ERMLANDBRIEFE
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Sommer 2005
von Frankreich, den Niederlanden so-
wie Großbritannien. Er erklärte uns da-
bei auch die Ablehnungsgründe der
Menschen. Trotz eingetretener Rück-
schläge ist der bis hierher gegangene
Weg der Europäischen Einigung wichtig
und richtig, aber die Bürger müssen mit-
genommen werden. Europa fängt bei
seinen Bürgern an. Er erinnerte an die
großen Gründerväter und ihre Visio-
nen, insbesondere daran, dass wir in er-
ster Linie dieser Politik, 60 Jahre Frieden
zu verdanken haben.
Bei unserer Frage zum fehlenden Got-
tesbezug in der Präambel zeigte er sich
mit uns gemeinsam unzufrieden, doch
er hat uns die Haltung anderer Länder
und ihre Auffassungen zur Religionsfrei-
heit gut erklärt. Für die praktische Aus-
übung der Religion, zum Status der Kir-
chen und religiösen Vereinigungen gibt
es in der Verfassung den Artikel 51. Dar-
aus ergibt sich, dass die Praxis in
Deutschland verfassungsrechtlich aus-
reichend gesichert ist. Für den Vortrag
haben wir mit Applaus gedankt.
Nach der Mittagsruhe erwartete uns
das zweite Tagesthema: Deutschland
nach Krieg und Wende - Aufgaben und
Rolle des Bonifatiuswerkes beim Zusam-
menwachsen des wiedervereinten
Deutschlands. Der Generalsekretär des
Bonifatiuswerkes der Deutschen Katho-
liken mit Sitz in Paderborn, Prälat Kath-
ke, verhalf uns mit einem vielschichti-
gen Überblick zu einer besseren Ein-
sicht in das Werk und seine Stiftung. Es
wird aus Spenden finanziert und be-
kommt keine öffentlichen Mittel. Seine
Aufgaben sind vielfältig. Das Ziel ist:
Glaube soll weiterleben, Glauben soll
möglich bleiben. Mit seiner Hilfe wer-
den katholische Christen zusammenge-
führt, die über weite geographische
Räume verstreut sind. Dazu nannte er
viele Iniativen, durch die Begegnungen
möglich gemacht werden. Eine Über-
sicht hat uns gezeigt, dass die Bistümer
der ehemaligen DDR alle zur Diaspora
gehören. Damit Christliche Werte in der
Diaspora lebendig bleiben und an kom-
mende Generationen weitergegeben
werden, nannte er die seit 50 Jahren
stattfindenden religiösen Kinderwochen
als ein positives Beispiel.
Nach dem Abendessen wanderten
wir zu der nahe gelegenen Dorfkirche.
Hier wurde der Tag mit einer ermländi-
schen Vesper abgeschlossen.
Der Mitwoch gestaltete sich sehr er-
lebnisreich. Eine in der Nähe von Uder
wohnende Ärztin, Frau Dr. Winter, Fach-
ärztin für Allgemeinmedizin, hatte im
Jahr 1997 ihre Arztpraxis aufgelöst und
war spontan nach Königsberg gegangen,
um dort den Ärmsten der Armen zu hel-
fen. Nicht spektakulär, sondern mit dem
Grundgedanken: „Was ist für mich wich-
tig, was ist vor Gott wichtig“. Sie beteilig-
te sich an der christlichen Gemeinschaft
Kirche in Not: Kommen - Sehen - Helfen.
Nach über sieben Jahren hat sie am 31.
Dezember 2004 diesen Einsatz beendet.
In einem DIA-Vortrag konnten wir se-
hen, wie sich das Hilfswerk nach und
nach entwickelte. Dank vieler Spenden
aus Deutschland wird mit der Suppen-
küche und der medizinischen Ambu-
lanz Tag für Tag Nächstenliebe vor Ort
geübt. Erschüttert haben uns ihre Erleb-
nisse mit Straßenkindern, Obdachlosen
und der hohen Kriminalität. Uns macht
es traurig, was aus Königsberg, der frü-
heren Ostpreußenmetropole, und den
Menschen, die heute dort leben, gewor-
den ist. Am Ende dieses Vortrages san-
gen die Königsberger Gerigk-Geschwi-
ster die „Russische Vesper“ und ein
herrliches „Jubilate, Jubilate“ klang
durch den Raum. Ein ganz besonderer
Dank an Frau Winter.
