Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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ideengeschichtlichen Würdigung philosophisch weiter nichts gesagt. Insofern 
es sich aber auf  einen realen „sakralen Gehalt“ historischer kabbalistischer 
Strömungen beziehen will, ist Adornos Konzept der Kabbala, milde gesagt, 
äußerst fragwürdig. Etwa der postulierte intrinsische Umschlag der Mystik in 
Aufklärung, im Sinne einer verwandelnden Einwanderung des sakralen Gehalts 
in die Moderne und messianisch über sie hinaus als negativer Fingerzeig auf  
die wie auch immer prekäre Möglichkeit einer versöhnten Welt. Scholem, der 
diesen  aufklärerischen  ‚Umschlag‘  dokumentiert  habe,  plädierte  in  seinem 
Hauptwerk lediglich dafür, eine strukturelle Analogie der Sabbatianer zu Pie-
tisten, Anabaptisten und Quäkern zu sehen, deren religiöse Motive zur Affi-
nität mit den – überdies aus anderen Quellen stammenden – aufklärerischen 
Ideen führten.
464
 Von hier ließe sich eher ein Weg zu Max Webers Protestan-
tismus-Kapitalismus-These finden als etwa zu Benjamins Löschblattgleichnis. 
Schlussendlich sind Scholems Arbeiten inzwischen von Jahrzehnten der For-
schung erweitert und immer wieder problematisiert worden. Kritik gab es auch 
bezüglich des Sabbatianismus oder am allzu breit angewandten Gnosisbegriff. 
Selbst die Bezeichnung der Kabbala als ‚jüdische Mystik‘ wurde als unhaltbare 
Konstruktion problematisiert.
465
 Mit diesen Feststellungen soll weder Scho-
lem als Historiker verabschiedet noch Webers These rehabilitiert werden und 
mitnichten sollen Subversions- oder Befreiungskonzepte religiöser Provenienz 
geleugnet werden. Aber über die bloß angedeuteten Irrungen und Wirrungen 
der  historischen  Transformationsprozesse  bricht  die  ‚Einwanderung  in  die 
Profanität‘ zusammen. Der Weg der Kabbala in die Moderne lässt sich nicht 
derart normativ vereindeutigen, ihr „Verfall“ gibt nicht die Gehalte preis, auf  
die Adornos Theologie sich stützen möchte.
466
 Selbst seine Lektüre Scholems 
ist eine materialistisch-benjaminische Aneignung unter dem Banner des Profa-
nisierungspostulats, Selbstprotokoll einer verzweifelten Hoffnungssuche. Auf  
Adornos Konzept der Kabbala trifft zu, was er vom religiösen Erbe verlangte. 
464 
Vgl. Scholem. 
Die jüdische Mystik. S. 330.
465 
Vgl. Fußnote 2.
466 
Zu den erstaunlichen Transformationen des kabbalistischen Komplexes ins 20. Jahrhundert 
gehören etwa auch Rezeptionen im Umfeld der Theosophischen Gesellschaft, bei Ernst Jün-
ger oder bei der populären Sängerin Madonna, auch wenn Scholem sie zweifellos als des 
Studiums unwürdig betrachtet hätte. (vgl. Pasi. 
Oriental Kabbalah and the Parting of  East and 
West, Wasserstrom. „The Great Goal of  Political Will is Leviathan“, Stuckrad. Madonna and the 
Shekhinah) Gerade hier wäre aber mehr als Ideengeschichte, nämlich auch die soziologische 
und sozialpsychologische Analyse der Rezeptions- und Wirkungsformen entkontextualisier-
ter religiöser Überlieferungen in der Populärkultur einzufordern.


 
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Es offenbart sich als „Bildungsreminiszenz“ ohne Basis eines „Offenbarungs-
kerns“, muss seinerseits „vorbehaltlos“ preisgegeben, deutend negiert werden, 
soll sein Anliegen nicht als „romantisches Wünschen“ verdächtig werden, wie 
er selbst das zu Prousts metaphysischen Erfahrungen befürchtete, die darum 
nur noch negativ zu erhalten seien.
Diese „vorbehaltlose Preisgabe“ darf  aber wiederum keine unbedächtige 
sein, denn die wie auch immer ungenaue Rezeption kabbalistischer Topoi lässt 
philosophische Spuren zurück, die sich in Adornos Gesellschaftskritik bewäh-
ren,  etwa  zum  Traditions-  und  Erfahrungsbegriff.  Der  Suche  des  Denkens 
nach „Schutz bei Texten“ glückt dabei die reflexive Selbstrückbindung an jüdi-
sche Philosophie. Aber alle anverwandelten Figuren werden spezifisch gebro-
chen. Zum Klingen bringt sie Adornos radikale Verpflichtung auf  Negativität, 
deren bedauerliche Unabweisbarkeit sich schon an der Reflexhaftigkeit zeigt, 
mit der sie seither abgelehnt wurde. Die Feststellung, dass „etwas fehlt“
467

ist  unaufgehoben,  die  Permanenz  menschlichen  Leidens  in  der  Geschichte 
ungebrochen. Nach den Gräueln des 20. Jahrhunderts kommt eine realistische 
Geschichtsbetrachtung um den Pessimismus nicht herum. Auch das gegen-
wärtige globale Zeitgeschehen scheint die Diagnose „triumphalen Unheils“ 
(GS 3, 19) eher nicht zu widerlegen. Angesichts dessen erweist sich der Kern 
von Adornos Kabbala-Deutung, die profane Mobilisierung religiöser Ideen 
zur  „Protestation  gegen  das  wirkliche  Elend“
468
,  als  traurig  aktuell.  Seine 
scheinbare Ausweglosigkeit ist die jedes Gedankens, der an dem offensichtlich 
unverwirklichten  humanistischen  Versprechen  von  universalem  Glück  fest-
zuhalten versucht. Es ist inzwischen sowohl veraltet als auch utopisch, klingt 
jedenfalls phrasenhaft. Das ist das eigentlich Alarmierende. In diesem Sinne 
erscheint  die  Welt  verfremdet  im  messianischen  Licht:  Am  ‚garstig  breiten 
Graben‘ zwischen Realität und Versöhnung lässt sich die Verkehrtheit der ers-
teren erkennen. Das illusionslose Andenken gegen diesen Zustand, der bei 
Scholem „Nichts Gottes“ und bei Adorno „Naturgeschichte“ heißt, vereint 
sie in ihren beträchtlichen Differenzen. Für beide speist sich dabei nun eben 
die noch so hoffnungslose Hoffnung aus Ideen des Judentums, die sie mit 
Benjamin für die Konstruktion ihrer je spezifischen „Theologie“ verwenden. 
Ohne dass Sinn im Nichts behauptet würde, kristallisiert sich derart in ihren 
467 
Vgl. Adorno/Bloch. 
Etwas fehlt – der Titel zitiert Brecht. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
S. 349.
468 
Marx. 
Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. S. 378.


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