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Sehnsucht in ihrer unvermeidlichen Profanisierung. In ästhetischen Katego-
rien lässt sich noch ein Schein von utopischer Transzendenz einfangen. So
wird die Kunst ‚theologisch‘ politisiert, nicht die Theologie (oder die Politik)
ästhetisiert. Auch Kunstwerke sind dabei freilich nicht außerhalb ihres kon-
kreten soziohistorischen Werdeprozesses zu verstehen: Der größte Teil von
Adornos ästhetischen Analysen besteht in der Freilegung eines gesellschaft-
lichen Gehalts. Er legte jedoch Wert darauf, die musikalischen Analysen so
anzulegen, „daß sie über sich hinausweisen: die technologischen Tatbestände
zum Sprechen bringen.“ (BW 8, 226) Denn (gelungene) Kunstwerke haben
eine eigene Sprache: Sie reproduzieren die gesellschaftliche Totalität, aber ver-
fremdet und transzendiert durch die Eigenlogik des jeweiligen künstlerischen
Ausdrucks und stellen ihr somit eine eigene, bis zu einem gewissen Grad
autonome Totalität gegenüber. Sie erinnern demnach an Leibniz’sche Mona-
den: „each […] ‚represents‘ the universe, but it has no windows; it represents
the universal within its own walls.“ (GS 11, 652) In diesem Sinne gewinnt
Adorno sein Modell „inverser Theologie“ an der Interpretation von Kunst-
werken, denen eine miniaturhafte „Formkonstruktion des Ganzen“ gelingt.
(vgl. GS 19, 193 f.) In der Kunstkritik aktualisiert sich der Gestus „auslegender
Versenkung“, womit das Werk zum „profanen Text“ wird.
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Was nur „vom
Standpunkt der Erlösung“ ansichtig würde, kann die Kunst wenigstens andeu-
tungsweise erfahrbar und der weiteren Reflexion zugänglich machen:
„Die üblichen Invektiven gegen das kommerzielle Unwesen in der Musik sind
oberflächlich. Sie täuschen darüber, wie sehr Phänomene, die den Kommerz,
den Appell an ein bereits als Kundschaft eingeschätztes Publikum voraussetzen,
in kompositorische Qualitäten umzuschlagen vermögen, durch welche die
kompositorische Produktivkraft entfesselt und gesteigert wird. Man mag das
in Gestalt einer umfassenderen Gesetzmäßigkeit formulieren: gesellschaftliche
Zwänge, die anscheinend der Musik äußerlich widerfahren, werden von deren
autonomer Logik und dem kompositorischen Ausdrucksbedürfnis absorbiert
und verwandelt in künstlerische Notwendigkeit: in Stufen richtigen Bewußtseins.“
(GS 17, 172)
Langthaler schlägt ohne weitere Umstände das „vergebliche Warten“ metaphysischer Er-
fahrung der ästhetischen zu, um Adorno anschließend nachzutragen, den Aufweis „einer
ästhetischen Aufhebung der jener ‚metaphysischen Erfahrung‘ immanenten Sinnpotentiale
(und damit der ‚Hoffnungsgestalt‘ der Wahrheit) in die ‚Negativität im Kunstwerk‘“ schuldig
zu bleiben. (Langthaler.
„Es käme nicht darauf an“. S. 257 f.) Der Vorwurf der Ästhetisierung
findet sich schon bei Jacob Taubes. (
Die politische Theologie des Paulus. S. 103 ff.).
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Vgl. Kapitel 5.2 im Abschnitt „Auslegende Versenkung in überlieferte Schriften“.
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Gelungene Kunstwerke verweisen somit auf die Erlösung, „verkörpern
durch ihre Differenz von der verhexten Welt negativ einen Stand, in dem,
was ist, an die rechte Stelle käme, an seine eigene. Ihr Zauber ist Entzaube-
rung.“ (GS 7, 337) Der ästhetische Schein „entzaubert die entzauberte Welt“,
(a. a. O., 93) kehrt deren Prinzipien gegen sich selbst.
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Nach einer präziseren
Formulierung im selben Buch wird die im Kunstwerk erschaffene „Welt in
ihrer Komposition aus den Elementen der ersten versetzt, gemäß den jüdi-
schen Beschreibungen
vom messianischen Zustand,
der in allem sei wie der
gewohnte und nur um ein Winziges anders.“ Diese Welt sei jedoch „von nega-
tiver Tendenz gegen die erste, eher Zerstörung dessen, was durch vertraute
Sinne vorgespiegelt wird, als Versammlung der zerstreuten Züge des Daseins
zum Sinn.“ (a. a. O., 208 f.) Das Programm einer theologisch-utopischen „Ret-
tung des Scheins“ hat Adorno bereits in der Kierkegaard-Schrift gegen dessen
existenzialistische Verlegung ins Subjekt verteidigt: „Schein, der in der Ferne
der Bilder dem Denken als Gestirn der Versöhnung strahlt: im Abgrund der
Innerlichkeit brennt er als verzehrendes Feuer. Hier wäre er aufzusuchen und
zu benennen, soll dort der Erkenntnis seine Hoffnung nicht verloren gehen.“
(GS 2, 98)
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Die an Hegel und Schelling geschulte, jedenfalls enge Verzahnung
von Kunst und Theologie, die beide in der metaphysischen Erfahrung kulmi-
nieren, wirft für Adorno freilich auch die Frage auf, „ob nach dem Zusam-
menbruch der Theologie große Kunst überhaupt noch möglich ist, während
man doch wiederum um der Kunst willen Theologie nicht konservieren kann.
Und die Perspektive, die sich dabei eröffnet, reicht noch weit darüber hinaus,
ins Abgründige.“
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In ähnlichem Sinne gestand schon Kracauer in seinem Essay
Zwei Arten der Mitteilung (1929)
neben der negativistischen Kritik („Ökonomie statt explizite Theologie!“) auch den direkten
ästhetischen Hinweis auf Transzendenz zu. (vgl. KW 5.3, 180 ff.).
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Wie Kracauers
Detektiv-Roman (vgl. KW 1) setzt Adorno hier allerdings einen Ästhetik-
Begriff im Sinne des Kierkegaardschen Stufenmodells voraus, den man von der späteren
Kunstkritik zu differenzieren hat. Vgl. ferner zur „Ideologie der Innerlichkeit“ Angermann.
Beschädigte Ironie. S. 155–167.
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Adorno an Werner Kraft, 1. März 1960 (TWAA, Br 810/17). In den
Theses Upon Art and Re-
ligion today heißt es in ähnlicher Richtung: „The individual may be capable of having religious
experiences. But positive religion has lost its character as objective, all-comprising validity, its
supra-individual binding force. It is not longer an unproblematic, a priori medium within each
person exists without questioning.“ (vgl. GS 11, 647).