Am Nachmittag standen die „Wall-
fahrtsorte im Ermland“ auf der Tages-
ordnung. Mit der gewohnten Gründlich-
keit von unserer Teilnehmerin Gabriele
Kraemer wurden wir zu den Wallfahrts-
stätten unserer Heimat geführt. Unsere
Gedanken wurden in die Zeit unserer
Kindheit geführt und auf die christliche
Welt unserer Vorfahren gelenkt. Mit der
historischen Abhandlung über die Be-
deutung für die religiöse Kultur des
Christentums stellte sie die Gläubigkeit
der christlichen Pilgerschaft heraus. Da-
mit besonders verbunden waren immer
Wallfahrten, die in Zeiten des Krieges,
der Not und des Hungers ihre Zeichen
setzten. Ein bewegendes Beispiel dafür
ist heute die Ermlandwallfahrt. In der
bittersten Notzeit nach Flucht und Ver-
treibung war die Gottesmutter in Werl ei-
ne Zufluchtsstätte. Dort haben die Erm-
länder ihren Kummer und ihre Sorgen
abgeladen und ihren Glauben bezeugt.
Bis heute, 60 Jahre nach dem Krieg, be-
wahren wir diese heimatliche Tradition.
Wir sagen Gabi Kraemer für diesen Vor-
trag ganz herzlichen Dank.
Nach dem Abendbrot erwartete uns
ein Quiz-Abend. Wir waren alle mit viel
Eifer dabei; da ging es munter zu und
ein wenig Glück konnte man gut gebrau-
chen. Erarbeitet wurden alle Fragen-
komplexe von Herrn Uwe Schröter. Er
hat es uns nicht leicht gemacht. Wir dan-
ken ihm herzlich für die interessante Ge-
staltung und freuen uns auf die Überra-
schungen im nächsten Jahr.
Der Donnerstag führte uns zu einem
besonderen Höhepunkt der Ernlandwo-
che: zu unserer Tagesexkursion nach
Friedland, bekannt als Grenzdurch-
gangslager in Niedersachsen. Daran
knüpften sich große Erwartungen, denn
auch unter uns gab es Teilnehmer, die
über Friedland nach erlittenem Unrecht
in die Freiheit gelangt waren. Nach einer
kurzen Fahrt waren wir am Ziel. Wir
wurden dort von einem kenntnisrei-
chen Herrn der Gemeinde Friedland be-
grüßt. Doch es bedurfte nicht vieler
Worte. Hoch und mächtig ragt das
Mahnmal - vier große Betonblöcke - in
den strahlenden Himmel. Inschriften
künden von millionenfachem Leid und
Schmerz, von den Geschundenen, Ver-
schleppten, Kriegsgefangenen und Ge-
fallenen des Krieges. Ihnen zu Ehren
und zum Gedenken haben wir eine Blu-
menschale niedergelegt. Unser Prälat
Schwalke stimmte an: „Jesus, meine Zu-
versicht ...“ Jedem von uns hatte der
Krieg mit seinen Folgen liebe Menschen
von der Seite gerissen. So sangen wir ge-
meinsam: „Ich hat einen Kameraden ...“.
Ein bewegender Augenblick.
Wir wanderten zurück über eine
Wiese und brachten unsere Gedanken
ins Gleichgewicht. Anschließend sa-
hen wir im Caritas-Haus einen Filmvor-
trag. Friedland ist vor allen Dingen un-
serer Generation als offenes Durch-
gangslager für Aussiedler aus den Län-
dern des Ostblocks in Erinnerung.
Durch die Zonengrenze politisch und
verwaltungsmäßig getrennt, setzten
sich große Ströme von Flüchtlingen
und Vertriebenen damals in Bewe-
gung. Dann kamen die Heimkehrer
und die Verschleppten aus der russi-
schen Gefangenschaft. Die Einwohner
von Friedland zeigten damals große
Hilfsbereitschaft. Es waren sehr bewe-
gende Jahre. Wir machten einen Rund-
gang durch das Lager, das zum Land
Niedersachsen gehört und immer
noch die Rußland-Deutschen auffängt.
