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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
Die Fragen über die Kulturkontakte und
den Austausch von geistlichen sowie auch
von materiellen Artefakten bekommen seit
der intensiven Tätigkeit des deutschen Kunst
historikers Niels von Holst und dessen Vor
gänger im Baltikum Philipp Schweinfurth und
Boris Wipper in der lettischen Kunstgeschich
te der Gegenwart immer mehr Gewicht.
1. Familiengeschichte —
Geschlechtergeschichte
Jeder Staat kann stolz sein, wenn seine
Bürger für den Ruhm, die Ehre, Kultur und
wirtschaftliche Blüte ihres Landes sich ein
setzen und mit ihrem Engagement in gesell
schaftlichen und politischen Vorgängen sicht
bare Spuren hinterlassen oder gar Fortschritte
bewirken. Das angesprochene Thema fördert
nähere Untersuchung mehrerer Aspekte, wie
etwa: Es ist hier zu fragen, wie eine histori
sche Person und ein Geschlecht in der Ge
schichte des Landes und noch weiter — in
der Geschichte Zentraleuropas — ihr Anse
hen und ihre außerordentliche Rolle fundiert
hat. Dies soll mit dem Beispiel von der Ge
schichte der Familie von Behr illustriert wer
den.
Das Geschlecht von Behr gehört zum
deutschen Uradel. Die heutigen Nachkom
men des Geschlechts sind stolz darauf, daß
die Geschichte mit der Schilderung vom Le
bensablauf einzelner Vorfahren bis auf das
12. Jahrhundert zurückgeht.
1
Man kann dem
Geschlecht unter dem Namen „Bero“ aus den
Lehnsbesitzern von Salzhäusern in Lüneburg
um 956 eine niedersächsische Abstammung
nachweisen. Überliefert ist auch, dass die
weiteren Nachkommen im 12. Jahrhundert
zuerst nach Pommern gegangen sind und
dort kräftig zur Ausbreitung des Christentums
mitgewirkt haben. Um 1473 besass die Fa
milie auch einen Anteil an den Kolbergschen
(Kolobrzeg in Poland) Salzwerken.
2
Vom besonderen Interesse sind diejeni
gen Mitglieder der Familie von Behr, die im
Baltikum ihre Niederlassung gefunden ha
ben und in ihrer Tätigkeit das Kunstmilieu im
heutigen Estland und Lettland deutlich be
reichert haben. Unter den im Dienst von Bi
schof 1449 in Ösel ansässigen Rittern wird
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER
FAMILIE VON BEHR
UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN
AUF DIE KULTUR KURLANDS
Ojārs Spārītis
osparitis@gmail.com
Schlüsselworter: Rudolph II, von Behr, Herzogtum Kurland, Schloss Edwahlen,
Kirche zu Schleck, Renaissance, Manierismus, Humanismus, Architektur, Kunst
raksti
60
Heinrich Beer genannt; Friedrich Beer wird
1557 zum Stiftsvoigt von Ahrensburg.
3
Zur
solcher Konstellation von Beamtern, Besit
zern und Geschlechtern in der Mitte des 16.
Jahrhunderts kam Livland durch Folgen von
Reformation, Abschaffen von katholischen
Bistümern in Livland, Kurland und Estland,
durch Zerfall und Säkularisation des deu
tschen Ordens, dessen Schwäche in Landes
verteidigung sofort die Nachbarländer Ruß
land, Schweden und Polen ausnützten. Es
ist überliefert worden, dass im ehemaligen
Bistum von Kurland (Pilten) und ÖselWieck,
im Kurländischen und Estländischen Teil
Livlands, in der Mitte des 16. Jahrhunderts
vom Bischof Johannes von Münchhausen ein
umfangreicher Handel mit Getreide getrieben
wurde, das er vor allem nach Lübeck gegen
Salz und Stoff „zum hofcledung“ eintauschen
oder nach Danzig, Riga, Reval und ande
ren Märkten mit eigenen oder gecharterten
Schiffen versenden ließ.
4
Der Zerfall von Konfederation von Fe
odalstaaten AltLivlands beginnt mit dem
Beschluß von Iwangorod, der Stadt und Or
densburg Narwa, im Aprill 1558. Die diplo
matischen Gespräche mit Iwan dem Schreck
lichen blieben ohne Erfolg, denn er blieb
seinem Zweck treu, nämlich — er wollte zu
erst Narwa von Livland lösen. Den russischen
Angriffen kamen auch die expansionistischen
Pläne Polens und Schwedens dazu, und die
Folge davon war, dass das zur Auflösung Alt
Livlands führte. Ein kleiner Teil an der West
küste, Grobin, kam im April 1560 auf 15 Jah
ren an das Herzogtum Preußen, so dass im
Prinzip alle Territorien von AltLivland in den
60er Jahren des 16. Jahrhunderts von Nach
barländern zerstückelt wurden. Estland wurde
unter der schwedischen Herrschaft gebracht.
