ERMLANDBRIEFE
10
Ostern 2010
Geschichten aus der Geschichte
60 Jahre Westpreußen-Jahrbuch
Nun liegt der 60. Band des Westpreu-
ßen-Jahrbuchs vor uns! Das Jahr 2010
bringt wieder eine ganze Reihe von
„Jubiläen“; das neue Westpreußen-
Jahrbuch ist wohl das erste in dieser
Reihe. Mit gutem Recht können wir die
gesamten 60 Bände als Westpreußen-
Bibliothek bezeichnen, da es wohl kei-
ne andere Buchveröffentlichung über
das Land an der unteren Weichsel gibt,
die so zahlreiche und weit gefächerte
Informationen bietet.
Der neue Band auf das Jahr 2010 hat
zwei Schwerpunkte, der erste macht
sich schon auf dem Umschlag durch
ein Bild bemerkbar: die Marienburg.
Dr. Rainer Zacharias fragt nach dem
Ursprung des Namens Marienburg. Er
hinterfragt dabei eine Reihe von Quel-
lenschriften aus der Geschichte des
Deutschen Ordens, die uns dadurch
„fast nebenbei“ vorgestellt und nahe
gebracht werden. Durch eine Kette von
„Indizien“ gelangt er zu seiner Schluss-
beurteilung.
So manchem Besucher, der die Mari-
enburg besichtigt hat, ist im Sommer-
remter des Hochmeisterpalastes oben
links neben dem Kamin die schwarze
Kanonenkugel aufgefallen. Eine alte
Überlieferung besagt, dass im Jahre
1410 bei der Belagerung der Burg durch
Polen, Litauer und Tataren versucht
worden sei, die einzige Säule des Som-
merremters, die das Deckengewölbe al-
leine trägt, durch einen Kanonen-
schuss zum Einsturz zu bringen. Hans
Joachim Bordiert untersucht diese
Überlieferung auf ihren Wahrheitsge-
halt hin. Auch er benutzt dazu alte
schriftliche Quellen und analysiert die
damaligen Geschütze hinsichtlich ihrer
mechanischen und ballistischen Eigen-
schaften. Und 600 Jahre nach diesem
„Schuss“ teilt er uns sein Ergebnis mit.
Der zweite Schwerpunkt des neuen
Westpreußen-Jahrbuches befasst sich
mit Danziger Themen. Dr. Otto Kruse
berichtet zunächst über die neuen Be-
strebungen im Strafvollzug um das
Jahr 1600, die erstmals nicht so sehr
die Strafe, als vielmehr die Besserung
der Straftäter in den Mittelpunkt der
Betrachtungen stellten. Zu diesem
Zweck wurden ausgehend von Am-
sterdamer Vorbildern Zuchthäuser
eingerichtet, um Erziehung („Zucht“)
zur Besserung zu bewirken.
Danzig verwirklichte diese Ideen
und trug zu ihrer Verbreitung im gan-
zen Ostseeraum bei. In Fortführung
dieser Bemühungen entstand in Dan-
zig hundert Jahre später auch das
Spend- und Waisenhaus.
Jürgen Cojny beschreibt den „Le-
bensweg“ eines Schiffes: die „Hanse-
stadt Danzig“ wurde in Stettin gebaut
und zunächst sehr erfolgreich für den
„Seedienst Ostpreußen“ eingesetzt,
um die Schwierigkeiten bei einer
Durchfahrt durch den „polnischen
Korridor“ zu umgehen. Mit Beginn des
Zweiten Weltkrieges wurde das Schiff
als Minenleger umgerüstet und einge-
setzt- und fand sein Schicksal auf See.
Die erschütternden Erinnerungen
von Gertraut Petersen an ihre leidvol-
len ersten Monate des Jahres 1945 in
Danzig, in der Technischen Hochschu-
le und in Langfuhr hat Dr. Wolfgang
Lippky bearbeitet. Es ist ein eindrucks-
volles Dokument einer Zeitzeugin, die
versucht hat, unter schlimmsten Um-
ständen zu helfen, obwohl sie selber
Hilfe nötig gehabt hätte.
Aber auch Marienwerder, Graudenz
und Bromberg sind in Wort und Bild
im Band 60 vertreten:
Dr. Jürgen Schmidt hat aus den Ak-
ten des Geheimen Staatsarchivs Preu-
ßischer Kulturbesitz minutiös das Le-
ben eines preußischen Juristen, Au-
gust Friedrich Mebes, in seinen Höhen
und Tiefen nachgezeichnet. Der Auf-
satz gewährt nicht nur Einblicke in des-
sen Tätigkeit in der Provinz Westpreu-
ßen und in deren Verwaltungsstruktur,
sondern auch in das Leben einer Be-
amtenfamilie in der damaligen Zeit.
Derselbe Autor hat ebenfalls aus den
Akten eine Episode aus der Zeit um
1900 aufgegriffen, in der es um einen
Neubau eines Theaters in Graudenz
geht. Der Plan und seine Begründung
für die eventuellen Geldgeber in Berlin
zeigt sehr anschaulich die damalige po-
litische Situation und die Befindlichkeit
der Bevölkerung in einer Mittelstadt in
Westpreußen. Außerdem erfährt man
eine genaue Beschreibung der Zustän-
de und der Bedürfnisse am bereits exi-
stierenden Theater in Graudenz.
Eher allgemeine kulturhistorische
Themen, die ihre Bedeutung für West-
preußen aber auch für andere preußi-
sche Provinzen hatten, greifen drei
weitere Beiträge auf. Dr. Jutta Reisin-
ger-Weber lässt uns einen Blick in die
Schätze der Sammlungen des West-
preußischen Landesmuseums in Mün-
ster-Wolbeck werfen. Hier wurden ne-
ben zahlreichen anderen Kulturgegen-
ständen auch Trinkhumpen aus Silber
aus dem unteren Weichselland gesam-
melt, die die Autorin beschreibt und in
die Geschichte ihrer Zeit einordnet.
