Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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6.2 Die Sprache der Engel.  
Paradoxien von Negativismus und Hoffnung in der Musik
Der rein symphonische Satz als Klage Gottes. Seinen zentralen theologi-
schen Thesen hat Adorno in einem Brief  an Thomas Mann, dessen Roman 
Doktor Faustus er musikphilosophisch bis in narrative Details begleitete und 
prägte,  geradezu  literarisch  Ausdruck  verliehen.
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  Im  Zentrum  von  Manns 
Roman steht der Komponist Adrian Leverkühn, für dessen Kantate 
Doktor 
Fausti Weheklag Adorno eine Skizze verfasste. Dieser Entwurf stellt eine sehr 
bildhafte Umschreibung seiner eigenen negativistischen Metaphysik dar, deren 
Inhalte er der formalen Struktur des skizzierten Musikstücks einschrieb:
„Die Idee der Klage der Kreatur, die vom Subjekt ihren Ausgang nimmt aber immer 
mehr sich ausbreitet und gleichsam den Kosmos ergreift. Der rein symphonische 
Satz als Klage Gottes: Ich habe es nicht gewollt. […] Jede Variation, ein ganzer 
Satz, entspricht einem neuen Kreis der Klage und zieht einen neuen unaufhaltsam 
nach sich. […] ‚Es gibt eben nichts Neues, das ist die Klage‘, sagt Adrian. […] Die 
Idee, daß das fragend Negative als Allegorie der Hoffnung steht.“ (BW 3, 160 f.)
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Vgl.  zum  Kontext  Mann. 
Die Entstehung des Doktor Faustus,  Tiedemann.  „Mitdichtende 
Einfühlung“.
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Poetisch hat freilich die Ausarbeitung dieser Stelle durch den Schriftsteller die Leistung des 
Denkers übertroffen: „Aber einer anderen und letzten, wahrhaft letzten Sinnesverkehrung 
will gedacht, und recht von Herzen gedacht sein, die am Schluß dieses Werkes unendlicher 
Klage leise, der Vernunft überlegen und mit der sprechenden Unausgesprochenheit, welche 
nur der Musik gegeben ist, das Gefühl berührt. Ich meine den orchestralen Schlußsatz der 
Kantate, in den der Chor sich verliert, und der wie die Klage Gottes über das Verlorengehen 
seiner Welt, wie ein kummervolles ‚Ich habe es nicht gewollt‘ des Schöpfers lautet. Hier, finde 
ich, gegen das Ende, sind die äußersten Akzente der Trauer erreicht, ist die letzte Verzweif-
lung Ausdruck geworden, und – ich will’s nicht sagen, es hieße die Zugeständnislosigkeit 
des Werkes, seinen unheilbaren Schmerz verletzen, wenn man sagen wollte, es biete bis zu 
seiner letzten Note irgendeinen anderen Trost als den, der im Ausdruck selbst und im Laut-
werden, – also darin liegt, dass der Kreatur für ihr Weh überhaupt eine Stimme gegeben ist. 
Nein, dies dunkle Tongedicht lässt bis zuletzt keine Vertröstung, Versöhnung, Verklärung zu. 
Aber wie, wenn der künstlerischen Paradoxie, daß aus der totalen Konstruktion sich der Aus-
druck – der Ausdruck als Klage – gebiert, das religiöse Paradoxon entspräche, daß aus tiefster 
Heillosigkeit, wenn auch als leiseste Frage nur, die Hoffnung keimte? Es wäre die Hoffnung 
jenseits der Hoffnungslosigkeit, die Transzendenz der Verzweiflung, – nicht der Verrat an 
ihr, sondern das Wunder, das über den Glauben geht. Hört nur den Schluß, hört ihn mit 
mir: Eine Instrumentengruppe nach der anderen tritt zurück, und was übrigbleibt, womit das 
Werk verklingt, ist das hohe g eines Cellos, das letzte Wort, der letzte verschwebende Laut, in 
Pianissimo-Fermate langsam vergehend. Dann ist nichts mehr, – Schweigen und Nacht. Aber 
der nachschwingend im Schweigen hängende Ton, der nicht mehr ist, dem nur die Seele noch 
nachlauscht, und der Ausklang der Trauer war, ist es nicht mehr, wandelt den Sinn, steht als 
ein Licht in der Nacht.“ (Mann. 
Doktor Faustus. S. 650 f.).


 
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„Ich habe es nicht gewollt“ – Nicht nur die Metaphysik, sondern auch Gott 
als ihr ontologischer Grund- und Schlussstein ist diesem Bild nach schockhaft, 
konsterniert auf  das innerweltliche Geschehen festgebannt. In der beschädig-
ten Welt gibt es, so konstatiert Adorno in Adrian Leverkühn, „nichts Neues“ 
und  darüber,  also  über  den  mythischen  Verblendungszusammenhang  der 
gesellschaftlichen Totalität, klagt die Kreatur, ja die Gottheit selbst.
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 Diese 
Klage  über  das  unentrinnbar  Immergleiche,  die  zugleich  Transzendentes 
anrührt, illustriert die Gründe für die negative Schlagseite der Adornoschen 
Philosophie  überhaupt:  Nur  das  vollumfängliche  Bewusstsein  für  die  Ver-
härtung der  Gesellschaft  steht noch  für  die  Möglichkeit von  deren  Durch-
brechung ein, nur die Abweisung jeder tröstenden Ideologie für einen fernen 
Trost, nur „das fragend Negative als Allegorie der Hoffnung.“ Im Folgenden 
werden letztlich verschiedene Variationen dieses Grundgedankens zu bespre-
chen sein. Manche Stellen legen dabei nahe, dass Adorno den musikalischen 
Griff  nach der Hoffnung, den er Mann gegenüber theologisch formulierte, 
konkreter als 
mystisches Motiv verstanden hat. Über eine Stelle aus Beethovens 
Les Adieux heißt es in den Notizen für seine unvollendet gebliebene Mono-
graphie 
Beethoven. Philosophie der Musik:
„Die Modulation gibt das Unwirkliche, das Nicht-Sein der Hoffnung. Hoffnung 
ist immer geheim, weil sie nicht ‚da‘ ist – es ist die Grundkategorie der Mystik, 
und die höchste Kategorie von Beethovens Metaphysik. […] wie bei Goethe ist 
bei  Beethoven  die  Hoffnung  so  entscheidend  als  säkularisierte  und  dabei  nicht 
neutralisierte  mystische  Kategorie  […]  Bild  der  Hoffnung  ohne  die  Lüge  der 
Religion.“ (NL I/1, 250 f.)
Die „Lüge der Religion“ – letztlich das Versprechen eschatologischer Verbind-
lichkeit – vermeidend, artikuliert Beethovens Musik demnach, was nicht da ist
trotzdem, und zwar als Gegenstand von Hoffnung für die Immanenz. „Der 
Charakter  des  Tröstlichen,  dem  blinden  mythischen  Naturzusammenhang 
Einspruch Gebietenden […] liegt der theologischen Konzeption der Musik 
zugrunde,  der  einer  Sprache  der  Engel.“  (GS  14,  224)  Musik  als  „Sprache 
der Engel“ klingt heute nach Kitsch und ist auch Adorno zufolge im Gang 
der  Musikgeschichte  längst  „in  ihr  zynisches  Widerspiel  verkehrt“  worden. 
(vgl. a. a. O.) Das Bild des Engels verdient in diesem Rahmen aber eine nähere 
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„Wollte man die Kantische Frage umformulieren, sie könnte heute wohl lauten: 
wie ist ein 
Neues überhaupt möglich?“ (GS 10.1, 95).


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