Oberland, Semgallen, Kurland und der östli
che Teil Livlands kamen direkt an Polen oder
in dessen Lehnsabhängigkeit. Das ehemalige
Bistum Pilten sowie ein Teil des Bistums im
Stift ÖselWieck wurde im Herbst 1559 vom
letzten Bischof Johann von Münchhausen für
den Betrag von 30 000 Talern an den König
von Dänemark Friedrich II. verkauft. Damit
konnte König Friedrich die Erbansprüche
seines jüngeren Bruders Magnus befriedi
gen. Im Aprill 1560 traf Herzog Magnus auf
Ösel ein, ließ sich zum Bischof wählen und
bestätigte die Privilegien der Ritterschaft.
Ulrich von Behr, der Neffe des ehemaligen
Bischofs Johann von Münchhausen, der
1555 vom König von Dänemark Friedrich II.
zum Stiftsvogt und zum Statthalter in Kurland
ernannt wurde, wurde ebenfalls im Amt in
Ahrensburg auf Ösel und 1561 als Statthalter
in Ösel und Pilten gewählt.
Ulrich von Behr, gebürtig aus Stellichte,
aus dem Stammsitz von Behrs in Hanover,
wurde erst zum Domprobst, später 1556
auch zum Koadjutor des Bischofs. Nachdem
Dänemark das Stift Pilten dem Prinzen Mag
nus von Holstein als Sitz eingeräumt hatte,
schloss der Domprobst Ulrich von Behr 1561
mit Herzog Magnus einen Vertrag, in dem er
den dänischen Prinzen als Bischof anerkann
te und für sein Entgegenkommen „mit den
Riesengütern Edwahlen, Schleck, Popen,
Ugahlen u.s.w. erblich belehnte, ausserdem
mit Amt in Hasenpoth und Zierau nach Emi
gration der Kloster Hasenpotschen Minoriten,
aufs Lebstagsrecht“
bedachte.
5
Ein Jahr spä
ter, 1562, überließ Ulrich von Behr das Gut
Edwahlen seinem Bruder Johann, ging nach
Deutschland und starb 1585 in Stellichte,
wo er auch begraben wurde.
2. Besitz und Baugeschichte
Als vermutlicher Erbauer des Schlosses
Edwahlen kann Bischof Heinrich genannt wer
den, der laut einer Urkunde Edwahlen 1253
dem Bischof von Kurland zugeteilt hat. Aber
in Wirklichkeit konnte eine mit viereckiger
Mauer umgebene und mit dem Torturm be
festigte Burg nur nach der Unterdrückung von
kurischen Stämmen erbaut werden — etwa zu
Beginn des 14. Jahrhunderts. Um 1562, also
zur Zeit der ersten Privatbesitzer — Brüder
Ulrich und Dietrich von Behr, war das Schloss
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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
eine auf dem Hügel stehende, mit Wassergra
ben umgebene Burg — mit zwei Seitenflügeln
und Tortürmen, sowie auch einem in der Süd
WestEcke stehenden Rundturm. Die Familie
von Behr hat in den kommenden vier Jahrhun
derten Schloss Edwahlen als Hauptsitz ihres
Geschlechts gewählt. Die Familie hat diesen
Ort als Zentrum für ihre ökonomischen, kultu
rellen und intellektuellen Interessen angelegt
(Abb. 1).
Die diplomatische und auch politische
Dimension der Familie von Behr stellt auch
der Lebenslauf von Johann von Behr deutlich
dar. Im Jahr 1564 fand die Bestätigung der
erblichen Verleihung von Edwahlen, Schleck
und anderen Gütern an Johann von Behr
durch König Friedrich II. statt.
6
1578 er
scheint er als Rat des Herzogs Magnus von
Holstein, Herr des stiftischen Kurlands und
wie vormals Bischof von Bistümern Kurland
(Pilten), Ösel und Wieck. Im gleichen Jahr
erfolgte auch seine Belehnung mit dem Amt
in Schleck und er erhielt vom Herzog Mag
nus 2000 Reichstaler für das Inventarium
zu Hasenpoth und Zierau. Johann von Behr
war ebenfalls 1580 Abgesandter des Her
zogs Magnus bei den Bündnisverhandlungen
zwischen Rußland, Schweden und Polen. Er
unternahm im Sommer 1580 eine diploma
tische Reise nach Moskau zum Zaren Iwan
dem Schrecklichen. Auch den Machtansprü
chen auf Kurland, die vom König von Polen
erfolgten, widersetzte Johann von Behr sehr
tapfer mit Hilfe von Armee und Geschützen,
so dass er nach dem Gefecht am 24. Mai
1583 mit dem polnischen Heer unter dem
Kommando von Oberst Oborsky Johann von
Behr für das Stift Pilten, sowie auch für den
König von Dänemark einen dauerhaftigen
Friedensvertrag 1585 schloss und mit dem
erlangten Frieden Kurland von weiteren pol
nischen Überfällen geschützt hat.
Am 25. November 1606 erstellte Johann
von Behr in Edwahlen den Familienvertrag
— den so genannten „BehrenPakt“, der bis
zum 19. Jahrhundert bestand. Mit diesem
1. Schloss Edwahlen (Ēdole). Foto V. Mašnovskis
raksti
62
Dokument hat Johann von Behr eine wirt
schaftspolitische, den Familienbund zemen
tierende und kulturhistorische Präzedenz
geschafft. Damit hat er die Grundprinzipien
eines unteilbaren Familieneigentums und der
Verantwortung von jedermann, der den Na
men „von Behr“ trägt, gelegt. Hierzu gehören
also Menschen, die ihre Familie, ihr Land und
ihren sozialen Stand hoch schätzen und be
wahren. Johann von Behr starb 1613. Er hin
terliess seinen Söhnen Dietrich und Johann
die Güter in Deutschland, Werner und Fried
rich — die Güter in Kurland.
