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[38] "In der Form von Geld ... erzeugt das Kapital keinen Profit." (Ricardo, "Princ. of Pol. Econ.",
p.267.)
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ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter dieser Voraussetzung kann die Arbeitskraft als
Ware nur auf dem Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren
Arbeitskraft sie ist, als Ware feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer sie als Ware verkaufe,
muß er über sie verfügen können, also freier Eigentümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein.[39]
Er und der Geldbesitzer begegnen sich auf dem Markt und treten in Verhältnis zueinander als ebenbürtige
Warenbesitzer, nur dadurch unterschieden, daß der eine Käufer, der andre Verkäufer, beide also juristisch
gleiche Personen sind. Die Fortdauer dieses Verhältnisses erheischt, daß der Eigentümer der Arbeitskraft
sie stets nur für bestimmte Zeit verkaufe, denn verkauft er sie in Bausch und Bogen, ein für allemal, so
verkauft er sich selbst, verwandelt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Warenbesitzer in
eine Ware. Er als Person muß sich beständig zu seiner Arbeitskraft als seinem Eigentum und daher seiner
eignen Ware verhalten, und das kann er nur, soweit er sie dem Käufer stets nur vorübergehend, für einen
bestimmten Zeittermin, zur Verfügung stellt, zum Verbrauch überläßt, also durch ihre Veräußerung nicht
auf sein Eigentum an ihr verzichtet.[40]
[39] In Realenzyklopädien des klassischen Altertums kann man den Unsinn lesen, daß in der an-
tiken Welt das Kapital völlig entwickelt war, "außer daß der freie Arbeiter und das Kreditwesen
fehlten". Auch Herr Mommsen in seiner "Römischen Geschichte" begeht ein Quidproquo über
das andre.
[40] Verschiedne Gesetzgebungen setzen daher ein Maximum für den Arbeitskontrakt fest. Alle
Gesetzbücher bei Völkern freier Arbeit regeln Kündigungsbedingungen des Kontrakts. In ver-
schiednen Ländern, namentlich in Mexiko (vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg auch in den
von Mexiko losgerissenen Territorien, und der Sache nach bis zu Kusas Umwälzung in den
Donauprovinzen), ist die Sklaverei unter der Form von Peonage versteckt. Durch Vorschüsse, die
in Arbeit agzutragen und sich von Generation zu Generation fortwälzen, wird nicht nur der ein-
zelne Arbeiter, sondern seine Femilie tatsächlich das Eigentum andrer Personen und ihrer Famili-
en. Juárez hatte die Peonage abgeschaft. Der sogenannte Kaiser Maximilian führte sie wieder ein
durch ein Dekret, das im Repräsentantenhaus zu Washington treffend als Dekret zur Wiederein-
führung der Sklaverei in Mexiko denunziert ward. "Von meinen besondren körperlichen und ge i-
stigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Tätigkeit kann ich ... einen in der Zeit be-
schränkten Gebrauch an einen andren veräußern, weil sie nach dieser Beschränkung ein äußerli-
ches Verhältnis zu meiner Totalität und Allgemeinheit erhalten. Durch die Veräußerung meiner
ganzen durch die Arbeit konkreten Zeit und der Tatalität meiner Produktion würde ich das Sub-
stantielle derselben, meine allgemeine Tätigkeit und Wirklichkeit, meine Persönlichkeit zum Ei-
gentum eines andren machen." (Hegel, "Philosophie des Rechts", Berlin 1840, p.104, §67.)
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Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Ware vor-
finde, ist die, daß ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständ-
licht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware
feilbieten muß.
Damit jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waren verkaufe, muß er natürlich Produktionsmittel
besitzen, z.B. Rohstoffe, Arbeitsinstrumente usw. Er kann keine Stiefel machen ohne Leder. Er bedarf
außerdem Lebensmittel. Niemand, selbst kein Zukunftsmusikant, kann von Produkten der Zukunft zeh-
ren, also auch nicht von Gebrauchswerten, deren Produktion noch unfertig, und wie am ersten Tage seiner
Erscheinung auf der Erdbühne, muß der Mensch noch jeden Tag konsumieren, bevor und während er
produziert. Werden die Produkte als Waren produziert, so müssen sie verkauft werden, nachdem sie pro-
duziert sind, und können die Bedürfnisse des Produzenten erst nach dem Verkauf befriedigen. Zur Pro-
duktionszeit kommt die für den Verkauf nötige Zeit hinzu.
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Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Waren-
markt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware
verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Ve r-
wirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.
Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Zirkulationssphäre gegenübertritt, interessiert den
Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondre Abteilung des Warenmarkts vorfindet. Und
einstweilen interessiert sie uns ebensowenig. Wir halten theoritisch an der Tatsache fest, wie der Geldbe-
sitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbe-
sitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist kein naturgeschicht-
liches und ebensowenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar
selbst das Resultat einer vorherhegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischen
Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe ält erer Formationen der gesellschaftlichen Produktion.
Auch die ökonomischen Kategorien, die wir früher betrachtet, tragen ihre geschichtliche Spur. Im Dasein
des Produkts als Ware sind bestimmte historische Bedingungen eingehüllt. Um Ware zu werden, darf das
Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel für den Produzenten selbst produziert werden. Hätten wir
weiter geforscht: Unter welchen Umständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte
die Form der
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Ware an, so hätte sich gefunden, daß dies nur auf Grundlage einer ganz spezifischen, der kapitalistischen
Produktionsweise, geschieht. Eine solche Untersuchung lag jedoch der Analyse der Ware fern. Waren-
produktion und Warenzirkulation können stattfinden, obgleich die weit überwiegende Produktenmasse,
unmittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, sich nicht in Ware verwandelt, der gesellschaftliche Produkti-
onsprozeß also noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwert beherrscht ist. Die
Darstellung des Produkts als Ware bedingt eine so weit entwickelte Teilung der Arbeit innerhalb der Ge-
sellschft, daß die Scheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, die im unmittelbaren Tauschhan-
del erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine solche Entwicklungsstufe ist aber den geschichtlich verschie-
densten ökonomischen Gesellschaftsformationen gemein.
Oder betrachten wir das Geld, so setzt es gewisse Höhe des Warenaustausches voraus. Die besondren
Geldformen, bloßes Warenäquivalent oder Zirkulationsmittel oder Zahlungsmittel, Schatz und Weldgeld,
deuten, je nach dem verschiednen Umfang und dem relativen Vorwiegen einer oder der andren Funktion,
auf sehr verschiedne Stufen des Gesellschaftlichen Produktionsprozesses. Dennoch genügt erfahrungsmä-
ßig eine relativ schwach entwickelte Warenzirkulation zur Bildung aller dieser Formen. Anders mit dem
Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen sind durchaus nicht da mit der Waren- und Geldzirkula-
tion. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäu-
fer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet, und diese eine historische Bedingung umschließt eine
Weltgeschichte. Kas Kapital kündigt daher von vornherein eine Epoche des gesellshaftlichen Produkti-
onsprozesses an.[41]
Diese eigentümliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrachten. Gleich allen andren Waren be-
sitzt sie einen Wert.[42] Wie wird er bestimmt?
Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also
auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. So sie Wert, repräsentiert die
Arbeits-
[41] Was also die kapitalistische Epoche charakterisiert, ist, daß die Arbeitskraft für den Arbeiter
selbst die Form einer ihm gehörigen Ware, seine Arbeit daher die Form der Lohnarbeit erhält.
Andrerseits verallgemeinert sich erst von diesem Augenblick die Warenform der Arbeitsproduk-
te.