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delt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Verkaufe, außerhalb der Zirkulationssphäre, vorgehn,
ändern nichts an dieser Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Zirkula-
tion G – W – G' abgekürzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermittlung, sozusagen im Lapidarstil, als G –
G', Geld, das gleich mehr Geld, Wert, der größer als er selbst ist.
In der Tat also ist G – W – G' die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulati-
onssphäre erscheint.
2. Widersprüche der allgemeinen Formel
Die Zirkulationsform worin sich das Geld zum Kapital entpuppt, widerspricht allen früher entwickelten
Gesetzen über die Natur der Ware, des Werts, des Geldes und der Zirkulation selbst. Was sie von dr ein-
fachen Warenzirkulation unterscheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge derselben zwei entgegengesetzten
Prozesse, Verkauf und Kauf. Und wie sollte solcher rein formelle Unterschied die Natur dieser Prozesse
umzaubern?
Noch mehr. Diese Umkehrung existiert nur für einen der drei Geschäftsfreunde, die miteinander handeln.
Als Kapitalist kaufe ich Ware von A und verkaufe sie wieder an B, während ich als einfacher Warenbesit-
zer Ware an B verkaufe und dann Ware von A kaufe. Für die Geschäftsfreunde A und B existiert dieser
Unterschied nicht. Sie treten nur als Käufer oder Verkäufer von Waren auf. Ich selbst stehe ihnen jedes-
mal gegenüber als
[13] "Kapital ... permanenter sich vervielfältigender Wert." (Sismondi, "Nouveaux Principes
d'Écon. Polit.", t.I,p.89.)
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einfacher Geldbesitzer oder Warenbesitzer, Käufer oder Verkäufer, und zwar trete ich in beiden Reihen-
folgen der einen Person nur als Käufer und der andren nur als Verkäufer gegenüber, der einen als nur
Geld, der andren als nur Ware, keiner von beiden als Kapital oder Kapitallist oder Repräsentant von ir-
gend etwas, das mehr als Geld oder Ware wäre oder eine andre Wirkung außer der des Geldes oder der
Ware ausüben könnte. Für mich bilden kauf von A und Verkauf an B eine Reihenfolge. Aber der Zusam-
menhang zwischen diesen beiden Akten existiert nur für mich. A schert sich nicht um meine Transaktion
mit B, und B nicht um meine Transaktion mit A. Wollte ich ihnen etwa das besondre Verdienst klarma-
chen, das ich mir durch die Umkehrung der Reihenfolge erwerbe, so würden sie mir beweisen, daß ich
mich in der Reihenfolge selbst irre und daß die Gesamttransaktion nicht mit einem Kauf begann und ei-
nem Verkauf endete, sondern umgekehrt mit einem Verkauf begann und mit einem Kauf abschloß. In der
Tat, mein erster Akt, der Kauf, war von A's Standpunkt ein Verkauf, und mein zweiter Akt, der Verkauf,
war von B's Standpunkt ein Kauf. Nicht zufrieden damit, werden A und B erklären, daß die ganze Rei-
henfolge überflüssig und Hokuspokus war. A wird die Ware direkt an B verkaufen und B sie direkt von A
kaufen. Damit verschrumpft die ganze Transaktion in einen einseitigen Akt der gewöhnlichen Warenzir-
kulation, vom Standpunkt A's bloßer Verkauf und vom Standpunkt B's bloßer Kauf. Wir sind also durch
die Umkehrung der Reihenfolge nicht über die Sphäre der einfachen Warenzirkulation hinausgekommen
und müssen vielmehr zusehn, ob sie ihrer Natur nach Verwertung der in sie eingehenden Werte und daher
Bildung von Mehrwert gestattet.
Nehmen wir den Zirkulationsprozeß in einer Form, worin er sich als bloßer Warenausausch darstellt. Dies
ist stets der Fall, wenn beide Warenbesitzer Waren voneinander kaufen und die Bilanz ihrer wechselseit i-
gen Geldforderungen sich am Zahlungstag ausgleicht. Das Geld dient hier als Rechengeld, um die Werte
der Waren in ihren Preisen auszudrücken, tritt aber nicht den Waren selbst dinglich gegenüber. Soweit es
sich um den Gebrauchswert handelt, ist es klar, daß beide Austauscher gewinnen können. Beide veräu-
ßern Waren, die ihnen als Gebrauchswert nutzlos, und erhalten Waren, deren sie zum Gebrauch bedürfen.