7
Da Friedrich
1648 ohne Hinterlassung männlicher Erben
starb, wurde der älteste Bruder Werner von
Behr (1565–1612) Erbherr auf Edwahlen,
Ugahlen, Popen, Angermünde, Verdenschen
Erbmarschall, Brandenburgischer Rat, der
Stammvater aller kurländischen Behrs. Was
bedeutet das in Kategorien von Wohlstand?
wie reich eigentlich war das Geschlecht von
Behr in Kurland? Im Jahr 1920 hat Baron
Alexander von Behr aus Edwahlen
berechnet,
dass das Geschlecht von Behr mit seinen
sechs Hauptgütern und mehreren Beigütern
oder Wirtschaftshöfen insgesamt 125 179
Hecktar Land besass und mit diesem Eigen
tum auf der Liste von Privateigentümern in
neugegründeten Staat Lettland die Nummer
eins war.
8
3. Bezug zur Stadt Prag und dem
Hof des Kaisers Rudolph II.
Werner von Behr ist in diesem Bericht
die Schlüsselfigur. Er studierte Rechtswissen
schaften in Rostock und Königsberg. Nach
der Beendigung des Studiums, bevor er nach
Heimat zurückkehrte, begab er sich noch auf
eine große Europareise. Nach dem Tode sei
nes Vaters übernahm Werner von Behr die
Verwaltung der Güter Edwahlen und Schleck.
9
Im Auftrag des Herzogs von Kurland Wilhelm
von Kettler hielt er sich 1596 am Hofe von
Kaiser Rudolph II. in Prag auf. Seine Aufga
ben bastanden darin, wirtschaftliche Verbin
dungen zu knüpfen sowie politische Allianzen
in den Ländern Mitteleuropas zu gründen,
denn das neue Herzogtum Kurland brauchte
starke politische Partner. In Prag hat er so
wohl Sibylla von Schleinitz, die Tochter des
böhmischen Großgrundbesitzers Freiherrn Jo
hann von Schleinitz auf Schlucken (Šluknow)
in der Oberlausitz, als auch Anna von Biber
stein kennengelernt. Als kurländischer Ge
sandter am Hof des Kaisers Rudolph II. hat
Werner von Behr die Gelegenheit benützt, die
böhmischen Magnaten kennenzulernen. Die
Geschlechter von Schleinitz und von Biber
stein gehörten zum sächsischen und böhmi
schen Hochadel, die den obersten Rang im
kirchlichen sowie im politischen Leben von
Sachsen, Böhmen und Schlesien einnahmen,
wie etwa die Ämter von Obermünzmeister
(Karl von Biberstein, 1528–1593)
10
oder von
Domherren und Bischöfen in Meißen, Naum
burg, Prag, Leitmeritz u.a.
11
In dieser diplomatischen Mission hat
Werner von Behr als studierter Rechtswis
senschaftler mehrere Male lange und be
schwehrliche Reisen von Edwahlen nach
Prag unternommen. Dabei kam es zu näherer
Bekanntschaft mit Johanna von Schleinitz
und dessen Familie. Bei Schleinitz hielt sich
Werner für längere Zeit auf, als er zwischen
den Staatsgeschäften in Prag war. Während
seines letzten Aufenthalts verlobte er sich mit
Sibylla von Schleinitz. Er kehrte kurz nach
Kurland zurück, um alle Vorbereitungen für
die Hochzeit zu treffen, dann reiste noch ein
mal als Privatmann nach Böhmen, wo am
1. Juli 1596 die Hochzeit stattfand. Das jun
ge Paar begab sich bald nach Kurland und
wählte für ihren Wohnsitz Edwahlen. Aus den
Beschreibungen des Inventariums in Edwah
len bekannt ist, daß das Schloss von Innen
mit wertvollem und altem Mobiliar, mit Gob
belins, Tafelsilberstücken, Gemälden, mit ei
ner Kupferstichsammlung, mit Porzellan und
einer Münzsammlung, mit Waffen und ver
schiedenen exotischen Trophäen geschmückt
war. Der Stolz der Famile von Behr aus Ed
wahlen war ein Silberschatz — Humpen,
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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
Pokale, Schüssel, Tafelaufsätze und Besteck
aus dem 16. sowie aus dem 17. und 18.
Jahrhundert.
12
Leider ist in der Feuersbrunst
der lettischen Revolution von 1905 fast alles
in Edwahlen, ausser Erinnerungen und Fotos,
verloren gegangen.
Nachdem die Familiengeschichte von
Behr bis nach Prag skizziert wurde, möch
te man fragen: Wo liegt aber der Reiz eines
Kunsthistorikers? Die Antwort lautet: In den
Kulturkontakten und im Kulturaustausch mit
einem hochentwickelten Land sowie im mit
Künstlerkapazitäten gesättigten Hof, wo Kai
ser Rudolph II. von 1576 bis 1612 regier
te und ähnlich wie Papst Julius II. Raphael
und Michelangelo unterstützte, so hat auch
Rudolph II. eine ganze internationale Künst
lergruppe mit solchen Namen wie Giuseppe
Arcimboldo, Karel van Mander, Joachim San
drart, Adrian de Vries, Bartholomäus Spran
ger, Christoph Jamnitzer und vielen anderen
wegen ihrer ausserordentlich hohen und in
ventiven Leistung gefördert und beschäftigt.