Unser Wallfahrtsamt sollte in der
Heimkehrerkirche Sankt Norbert statt-
finden. So folgten wir unserem Prälaten,
der uns dort erwartete. Die Kirche feiert
in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum. Am 18.
Dezember 1955, am vierten Advents-
sonntag, wurde sie durch den Erzbi-
schof von Köln, Josef Kardinal Frings,
eingeweiht. Die größte der drei Kirchen-
glocken stammt aus dem Dom zu Frau-
enburg. In seiner kurzen Predigt wies
Prälat Schwalke auf all das hin, was uns
anrührte und im Innenraum dieser Kir-
che sichtbar wurde. Unser Wallfahrts-
amt war mit dem Gedenken an eine
schwere Zeit gefüllt. Wir beteten unsere
Fürbitten für alle Opfer des Krieges und
dankten Gott, der unser Leben zum Gu-
ten gelenkt hat.
Als besonderes Geschenk hinterlie-
ßen wir eine schöne Kerze, die von Dor-
chen Ehlert kunstvoll verziert worden
war. Sie bekam einen Ehrenplatz. Dann
ging es weiter zum Erlebniszentrum Gut
Herbigshagen - einer Heinz Sielmann-
Stiftung. Dort wurden wir in einem gast-
lichen Raum freundlich empfangen und
gut bewirtet. Eine kleine Einleitung
machte uns mit dem Anliegen des Na-
turforschers Professor Heinz Sielmann
bekannt. Sein Grundgedanke: „Natur-
schutz als positive Lebensphilosophie“,
d. h. Menschen, vor allem Kinder und
Jugendliche, durch persönliches Erle-
ben an einen positiven Umgang mit der
Natur heranführen. Die Tier- und Pflan-
zenwelt findet hier ihre Beachtung. Aber
einige Teilnehmer unserer Gruppe wa-
ren doch schon etwas strapaziert. Mit ei-
nem kurzen Hofgang haben wir uns die
Beine vertreten. Dann saßen wir in klei-
ner Runde, gaben der Gemütlichkeit ei-
ne Chance und genossen den Blick in ei-
ne schöne Umgebung.
Der Freitag wurde wie jeder Tag mit
der Hl. Messe eingeleitet und unsere
fleißigen Messdiener Johannes Krae-
mer und Alo Prothmann standen dem
Prälaten eifrig zur Seite. Anschließend
zeigte uns Clemens Herrmann die Fil-
me: 1. Petrus - Fischer und Fels (Eine
Aufz. ZDF. Sendereihe „Bibel“); 2. Inter-
view: Frank Elsner mit Andreas Eng-
lisch, Papstexperte, der 18 Jahre Papst
Johannes Paul II. begleitete (Berichtet
über die letzten Tage des Hl. Vaters und
über die Wahl des neuen Papstes Bene-
dikt XVI. (Buch: Habemus Papam). Prä-
lat Schwalke ging dann ausführlich auf
das Thema „Kirche, wo bist Du?“ ein,
und er verdeutlichte uns die hohe Ver-
antwortung des Hl. Vaters. Da Papst Be-
nedikt XVI. schon viele Jahre in Rom tä-
tig ist, ist er schon lange nicht nur Deut-
scher. Seine Nähe zu Johannes Paul II.
und sein geistliches Wirken lassen ver-
muten, dass er das segensreiche Wirken
seines Vorgängers in die gleiche Rich-
tung lenken wird.
Am Nachmittag gab es wieder die
Vielfalt der Kleingruppen: Wandern, Ke-
geln, Basteln, wo sich jeder nach Inter-
essenlage beteiligen konnte. Anschlie-
ßend trafen wir uns alle in unserer Ka-
pelle zur Marienandacht.
Nach der Abendmahlzeit versammel-
ten wir uns im Martin-Weinrich-Saal.
Keiner wollte den Liederabend verpas-
sen. Zur Überraschung aller hatten sich
Karl-Heinz Petzold, Lothar und Mein-
hardt Gerigk und Josef Bader zusam-
men gefunden und stellten sich als „Flot-
te Uderaner Siebziger-Band“ vor. Es ent-
wickelte sich gute Laune, die kaum
noch zu überbieten war.