Und dieser Nutzen mag nicht der einzige sein. A, der Wein verkauft und Getreide kauft, produziert viel-
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leicht mehr Wein, als Getreidebauer B in derselben Arbeitszeit produzieren könnte, und Getreidebauer B
in derselben Arbeitszeit mehr Getreide, als Weinbauer A produzieren könnte. A erhält also für denselben
Tauschwert mehr Getreide und B mehr Wein, als wenn jeder von den bei-
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den, ohne Austausch, Wein und Getreide für sich selbst produzieren müßte. Mit Bezug auf den Ge-
brauchswert also kann gesagt werden, daß "der Austausch eine Transaktion ist, worin beide Seiten ge-
winnen"[14]. Anders mit dem Tauschwert.
"Ein Mann, der viel Wein und kein Getreide besitzt, handelt mit einem Mann, der viel Getreide
und keinen Wein besitzt, und zwischen ihnen wird ausgetauscht Weizen zum Wert von 50 gegen
einen Wert von 50 in Wein. Dieser Austausch ist keine Vermehrung des Tauschwerts weder für
den einen noch für den andren; denn bereits vor dem Austausch besaß jeder von ihnen einen Wert
gleich dem, den er sich vermittelst dieser Operation verschafft hat."[15]
Es ändert nichts an der Sache, wenn das Geld als Zirkulationsmittel zwischen die Waren tritt und die Akte
des Kaufs und Verkaufs sinnlich auseinanderfallen.[16] Der Wert der Waren ist in ihren Preisen darge-
stellt, bevor sie in die Zirkulation treten, also Voraussetzung und nicht Resultat derselben.[17]
Abstrakt betrachtet, d.h. abgesehn von Umständen, die nicht aus den immanenten Gesetzen der einfachen
Warenzirkulation hervorfließen, geht außer dem Ersatz eines Gebrauchswerts durch einen andren nichts
in ihr vor als eine Metamorphose, ein bloßer Formwechsel der Ware. Derselbe Wert, d.h. dasselbe Quan-
tum vergegenständlichter gesellschaftlicher Arbeit, bleibt in der Hand desselben Warenbesitzers in Ge-
stalt erst seiner Ware, dann des Geldes, worin sie sich verwandelt, endlich der Ware, worin sich dies Geld
rückverwandelt. Dieser Formwechsel schließt keine Änderung der Wertgröße ein. Der Wechsel aber, den
der Wert der Ware selbst in diesem Prozeß durchläuft, beschränkt sich auf einen Wechsel seiner Geld-
form. Sie existiert erst als Preis der zum Verkauf angebotenen Ware, dann als eine Geldsumme, die aber
schon im Preise ausgedrückt war, endlich als der Preis einer äquivalenten Ware. Dieser Formwechsel
schließt an und für sich ebensowenig eine Änderung der Wertgröße ein wie das Auswechseln einer Fünf-
pfundnote gegen Sovereigns, halbe Sovereigns und Schilling.
[14] "L'échange est une transaction admirable[1*] dans laquelle les deux contractants gagnent –
toujours[2*](!)." (Destutt de Tracy, "Traité de la Volonté et de ses effets", Paris 1826, p.68.) Das-
selbe Buch erschien auch als "Traité d'Éc. Pol."
[15] Mercier de la Rivière, l.c. p.544.
[16] "Ob einer dieser beiden Werte Geld ist oder beide gewöhnliche Waren sind, nichts kann an
sich gleichgültiger sein." (Mercier de la Rivière, l.c. p.543.)
[17] "Über den Wert entscheiden nicht die Vertragspartner: er steht schon vor der Übereinkunft
fest." (Le Trosne, l.c. p.906.)
[1*] wunderbare Transaktion – [2*] immerfort
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Sofenrn also die Zirkulation der Ware nur einen Formwechsel ihres Werts bedingt, bedingt sie, wenn das
Phänomen rein vorgeht, Austausch von Äquivalenten. Die Vulgärökonomie sellbst, so wenig sie ahnt,
was der Wert ist, unterstellt daher, sooft sie in ihrer Art das Phänomen rein betrachten will, daß Nachfrage
und Zufuhr sich decken, d.h., daß ihre Wirkung überhaupt aufhört. Wenn also mit Bezug auf den Ge-
brauchswert beide Austauscher gewinnen können, können sie nicht beide gewinnen an Tauschwert. Hier
heißt es vielmehr: "Wo Gleichheit ist, ist kein Gewinn."[18] Waren können zwar zu Preisen verkauft
werden, die von ihren Werten abweichen, aber diese Abweichung erscheint als Verletzung des Gesetzes
des Warenaustausches.[19] In seiner reinen Gestalt ist er ein Austausch von Äquivalenten, also kein Mit-
tel, sich an Wert zu bereichern.[20]