2. Kirche zu Edwahlen (Ēdole).
Foto V. Mašnovskis
3. Innenansicht von Kirche zu Edwahlen (Ēdole). Foto V. Mašnovskis
raksti
64
Die männliche Linie der Familie von Behr
hat immer die Rittergüter in Verden — Aller,
in Stellichte als Beispiel für die Lebensqualität
in Kurland betont. Alle Generationen waren in
ihren Bestrebungen einig, das gleiche Niveau
wie in Deutschland auch in der Architektur
und Kunst auf ihren kurländischen Gütern
erreichen zu können. Ein Zeugniss dafür ist
die Kirche zu Edwahlen (Abb. 2–3), die aus
rotem Backstein mit einigen gotisierenden
Formen 1644–1648 gebaut ist. Im Nebengut
von Edwahlen, nämlich im Gut zu Schleck,
weisen die Kirche und das Herrenhaus noch
ein höheres Niveau von der Baukultur auf.
Das wirft natürlich die Fragen nach dem Kul
tureinfluss und Kulturtransfer auf.
Wenn wir die Frauenlinie des Geschlechts
bis nach Prag verfolgen und die Spuren in
Böhmen, Sachsen, Schlesien und im Kaiser
hof Rudolphs II. nachvollziehen möchten, er
öffnet sich ein Spielraum nur für theoretische
Annahmen, denn es fehlt an urkundlichen
Beweisen. Eine hypothetische Glaubwürdig
keit kann nur die Rekonstruktion der Lebens
weise im 16. und 17. Jahrhundert verleihen.
Hier ein paar Anhaltspunkte zur Biogra
phie von Sibylla von Schleinitz: Nach der
Hochzeit in 1596 kam Sibylla von Schleinitz
nach Edwahlen, wo sie die folgenden 33 Jah
re bis zu ihrem Tod in 1629 verbracht hat. In
der Ehe mit Werner von Behr brachte sie vier
Söhne und eine Tochter zur Welt. Nur die Ge
burtsdaten ihrer Kinder und ihr Todesdatum
am 10. Mai 1629 sind die einzigen Eintra
gungen in der Stammtafel des Geschlechtes
von Behr, wo diese Frau eine bedeutende
Rolle gespielt hat.
13
Diese Angaben sind das
Einzige, was vom Leben einer hochadligen
Frau mit anspruchsvoller Verwandschaft im
Böhmischen Kaiserhof nach der Umsiedlung
nach Herzogtum Kurland im 17. Jahrhun
dert überliefert ist. Nicht viel. Als Tochter
adliger und wohlhabener Eltern kam Sibylla
nach Edwahlen mit einer reichen Aussteuer.
Doch unbeachtet dessen, wieviele böhmische
Spiegel, Tafelaufsätze, Prunkmöbel und Gob
belins nach Edwahlen gebracht wurden, das
Wertvollste in der Lebensgefährtin Werners
von Behr war ihre Erziehung, ihr Geschmack
und ihre Ansprüche nach einem glanzvollen
und inhaltsreichen Leben in Kurland, was
auch dem gewöhnlichen Kulturmilieu des
täglichen Lebens von Böhmischen Hochadel
entsprach: Dort schauten alle in Richtung
von Kaiser, sie lernten, wiederholten und üb
ten ein Zusammenleben mit den Extravagan
zen der Hofkunst.
Heute in Edwahlen und Schleck, was
nur 12 Kilometer östlich von Hauptsitz liegt,
können wir die höchste Kunstqualität beob
achten, die alle anderen Kulturdenkmäler
Lettlands in vielen Kriterien übertreffen. Die
Wasserburg Edwahlen gehört zu den so ge
nannten kleinen Burgen, wie sie zwischen
Weichsel und Memel sowie zwischen Kurland
und Finnland in gewissen Variationen anzu
treffen sind. Es ist ein beinahe quadratischer
Vierflügelbau — ein kleiner Konventhof mit
einem Einfahrtsturm, der im 14. Jahrhundert
als Burg der Bischöfe von Pilten erbaut wur
de. Auf dem hohen Plateau eines aufgestau
ten Sees und umgeben mit einem Kanal wur
de die Burg Edwahlen um 1380 bis 1450
mit einer Vorburg westlich vom Konventhof
erweitert. Unter den neuen Besitzern, den
Baronen von Behr, bekam die Burg im 16.
Jahrhundert in der Südwestecke einen Rund
turm und wurde zum einen gut befestigten
Herrensitz ausgebaut, was noch bis heute mit
wenig Änderungen gut erhalten ist.
4. Gut und Kirche zu Schleck
Im Jahr 1623, nach dem Tod von Werner
von Behr, wurde bei der Teilung des Fami
lienbesitzes das Gut Schleck vom Hauptsitz
Edwahlen separiert. Im 16. Jahrhundert soll
es in Schleck ein Wirtschaftsgut mit einem
Wohnhaus und einer Kapelle gegeben haben.
