieser
Vorschein von Versöhnung im erinnerten Glück jedoch sein mag, er kann für
Adorno die Immanenz des gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs
momenthaft aufbrechen. Dem glücklichen Bewusstsein ist hier ein allego-
rischer, zu enträtselnder Hinweis auf das, was sein könnte, an die Hand gege-
ben, ohne eine konkretistische Utopie auszumalen. In diesem Modell zeigt
sich Adorno das Gegenstück zum kafkaesk Vereinzelten, das in der universa-
len Funktionalisierung der Gesellschaft zerrieben wird. In seinem Brief zur
Negativen Dialektik schrieb Scholem übrigens an Adorno: „Als Motto künftiger
mystischer Vorträge von mir habe ich mir den schönen Satz auf Seite 368
notiert: Das Totum ist das Totem. In dieser Losung dürften wir uns finden!“
([1.3.1967] BW 8, 410)
Funken des messianischen Endes. Was „aus dem Vergangenen“ stammt
und als ohnmächtiges Glück nur durch die Brüche der kapitalistischen Ver-
gesellschaftung schimmert, verweist also doch auf eine zu erhoffende Zukunft.
Den Fokus auf die „versprengte“ Spur der „verschiedenen Farbe“ verfolgt
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„Während in den Interieurs, in denen Menschen wohnen, das Unheil haust, sind Schlupf-
winkel der Kindheit, verlassene Stätten wie das Treppenhaus, solche der Hoffnung.“
(GS 10.1, 286).