Der Sonnabend, unser letzter Tag vor
der Abreise, rückte an. Aber die Auf-
merksamkeit für alles, was geboten wur-
de, blieb ungebremst. Clemens Herr-
mann bestritt denVormittag mit seinen
Filmvorträgen: „Sonderurlaub“ - Die
Überwindung des Todesstreifens. Da-
nach sahen wir das Video „Ostseeme-
tropolen“. Es zeigte eine Kreuzfahrt auf
der Ostsee, an der auch unser Prälat
Schwalke teilgenommen hatte.
Wir kamen in Zeitverzug und eilten
ein letztes Mal zu unserem Mittagstisch.
Nach Stunden der Entspannung versam-
melten wir uns alle zum Abschlussgot-
tesdienst. Wir dankten dem Herrgott für
diese erbaulich Woche und wurden von
unserem Prälaten mit dem Reisesegen
verabschiedet.
Es wäre noch zu erwähnen, dass wir
am Freitag die Scheinwerferkollekte
durchgeführt hatten, außerdem haben
wir eine Spendenaktion unterstützt. Re-
nate Braem, eine Kalksteinerin, seit vie-
len Jahren in Holland lebend, hatte uns
ihr Anliegen ans Herz gelegt: 345 Euro
waren zusammen gekommen, die für
ein Mädchen-Internat in Matalli, im Sü-
den Indiens, bestimmt sind. Renate un-
terstützt die Stiftung „Surydaya“ in In-
dien und hat sich dort selbst von der
großen Not und den geringen Bildungs-
chancen der Mädchen überzeugt.
Der Abschiedsabend mit dem viel sa-
genden Mottto: „Jeder hat das Wort“,
kam näher. Ja, und weil die Ermländer
so ein lebendiges Völkchen mit einer
christlichen Lebenshaltung sind, schlie-
ßen Ernsthaftigkeit und Frohsinn einan-
der nicht aus. Darum ist Abschied ja
auch Freude auf das nächste Wiederse-
hen, so Gott will. Würde er wollen, dass
auch im kommenden Jahr unser verehr-
ter Prälat Schwalke in unserer Mitte
weilt, dann wäre das eine sehr große
Freude. Für dieses Jahr sagen wir ihm
herzlichen Dank und wünschen ihm
Gottes Segen.
Unsere guten Wünschen sollen aber
auch alle erreichen, die in diesem Jahr
aus gesundheitlichen Gründen absagen
mussten: Wir wünschen von Herzen al-
les Gute und Gottes Segen. Am Anfang
des Abends stand das große „Danke-
schön“ an alle, die zum Gelingen der
Woche besonders beigetragen hatten.
Mit einer großen Selbstverständlich-
keit hat unser Küster Johannes Kraemer
den neuen Messdiener Alo Prothmann
eingeführt, und viele haben bei der Ge-
staltung der Hl. Messen geholfen. Frau
Armborst und Hildchen Prothmann hat-
ten organisatorisch alles im Griff und
Uwe Schröter hatte sich in alle Tagesab-
läufe gut eingebracht und mit dem Team
des Hauses dafür gesorgt, dass wir uns
alle gut aufgehoben fühlten. An alle ein
herzliches „Vergelts Gott". Unseren alt-
bewährten Teilnehmern Johannes und
Gabi mit dem Büchertisch, Dorchen Eh-
lert mit der Kerzengestaltung und Alfons
und Erika Wilke, die sich mit der Her-
stellung des Blumenpräsents für Fried-
land beschäftigt hatten, danken wir
auch ganz herzlich. Und was täten wir
nur, wenn wir den Clemens nicht hätten.
Mit ihm hat der Frohsinn Hochkonjunk-
tur. Es ist zu hoffen, dass er auch an die-
sem Abschiedsabend gespürt hat, wie
sehr er zu uns Ermländern und nach
Uder gehört. Er ist das Salz in der Sup-
pe. Danke! Das gilt auch für die „Flotte
Uderaner Siebziger Band". Sie hat die
Ermländerherzen im Sturm erobert. Die
freiwilligen Talente sorgten auch für
manche schöne Überraschung.
Nun hoffen wir auf ein gesundes Wie-
dersehen im nächsten Jahr vom 19. bis
25. Juni 2006, in der Bildungs- und Fer-
einstätte Eichsfeld, Eichenweg 2, 37318
Uder, Tel.: 03 60 83 / 42 311, Fax: 42 312
Ermlandwoche in Uder
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