Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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Adorno an einzelnen Stellen mit Bildern aus der lurianischen Kabbala.
365
 Die 
Metaphorik von Menschen und Dingen, die an ihre „rechte Stelle“ kommen, 
wurde oben schon behandelt.
366
 Ein anderes Beispiel ist das berühmte Motiv 
vom Bruch der Gefäße der Sefirot, die durch eine kosmogonische Katastrophe 
in tausenden von Splittern in die Welt verstreut wurden, als göttliche Lichtfun-
ken, die durch die Taten der Menschen frei werden und die Restitution der zer-
brochenen Schöpfung vorbereiten.
367
 Dieser berühmte kabbalistische Mythos 
faszinierte Adorno ganz besonders.
368
 Er referiert dabei, um das klarzustellen, 
niemals die hintergründigen kabbalistischen Ideen, seine Reminiszenzen sind 
wieder ausschließlich Details: „Aber die Möglichkeit, das Versprochene herzu-
stellen, bleibt unsicher so wie nur je im dialektischen Materialismus. […] was 
in der Immanenz als versprengter Sinn, als ‚Funke‘ des messianischen Endes 
der Geschichte umgeistert, wird weder ihr noch selbst ihrer vernunftgemäßen 
Einrichtung als Sinn gutgeschrieben“. (GS 11, 243) Überhaupt findet sich in 
Adornos gesamtem Werk nicht nur für den Moment, in dem sich eine ver-
söhnte Subjekt-Objekt-Beziehung andeutet, sondern für das Einstellen von 
Evidenz überhaupt eine Metaphorik von Blitzen, Strahlen und Funken. Eine 
Erkenntnis ‚blitzt‘ auf, Erlösung ‚scheint‘ vor usw.
369
 Zuweilen verweist er auf  
die kurze Explosion des Feuerwerks als Analogie: „empirisch Erscheinendes, 
befreit von der Last der Empirie als einer der Dauer, Himmelszeichen und 
hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die doch 
nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen läßt.“ (GS 7, 126)
Die Lichtmetaphorik dient zur Beschreibung der Momente, in denen die 
deutende Rätsellösung gelingt, das Objektive als Intentionsloses momenthaft 
sichtbar wird. Dies unterstreicht einmal mehr die Ohnmächtigkeit des Sub-
jekts,  eine  solche  metaphysische  Erfahrung  willentlich  herbeizuführen  und 
die  Abhängigkeit  der  Erkenntnis  von  der  Sache,  um  die  es  ihr  geht.  Auch 
dieser prekäre Status säkularisiert letztlich eine religiöse Idee: Es hängt nicht 
365 
Vgl. zum Kontext Necker. 
Einführung in die lurianische Kabbala, Fine. Physician of  the Soul, Schul-
te. 
Zimzum, sowie Kapitel 2.2, 2.3 und 2.4.
366 
Vgl. dazu Kapitel 2.4.
367 
Vgl. dazu Brumlik. 
Theologie und Messianismus im Denken Adornos. S. 98, Liedke. Naturgeschichte 
und Religion. S. 427 sowie Kapitel 6.3 im Abschnitt „Das Böse als versprengte Manifestation 
zerstückter göttlicher Gewalt“.
368 
Vgl. dazu Kapitel 2.3.
369 
Vgl. dazu wie zur hier implizierten Evidenztheorie der Wahrheit das Kapitel „Blitze, Funken, 
Sterne“ bei Wussow. 
Logik der Deutung. S. 197 ff.


 
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vom  Menschen  ab,  ob  Gott  sich  zeigen  will.  Mystische  wie  metaphysische 
Erfahrungen mögen sich vielmehr unerwartet und augenblickshaft darstellen 
und dauern – wie das Feuerwerk – nicht an. Trotzdem: „Kein Licht ist auf  
den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene.“ (GS 6, 
397) Wo immer das Kleinste der Geschlossenheit des Weltlaufs widerspricht, 
leuchtet es demnach dem Subjekt als Funke, der in einer anders eingerichteten 
Welt frei würde. Die Grundmotive seiner „inversen Theologie“ reformulie-
rend antwortete Adorno 1939 in einer Diskussion mit Horkheimer: 
„Sie haben bei mir zwei Momente sehr genau charakterisiert: einmal, daß ich im 
Grunde  der  Überzeugung  bin,  daß  die  Positivisten  nicht  recht  haben,  wenn  sie 
recht hätten, wäre die Welt die Hölle. Auf  der andern Seite habe ich aber auch keine 
Geheimlehre. Ich glaube aber, daß die Art Blick, die ich habe, so ist, daß sie an den 
Dingen den Widerschein eben jener Lichtquelle findet, die nicht der Gegenstand 
von Intentionen und Gedanken sein kann.“
370
Dies  in  kabbalistischen  Bildern  auszudrücken,  hat  Adorno  offenbar  wider-
strebt. In seinem 
Gruß an Gershom G. Scholem findet sich etwa Formulierung 
von der „Apokatastasis, von der endlichen Erlösung auch der absolut Bösen“ 
(GS 20.2, 486) und nicht etwa die Rede vom lurianischen Tikkun Olam.
371
 
Metaphorisch ist diese Idee bei ihm jedoch gelegentlich gegenwärtig. Wenn 
in den Notizen zu seiner 
Vorlesung über negative Dialektik etwa das Denken auf 
„eine Idee von restitutio ad integrum“ verwiesen wird, „an den Stücken, die 
es selbst geschlagen hat“ (NL IV/16, 163), verweist der Herausgeber Rolf  
Tiedemann wohl zurecht darauf, dass hier eine „Erinnerung“ an den Bruch 
der Gefäße und die Restitution des durch den Bruch entstandenen „Makels“ 
vorliege. (a. a. O., 316) In einem Aufsatz über Schönberg werden die „bedeu-
tendsten Kunstwerke“ als diejenigen bestimmt, „welche nach einem Äußers-
ten trachten; die darüber zerschellen und deren Bruchlinien zurückbleiben als 
Chiffren der unnennbaren obersten Wahrheit.“ (GS 16, 455) In der 
Negati-
ven Dialektik ist die Rede von zertrümmerten „Schalen“ des subsumierenden 
Oberbegriffs, gegenüber dem die „kleinsten innerweltlichen Züge […] Rele-
vanz fürs Absolute“ gewinnen. (GS 6, 400) Dass es hier um ein „mystisches 
370 
Horkheimer / Adorno. 
Diskussionen über Sprache und Erkenntnis. S. 505.
371 
Astrid  Deuber-Mankowski  erblickt  darin  einen  Hinweis  auf   Dostojewski.  (vgl.  Deuber- 
Mankowski. 
Eine Art von Zutrauen. S. 184).


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