Günter Hagenau beschreibt in sei-
nem Beitrag „Die Separation“ die land-
wirtschaftlichen Abhängigkeiten und
Besitzverhältnisse in der Zeit vor den
Stein-Hardenbergschen Reformen und
die oft tiefen Einschnitte, die durch die-
se Reform und die Regelungen in den
Jahren danach hervorgerufen wurden.
Dr. Wolfgang Lippky berichtet über
„Alt-Danziger Alltagsprobleme“, wie
sie aber auch an allen anderen Orten
bekannt sind. Vom „Heiraten-müssen“
ist die Rede, von den Problemen der
direkt betroffenen Menschen, aber
auch von den nur indirekt betroffenen
Pastoren, die solche Probleme legali-
sieren mussten und konnten.
Zwei Gedichte, von Gisela Brauer
und von Martin Damß, ergänzen die
abwechselungsreichen wissenschaftli-
chen Beiträge. Dazu kommen fünf Ab-
bildungen im Text und 19 weitere auf
16 Farbtafeln.
Auch das Westpreußen-Jahrbuch
2010 ist wieder ein inhaltsreiches und
informatives „Lesebuch“ geworden,
das seinen Leserkreis finden wird!
HJK / np
Westpreußen-Jahrbuch. Aus dem
Land an der unteren Weichsel. Bd.
60/2010. Hg. v. Hans-Jürgen Kämp-
fert u.a. im Auftrag der Landsmann-
schaft Westpreußen. Münster (West-
preußen-Verlag) 2010. 172 S., 16
Farbtafeln, broschiert ISBN 978-3-
9812143-3-8, Preis: 15 Euro (zzgl. Por-
to und Verpackung).
Zu beziehen durch die Landsmann-
schaft Westpreußen, Mühlendamm 1,
48167 Münster, Telefon: 0 25 06 / 30 57
50, Fax: 0 25 06 / 30 57 61, E-Mail: Lands-
mannschaft-Westpreussen@t-online.de
Ausstellung
60 Jahre Fahrzeuge für Gott
15. März bis 15. April 2010 in der Dresdener Filiale der LIGA Bank eG
Von Kirche in Not / np
„Kirche in Not“ feiert in diesem
Jahr das sechzigjährige Bestehen der
Aktion „Fahrzeuge für Gott“. Aus die-
sem Anlass macht vom 15. März bis
15. April eine Wanderausstellung
über „60 Jahre Fahrzeuge für Gott“ in
der Filiale der LIGA Bank in Dresden
Station. Sie kann zu den üblichen Bü-
rozeiten der Bank unentgeltlich be-
sichtigt werden.
Im Jahr 1950 hat unser Gründer Pa-
ter Werenfried van Straaten die ersten
beiden „Kapellenwagen“ eingeweiht.
Die „Kapellenwagen“ waren zu klei-
nen Kirchen umgebaute Autobusse,
mit denen die Seelsorge unter den
deutschen Heimatvertriebenen, die
über große Distanzen verstreut lebten,
aufrechterhalten werden sollte. Insge-
samt waren fünfunddreißig dieser
„fahrenden Kirchen“ im Einsatz – jede
einzelne vierzehn Meter lang, drei Me-
ter hoch und fünf Tonnen schwer.
In der Tradition der „Kapellenwa-
gen“ weitete „Kirche in Not“ in den
darauf folgenden Jahrzehnten seine
motorisierte Unterstützung für die
weltweite Seelsorge immer mehr aus.
Priester, Ordensschwestern und Laien
in entlegenen Gebieten wurden mit Au-
tos, Booten, Motorräder, Fahrräder
und manchmal sogar Eseln ausgestat-
tet, um ihre pastoralen Aufgaben erfül-
len zu können.
Ein Höhepunkt in der sechzigjähri-
gen Geschichte der „Fahrzeuge für
Gott“ war zum Beispiel eine siebzig
Meter lange „schwimmende Kirche“
auf der Wolga, die „Kirche in Not“ 2004
finanzierte. Bereits in den Jahren zu-
vor waren kleinere Kapellenschiffe für
die Seelsorge auf dem Don angeschafft
worden.
In Deutschland ist auch heute noch
das „Beichtmobil“ unterwegs – ein
zum Beichtstuhl umgebauter VW-Bus,
in dem katholische Geistliche Seelsor-
gegespräche anbieten.
Die Ausstellung „60 Jahre Fahrzeuge
für Gott“ wird in der Dresdener LIGA
Bank Filiale, Schweriner Straße 29, bis
zum 15. April 2010 geöffnet sein. Die
Öffnungszeiten sind: Mo. - Fr. 08.30 Uhr
bis 12.00 Uhr; Mo. 13.00 Uhr bis 18.00
Uhr; Di.-Do. 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr.
Weitere Termine auf Anfrage: Kirche in
Not / Ostpriesterhilfe Deutschland e.V.,
Lorenzonistraße 62, 81545 München,
Tel.: 089 - 64 24 888-0, Fax 089 - 64 24
888-50, info@kirche-in-not.de
Das Beichtmobil in Deutschland
Kapellenschiff auf der Wolga
Historischer Kapellenwagen
Ordensschwestern auf Motorrollern in
Vietnam
Der „Speckpater“ Werenfried van Straaten hatte sich nach dem II. Weltkrieg mit
seiner „Ostpriesterhilfe“ um die deutschen Heimatvertriebenen gekümmert. Hier
sendet er Kapellenwagen in die deutsche Diaspora aus.
Alle Fotos: Kirche in Not