Das frühe Herrenhaus erhielt später die Be
zeichnung „das alte Haus“.
14
Der gesamte
Schlosskomplex in Schleck unterscheidet sich
stark von der landläufigen Komposition der
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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
Herrenhäuser in Kurland und Livland. Wäh
rend in den meisten Fällen das Herrenhaus
abseits der grossen Wirtschaftshöfe steht, ist
die Anlage in Schleck am Rande der Wirt
schaftsgebäude als selbstständiger Baukör
per angelegt. Die Gestaltung um 1709–1715
mit dem Übergang zum Rechtecksmotiv ist
die letzte Formung des Schlossensembles.
Das an der Schmalseite des Rechtecks ge
baute Hauptgebäude stellt den Mittelpunkt
und Abschluß zugleich. Das grosse Rechteck
ist nur von drei Seiten bebaut. Die vierte Seite
bildet einen natürlichen Anschluss zum Teich.
Samt dem großen Wirtschaftshof macht die
ganze Schlossanlage mit der Kirche und den
Aleen den Eindruck einer Residenz. Die An
fahrt zum Schloss führt durch eine etwa 300
Meter lange Birkenallee sowie durch einen
weiträumigen und aus insgesamt 24 Gebäu
den bestehenden Wirtschaftshof. Nur wenige
Schlossanlagen in Kurland entsprechen die
sem Ausmass, dieser Grössenordnung. Als
Kultursymbol dürfen wir Schleck dazu zählen.
Der Bauforscher Carl von Lorck schreibt
in der Begutachtung des Gutskomplexes
von Schleck: „Nach allen diesen Tatsachen
erscheint es höchstwahrscheinlich, dass die
Verbindung beider Baumeister Jean de Bodt
und Johann von Collas durch ihre Bauge
meinschaft in Friedrichstein, Döhnhoffstädt
und Carwinden auch von Ulrich von Behr aus
Kurland für seine Bauvorhaben in Schleck
und Popen gewonnen werden konnte.“
15
Jean de Bodt, der mit Johann von Collas zu
sammen gearbeitet hat, war ein Hofarchitekt
beim König Friedrich II. und beim Kurfürsten
August dem Starken in Dresden. Doch in den
Entwürfen für Zivil und Hofbauten sowie in
der Militär und Kirchenarchitektur blieb er
immer treu seinem „neufranzösischen Klas
sizimus“.
16
Zwei Hofportale ermöglichen die Einfahrt
in den Schlosshof sowohl von Norden als
auch von Süden. An der westlichen Schmal
seite des Gutskomplexes befand sich das Her
renhaus in der Länge von ca. 70 Meter. Die
Gesamtlänge von der Reihe der Flügelbauten
auf der Nordseite beträgt ca. 120 Meter, auf
der Südseite hingegen nur 85 Meter. Das
Herrenhaus zeichnet sich durch eine klare
4. Herrenhaus Schleck (Zlēkas). Foto der 1920-er Jahre
raksti
66
Gliederung aus und bildet in der Gesamt
anlage den Mittelpunkt ( Abb. 4). Auf dem
Kellergeschoß, der sich unter dem gesamten
Herrenhaus befindet, ruhen zwei Stockwerke.
Die Mitte der Hof und Westfassade ist mit
einem nach vorne geringfügig geschobenen
Mittelrisalit versehen. Jeder Risalit ist mit ei
nem Dreieckgiebel gekrönt. Die Zentren von
beiden Mittelrisaliten sind durch eine Dop
peltreppe akzentuiert. Die Wände des Her
6. Kirche zu Schleck (Zlēkas). Foto O. Spārītis
5. Ruine von
Herrenhaus Schleck.
Foto O. Spārītis
renhauses gliedern sich in jeweils
5+3+5 Fensterachsen. Aus dem
steilen und mit Dachpfannen be
deckten Walmdach ragen vier mo
numentale Schornsteine. Die farb
liche Gestaltung des Herrenhauses
hat sich im Laufe der Zeit variiert.
Unter den Putzschichten haben sich
Farbenreste erhalten, darunter sind
zwei Hauptfarben zu unterschei
den. Die ursprüngliche Wandfar
be ist rosa mit weiß in abgesetzter
Rahmengliederung gewesen. Seit
1860 hat das Herrenhaus weiß mit
grauer Rahmengliederung erstrahlt.
Seit der Eroberung von Kurlandkes
sel und Kapitulation der deutschen
Armee am 8. Mai 1945 wurde das
Herrenhaus Schleck sofort von Rot
armisten angezündet und niederge
brannt. Übrig geblieben ist nur eine
Ruine, die nur theoretisch zu rekon
struieren ist (Abb. 5).
