136
t
raAitiVn
knA
e
rFahrknn
Adorno an einzelnen Stellen mit Bildern aus der lurianischen Kabbala.
365
Die
Metaphorik von Menschen und Dingen, die an ihre „rechte Stelle“ kommen,
wurde oben schon behandelt.
366
Ein anderes Beispiel ist das berühmte Motiv
vom Bruch der Gefäße der Sefirot, die durch eine kosmogonische Katastrophe
in tausenden von Splittern in die Welt verstreut wurden, als göttliche Lichtfun-
ken, die durch die Taten der Menschen frei werden und die Restitution der zer-
brochenen Schöpfung vorbereiten.
367
Dieser berühmte kabbalistische Mythos
faszinierte Adorno ganz besonders.
368
Er referiert dabei, um das klarzustellen,
niemals die hintergründigen kabbalistischen Ideen, seine Reminiszenzen sind
wieder ausschließlich Details: „Aber die Möglichkeit, das Versprochene herzu-
stellen, bleibt unsicher so wie nur je im dialektischen Materialismus. […] was
in der Immanenz als versprengter Sinn, als ‚Funke‘ des messianischen Endes
der Geschichte umgeistert, wird weder ihr noch selbst ihrer vernunftgemäßen
Einrichtung als Sinn gutgeschrieben“. (GS 11, 243) Überhaupt findet sich in
Adornos gesamtem Werk nicht nur für den Moment, in dem sich eine ver-
söhnte Subjekt-Objekt-Beziehung andeutet, sondern für das Einstellen von
Evidenz überhaupt eine Metaphorik von Blitzen, Strahlen und Funken. Eine
Erkenntnis ‚blitzt‘ auf, Erlösung ‚scheint‘ vor usw.
369
Zuweilen verweist er auf
die kurze Explosion des Feuerwerks als Analogie: „empirisch Erscheinendes,
befreit von der Last der Empirie als einer der Dauer, Himmelszeichen und
hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die doch
nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen läßt.“ (GS 7, 126)
Die Lichtmetaphorik dient zur
Beschreibung der Momente, in
denen die
deutende Rätsellösung gelingt, das Objektive als Intentionsloses momenthaft
sichtbar wird. Dies unterstreicht einmal mehr die Ohnmächtigkeit des Sub-
jekts, eine solche metaphysische Erfahrung willentlich herbeizuführen und
die Abhängigkeit der Erkenntnis von der Sache, um die es ihr geht. Auch
dieser prekäre Status säkularisiert letztlich eine religiöse Idee: Es hängt nicht
365
Vgl. zum Kontext Necker.
Einführung in die lurianische Kabbala, Fine.
Physician of the Soul, Schul-
te.
Zimzum, sowie Kapitel 2.2, 2.3 und 2.4.
366
Vgl. dazu Kapitel 2.4.
367
Vgl. dazu Brumlik.
Theologie und Messianismus im Denken Adornos. S. 98, Liedke.
Naturgeschichte
und Religion. S. 427 sowie Kapitel 6.3 im Abschnitt „Das Böse als versprengte Manifestation
zerstückter göttlicher Gewalt“.
368
Vgl. dazu Kapitel 2.3.
369
Vgl. dazu wie zur hier implizierten Evidenztheorie der Wahrheit das Kapitel „Blitze, Funken,
Sterne“ bei Wussow.
Logik der Deutung. S. 197 ff.
t
raAitiVn
knA
e
rFahrknn
137
vom Menschen ab, ob Gott sich zeigen will. Mystische wie metaphysische
Erfahrungen mögen sich vielmehr unerwartet und augenblickshaft darstellen
und dauern – wie das Feuerwerk – nicht an. Trotzdem: „Kein Licht ist auf
den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene.“ (GS 6,
397) Wo immer das Kleinste der Geschlossenheit des Weltlaufs widerspricht,
leuchtet es demnach dem Subjekt als Funke, der in einer anders eingerichteten
Welt frei würde. Die Grundmotive seiner „inversen Theologie“ reformulie-
rend antwortete Adorno 1939 in einer Diskussion mit Horkheimer:
„Sie haben bei mir zwei Momente sehr genau charakterisiert: einmal, daß ich im
Grunde der Überzeugung bin, daß die Positivisten nicht recht haben, wenn sie
recht hätten, wäre die Welt die Hölle. Auf der andern Seite habe ich aber auch keine
Geheimlehre. Ich glaube aber, daß die Art Blick, die ich habe, so ist, daß sie an den
Dingen den Widerschein eben jener Lichtquelle findet, die nicht der Gegenstand
von Intentionen und Gedanken sein kann.“
370
Dies in kabbalistischen Bildern auszudrücken, hat Adorno offenbar wider-
strebt. In seinem
Gruß an Gershom G. Scholem findet sich etwa Formulierung
von der „Apokatastasis, von der endlichen Erlösung auch der absolut Bösen“
(GS 20.2, 486) und nicht etwa die Rede vom lurianischen Tikkun Olam.
371
Metaphorisch ist diese Idee bei ihm jedoch gelegentlich gegenwärtig. Wenn
in
den Notizen zu seiner
Vorlesung über negative Dialektik etwa das Denken auf
„eine Idee von restitutio ad integrum“ verwiesen wird, „an den Stücken, die
es selbst geschlagen hat“ (NL IV/16, 163), verweist der Herausgeber Rolf
Tiedemann wohl zurecht darauf, dass hier eine „Erinnerung“ an den Bruch
der Gefäße und die Restitution des durch den Bruch entstandenen „Makels“
vorliege. (a. a. O., 316) In einem Aufsatz über Schönberg werden die „bedeu-
tendsten Kunstwerke“ als diejenigen bestimmt, „welche nach einem Äußers-
ten trachten; die darüber zerschellen und deren Bruchlinien zurückbleiben als
Chiffren der unnennbaren obersten Wahrheit.“ (GS 16, 455) In der
Negati-
ven Dialektik ist die Rede von zertrümmerten „Schalen“ des subsumierenden
Oberbegriffs, gegenüber dem die „kleinsten innerweltlichen Züge […] Rele-
vanz fürs Absolute“ gewinnen. (GS 6, 400) Dass es hier um ein „mystisches
370
Horkheimer / Adorno.
Diskussionen über Sprache und Erkenntnis. S. 505.
371
Astrid Deuber-Mankowski erblickt darin einen Hinweis auf Dostojewski. (vgl. Deuber-
Mankowski.
Eine Art von Zutrauen. S. 184).