Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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Motiv“ geht, legt allerdings nur eine Zwischenabschrift dieses Textes offen.
372
 
Aber nicht die Berufung auf  Kabbala, sondern die müßige Ausmalung einer 
erlösten Welt war es, die Adorno letzten Endes von dem allzu wörtlichen Ein-
bau lurianischer Mythen abhielt – kein in der deformierten und deformieren-
den Gesellschaft zugerichtetes Wesen könnte sich eine heile Welt vorstellen, 
eine allzu sichere Anlehnung an konkrete Erzählungen oder Mythen mit ihrer 
unbefangenen Bildhaftigkeit wäre müßige Spekulation oder neue Ideologie. 
Sofern jedoch der Gedanke utopisch das „Andere“ ertasten will, findet er nach 
Adorno „nirgends Schutz als in der dogmatischen Tradition.“ (GS 6, 398) Das 
ist – über die angesprochene Rehabilitierung des Traditionsbegriffs hinaus – 
durchaus kritisch gemeint. In seinem Aufsatz 
Blochs Spuren schildert er dies 
ausführlicher:
„Die  mystischen  Meditationen  jedoch,  in  denen  die  Überlieferung  des  Funkens 
beheimatet ist, setzten dogmatische Lehrgehalte voraus, um sie durch Deutung 
zu  vernichten:  sei  es  die  jüdischen  der  Thora  als  heiligen  Textes,  sei  es  die 
christologischen. Mystik ohne den Anspruch eines Offenbarungskerns exponiert 
sich  als  bloße  Bildungsreminiszenz.  Blochs  Philosophie  des  Scheins,  der  solche 
Autorität  unwiederbringlich  dahin  ist,  schreckt  davor  so  wenig  zurück  wie  die 
mystischen Ausläufer der großen Religionen in deren aufgeklärter Endphase […].“ 
(GS 11, 243)
Adornos kabbalistische Anspielungen auf  einen erlösten Zustand sind wohl 
deshalb  so  wenige,  weil  die  Autorität  der  offenbarten  Texte  für  ihn  eben 
„unwiederbringlich  dahin“  ist  und  sich  so  die  Exegese  profaner  Schriften 
empfiehlt. Gerade die jüdische Mystik, die überlieferte Lehrgehalte deutend 
vernichte, weist für ihn darauf  hin, dass die kabbalistischen Erzählungen in 
aufgeklärte  Bilder  münden  müssen.  Den  prekären  Status  auch  der  eigenen 
„Mystik“,  die  ohne  „Offenbarungskern“  zur  „Bildungsreminiszenz“  ver-
komme, hat Adorno also realisiert, das Dilemma jedoch nicht als Theorie-
problem, sondern objektive Lage erkannt: Unproblematische Mystik ist nicht 
(mehr) zu haben; an sie erinnert höchstens eine Position, die diesen Zustand 
anerkennt und den Mangel unverblümt ausspricht.
373
372 
Vgl. zum „mystischen Motiv, die kleinsten innerweltlichen Züge hätten Relevanz fürs Abso-
lute.“ (
Negative Dialektik, 2. Fassung des 3. Modells [TWAA, Ts 16015]).
373 
Vgl. Wasserstrom. 
Adorno’s Kabbalah. S. 76.


 
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Vergebliches  Warten.  Zur  Negativität  metaphysischer  Erfahrung. 
Obwohl hier vor allem die von Adorno betonte „Konstellation“ von Glücks- 
und metaphysischer Erfahrung diskutiert wurde, muss betont werden, dass 
beide nicht identisch sind. Es geht in Adornos Modell der metaphysischen 
Erfahrung nicht nur um die Erinnerung an Glückliches, wichtig ist vielmehr 
dessen Vergegenwärtigung im „Zurückweichen“, d. h. einem Moment, in dem 
das Gegebene als fraglich und relativ erscheint. Im genauen Gegensatz zu Wil-
helm Weischedel geht es Adorno nicht um die Erfahrung des Seins oder des 
Seinsgrundes, sondern darum, das konkret Daseiende als kontingent zu erfah-
ren: Es könnte anders sein.
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 Nicht umsonst ist eine weitere „Schicht“ meta-
physischer Erfahrung, die Adorno als „vielleicht noch viel entscheidendere“ 
anspricht, die „des déjà vu, die Erfahrung: wann habe ich das schon einmal 
gesehen […].“ (NL IV/14, 219) Insofern ist metaphysische Erfahrung nach 
Adorno doch nicht der Vorschein von Versöhnung, den das Glück gewährt. 
Oder zumindest liegt darin nicht ihr Hauptakzent, sondern in der reflexiven 
Distanz  vom  Bestehenden,  die  dadurch  ermöglicht  wird.  So  entziehen  die 
Inhalte dieser Erfahrung sich der Möglichkeit, aus ihnen eine positive Utopie 
abzuleiten. Das Licht des Funkens zeigt nicht die wieder zusammengesetzte 
Welt, deren Teil er werden mag, sondern die Trümmer der alten. In seinen 
Zehn unhistorischen Sätzen über Kabbala, die Adorno kannte und schätzte, (vgl. 
BW 8, 278)
375
 schreibt Scholem über die Spiegelung des Absoluten im Medium 
der Tradition von einer ‚verdunkelten‘ Erkenntnis, die nicht über die Imma-
nenz hinausgelangt, „denn noch Gott selbst ist ja Tora, und die Erkenntnis 
kann nicht herausführen. Es ist etwas unendlich Trostloses um die Aufstellung 
der  Gegenstandslosigkeit  der  höchsten  Erkenntnis.“
376
  Zur  Quelle  vermag 
sie nicht vorzudringen, sondern bleibt im kommentierenden Medium: unan-
wendbar und seltsam gegenstandslos. Dasselbe trifft auf  die hier geschilderten 
Überlegungen Adornos zu, deren unsicheren Status er noch in die Reflexion 
aufnimmt. „Alle metaphysischen Erfahrungen“, schärfte er den Hörern seiner 
Metaphysik-Vorlesung 1965 „lehrsatzartig“ ein, „sind fehlbar.“ Als empirische, 
nicht-begriffliche seien sie ohnehin nicht fixierbar, aber darüber hinaus auch 
flüchtige  Erfahrungen  „die  mir  zukommen  und  die  damit  auch  immer  die 
Möglichkeit haben, daß sie mir nicht zukommen, daß sie mir nicht zufallen.“ 
374 
Vgl. Weischedel. 
Zum Problem der metaphysischen Erfahrung.
375 
Die Originalfassung von 1958 enthielt nur neun Thesen.
376 
Scholem. 
Zehn unhistorische Sätze über Kabbala. S. 265.


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