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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
Und nun zum eigentlichen Prunkstück:
Das ist die Kirche zu Schleck, die von 1643
bis 1645 erbaut und in den folgenden Jah
ren von 1648 bis 1652 verziert wurde
(Abb. 6). Das Kirchengebäude besteht aus
drei Hauptteilen: aus einem monumentalen
und mit Strebepfeilern gestützten Turm, aus
einem dreischiffigen und gewölbten Gemein
deraum und aus einem proportionell in die
Höhe und Breite reduzierten polygonalen Al
tarraum. Die Kirchenarchitektur weist auch
wichtige Merkmale der späten Renaissan
cearchitektur auf. Die Fassade der Kirche ist
mit spitzbögigen Fenstern, die der Stilrich
tung der sogenannten „Nachgotik“ entspre
chen, geschmückt. Die Wandflächen zwi
schen den Fenstern sind durch toskanische
Pilaster geteilt; alle Ecken und Fenster sind
von Putzquadern umgeben. Unter der Kirche
befindet sich die sogenannte „Präsidenten
gruft“, wo alle Präsidenten und Landräte der
Familie und des Stifts Pilten in einem separa
7. Innenansicht von Kirche zu Schleck (Zlēkas). Foto V. Mašnovskis
ten Grabgewölbe in großen, wappengezierten
Prunksärgen liegen.
Was den Innenraum der Kirche betrifft,
das lässt sich nur mit viel Einbildungskraft
schildern: Bunte Farben und willkürliche Or
namente, Schnitzereien des Altars und der
Kanzel aus dem Repertoir der Manierismus
kunst Nordeuropas (Abb. 7–8). Dabei fallen
solche Namen ein wie Cornelis Floris, Hans
Wredeman de Vriese, Friedrich Unteutsch,
Donath Horn, Schnitzer Hans Gudewert, Lud
wig Münstermann und viele andere, die die
Grundlagen für die Exzentrizität in der Kunst
gelegt haben. In Schleck ist all dies einem
Lehrling des herzöglichen Hoftischlers Franz
Hoppenstädt zu bedanken, dessen Hand
schrift in fünf Kirchen Kurlands vom 1643
bis 1652 nachweissbar ist. Sein Stil im
Schöpfen von manieristischen Ornamenten
und Grotesken im Knörpelstil kann mit Stil
von Hans Gudewert oder Ludwig Münster
mann angeglichen werden, deren Werke im
raksti
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8. Kirche zu Schleck (Zlēkas). Altar. Foto V. Mašnovskis
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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
Norden Deutschlands zu finden sind (Abb.
9). Tänzende, spiralartige Darstellungen von
allegorischen Skulpturen wiederholen die
Komposition von „Figura serpentinata“ von
Giovanni da Bologna und Adrian de Wriese.
Der Silberschatz der Kirche zu Schleck be
stand aus Gegenständen, die in Hamburg,
Riga, Augsburg angefertigt waren.
5. Universum der Renaissance
Die Intrigue liegt aber im Konzept der
ikonographischen und allegorischen Bot
schaft in der künstlerischen Gestaltung der
Kirchenbänke, die ein Modell von Universum
im Sinne von Johannes Keppler in mehreren
Reichen von Malereien auf dem Patronats
gestühl darstellen. Die Überlieferung besagt,
9. Seraph aus der Kanzel von
Schleck (Zlēkas).
Foto V. Mašnovskis
10. Patronatsgestuhl aus der Kirche zu Schleck (Zlēkas). Foto Herder Institut, Marburg
raksti
70
dass in den Beständen des Kreismuseums zu
Bauske bis zum Zweiten Weltkrieg ein Ge
stühl aus der Kirche zu Schleck mit den Dar
stellungen von sechs Schöpfungstagen auf
der Brüstung aufbewahrt wurde, das leider
heute nicht mehr zu finden ist (Abb. 10).
17
Das Patronatsgestühl mit sechs bemalten
Füllungen auf der Brüstung stand ursprüng
lich vor dem Altar auf der linken Seite der
Kirche. Die Bilderreihe fängt mit einer iko
nographischen Darstellung an: Die Trennung
von Licht und Dunkelheit als Genesis von der
Materialität. Dies ist auf der linken Tür ge
malt. Diese Tür ist als das einzige Bruchstück
und Zeugniss erhalten geblieben. Mit der
bemalten Füllung wird mitten des bevölkten
Himmels ein sonniges Zentrum dargestellt,
was den ersten Tag der Schöpfung symbo
lisiert. Weitere Füllungen stellen die Schöp
fung der Erde und die Trennung vom Wasser
(Moses, Cap. I, Vers 9), die Schöpfung der
Fisch und Vögelwelt (Moses, Cap. I, Vers
20), der Tierwelt (Moses, Cap. I, Vers 24) so
wie die Schöpfung der ersten Menschen. Die
malerische Qualität ist nicht besonders hoch,
denn im Baltikum im Zeitraum vom 16. bis
zum 18. Jahrhundert wurden die Altar und
Emporenmalereien nur von Mitgliedern der
Malerzunft angefertigt; kein anderer ausser
Zunftmitgliedern war berechtigt, diese Arbeit
ausführen. Die Malermeister der Zunft waren
aber hauptsächlich in den Städten und Guts
höfen mit den Wand und Deckenmalereien,
mit den Fassaden und mit der Möbelbema
lung beschäftigt; ihre Leistungen in der Gen
remalerei sind nur den Fertigkeiten von den
Kupferstichvorlagen zu bedanken.
Die zweite Reihe der Malereien in der Kir
che zu Schleck lässt die von Gott erschöpfte
Welt mit fünf Sinnen wahrnehmen. Die rech
te Reihe von den Kirchenbänken zur Altar
seite endet mit einer Brüstung, wo auf den
Füllungen alle fünf Sinne — Visus, Tactus,
Odor, Auditus und Gustus — gemalt sind.
Von fünf bemalten Füllungen sind heute lei
der nur noch zwei erhalten, nämlich diejeni
gen, die die Allegorien von Visus und Odor
darstellen. Das erste Bild — Visus (Gesicht;
Sehvermögen) — zeigt eine Frauengestalt mit
dem Spiegel in der Hand, welcher ihr Ge
sicht und auch die Welt zu fassen versucht.
Die zweite Füllung symbolisiert ein anderes
Frauenbildniss in allegorischer Gestalt. Es ist
der Sinn Odor (Geruchssinn), der mit einer
Geste ein Blumenbunt zur Nase erhebt. Es
fehlen die weiteren Darstellungen von Tactus
(Tastsinn), Auditus (Gehör) und Gustus (Ge
schmack), die höchstvermutlich — ähnlich
wie die ersten zwei — den Kupferstichvorla
gen niederländischer Künstler Hendrik Goltzi
us oder Marten de Vos aus dem Ende des 16.
Jahrhunderts nah standen.
Die dritte Bildserie befindet sich an den
Türen der Kirchenbank auf der rechten Seite
des Gemeinderaumes: Da sind die drei Kardi
naltugenden — Fides, Spes, Caritas (Glaube,
Hoffnung, Liebe) — dargestellt in traditionel
ler ikonographischer Form. Alle drei Allego
rien haben in vereinfachter Komposition im
Zentrum eine Frauengestalt: Die erste, mit
dem Kreuz in der Hand, soll die Tugend vom
Glaube illustrieren; die zweite Gestalt, mit
dem Anker an der Hand, ist als Tugend der
Hoffnung zu verstehen; und die dritte, die
Frau mit dem Kind auf dem Arm, soll jedes
Gemeindeglied an die wichtigste aller Tugen
den erinnern, sie spricht von der Menschen
und der Nächstenliebe.
Direkt im Gang, unter der Kanzel, zum Al
tar gerichtet, befinden sich mehrere bemalte
Füllungen, die eine Reihe der Malereien auf
den Türen der linken Reihe des Kirchenge
stühls abschließen. Insgesamt sind neun
Malereien erhalten. Einige Türen mit bemal
ten Füllungen fehlen. Die Malereien, die wir
heute nicht mehr betrachten können, gelten
als verloren gegangenen. Auf den Füllungen
bemalte Allegorien sollten vermutlich eine
didaktische Folge von der Tugend und dem
Laster des menschlichen Charakters vorstel
len. Doch die Reihe ist nicht vollständig er
halten; auch die erhalten gebliebenen Bilder
71
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
erlauben keine einheitliche Einsicht in die
Gestaltung der dialektischen Opposition vom
„Guten“ und „Bösen“. Obwohl das Konzept
des Auftraggebers im Ganzen nicht klar ist,
wird der Verfasser dieses Artikels trotzdem
versuchen, einige seine Beobachtungen in
ein System zu bringen. Es ist durchaus mög
lich, dass der Auftraggeber oder Pastor (als
Konzeptträger) beim Ausmalen von Füllungen
hauptsächlich eine intellektuelle Konstruktion
mit „Thesis“ und „Antithesis“ im Kopf hatte
und versuchte, mittels der Bildersprache —
also durch die Sinnbilder — seine Botschaft
sichtbar machen.
Im mittleren Kirchengang, in der Rich
tung vom Eingang zum Altar, ist die erste
allegorische Malerei zu betrachten, die eine
weibliche Gestalt mit Blumen in einer Hand
und einem Winkelmass in der anderen dar
stellt. Es ist zu vermuten, dass diese Frauen
gestalt eine Allegorie der Justitia/Gerechtig
keit ist; die Injustitia/Ungerechtigkeit — als
Opposition — könnte dem Pastor viel Stoff
zu moralisierenden Gedanken schaffen. Die
zweite Frauengestalt stellt eine Allegorie der
Temperantia/Mässigkeit dar: Abgebildet mit
einer Kanne und einem Pokal zum Mischen
von Wein und Wasser. Als ungemalte Oppo
sition zu dieser Allegorie könnte der Pastor
beim Predigen besiegtes Laster von Luxuria/
Unkeuschheit nennen. Die dritte allegorische
Darstellung befindet sich auf der Tür des Kir
chengestühls: Es ist eine Frau mit Spiegel in
der Hand, zwei Gesichtern und Schlangen
auf dem Kopf; mit dieser Gestalt ist die Tu
gend von Prudentia/Klugheit gemeint. Die
allegorische Bedeutung von diesem Bild ist
vielschichtig und kann nicht nur als Pruden-
tia/Klugheit, sondern auch als Sapientia/
Weisheit verstanden werden. Der Spiegel gilt
als Zeichen von Selbsterkenntniss; die zwei
Gesichter der Frau sind als Hinweis auf die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu
interpretieren. Wenn in Schleck eine Dop
pelreihe von Allegorien gemalt wurde, dann
wohl als Opposition von der oben erwähnten
Tugend, nämlich — als Laster des Insipien-
tia/Dummheit.
Um die Ecke der Kirchenbank, zum Altar
gerichtet, das erste Bild von links auf dem
Kirchengestühl (in die Sinnbildserie aber das
vierte Gemälde), ist eine leicht erkennbare
Allegorie zu sehen, und zwar eine Frau, die
über die Schulter eine Säule trägt. Dieses
Symbolbild hat eine allegorische Bedeutung
von Fortitudo/Tapferkeit; dessen Opposition
durch Allegorie des Lasters der Timor/Furcht
ausgedrückt werden könnte. Ein weiteres Bild
zeigt eine Frauengestat mit einem Lamm, das
die Zuflucht bei Frau sucht. Diese Allegorie
deutet auf die Patientia/Geduld, welche als
Tugend die Charakterfähigkeit personifiziert,
das Laster von Ira/Zorn unterdrücken zu kön
nen. Eine gemauerte Säule deckt zwei weitere
Füllungen; deshalb hat der Künstler auch die
schlecht sichtbaren Felder nur mit bemalten
dekorativen Ornamenten verziert. Als fünftes
Bildmotiv kann man eine Frauengestalt mit
einem Blumenstrauß in der Hand betrachten.
Die Blumen oder ein Blütenzweig ist vermut
lich ein Attribut der Tugend von Spes/Hoff
nung, welcher auf den Sieg über die Despera-
tio/Verzweiflung verweist. Zwei weitere Türen
des zur nördlichen Wand gerichteten Kir
chengestühls sind ohne Füllungen. Den Inhalt
von verlorengegangenen Malereien können
wir leider nicht glaubwürdig rekonstruieren.
Die letzte und die einzige auf der nördlichen
Seite erhalten gebliebene Malerei stellt einen
schwarz gekleideten, auf dem Tronsessel sit
zenden Herrscher dar, dessen allegorische
Deutung sich kaum enträtseln lässt. Die frag
mentar vorgeführte Bildserie lässt sich als ein
vielseitiges Universum von christlichen Tu
genden interpretieren, zu dessen inhaltlichen
Konzeption die Humanisten der Renaissance
wesentlich beigetragen haben. Erwähnt sol
len hier vor allem solche Namen wie And
rea Alciato (1492–1550) oder Cezare Ripa
(1560–1645), die ihrerseits viel von den
frühchristlichen Theologen, Philosophen und
Schriftstellern Tertullian (um 160–220) und
raksti
72
Aurelius Prudentius (348–405) übernommen
haben.
18
Der letzte erwähnensbedürftige Gegen
stand in der Kirche zu Schleck ist das Pa
tronatsgestühl auf der rechten Seite des
Altarraums. Dieses holzgeschnitzte und be
malte Möbelstück gehört zur Hauptgruppe
des zwischen 1648 und 1652 angefertigten
Inventars und stammt höchstvermutlich aus
der Werkstatt von Franz Hoppenstädt. Bun
te Ausmalung, komplizierte baldachinartige
Konstruktion, exotische Schnitzornamente
machen dieses Patronatsgestühl zu einem
sichtbaren Symbol des Herrscherstatus und
stellen die männlichen Erben der Kirche und
des Patronatsgutes in einer attraktiven Um
rahmung von allen Gemeindemitgliedern zur
Schau. Uns interessiert nur die Frontwand
des Patronatsgestühls mit den vier Füllun
gen, die mit geschnitzten Bögen, Cartouchen
und überlappenden Ornamenten im Zentrum
jeder Füllung eine geschnitzte allegorische
Figur darstellt. Die Anzahl von vier Figu
ren gestattet uns anzunehmen, dass diese
Allegorien der in der griechischen Philoso
phie durch Platon entwickelten Auffassung
von den Kardinaltugenden — Temperantia
(Mäßigkeit), Prudentia (Klugheit), Fortitudo
(Tapferkeit) und Justitia (Gerechtigkeit) —
entsprechen. Fast alle geschnitzten Figuren
haben während der Jahrhunderte ihre Identi
fikationsattribute verloren. Die dritte Füllung
von links lässt leicht die Allegorie der Fortitu-
do/Tapferkeit erkennen. Die im langen Rock
gekleidete Frauenfigur trägt auf der Schulter
eine Säule und lässt sich ohne Zweifel in ih
rer allegorischen Bedeutung identifizieren.
Wenn wir die fehlenden Attribute von an
deren Allegorien in unserer Imagination er
gänzen würden, wie etwa der Allegorie der
Mäßigkeit — Kanne und Pokal, der Allego
rie der Klugheit — den Spiegel, der Allego
rie der Gerechtigkeit — den Schwert und/
oder die Waage, dann können wir schluss
folgern, dass die ersten drei — die Mäßig
keit, Klugheit und Tapferkeit — der vierten
mächtigeren allegorischen Tugend, nämlich
der Gerechtigkeit, untergeordnet sind. Dies
wird „als Früchte des ewigen Lebens“ und als
ein verbindlicher Kanon in der christlichnen
Ethik übernommen. Die in diesem Patro
natsgestühl sitzenden männlichen Erben des
Adelsgeschlechtes von Behr personifizierten
das christliche und ethische Ideal der Renais
sance. Es sollten auch während ihrer Lebzeit
genug gebildete Familienangehörige und Ge
meindemitglieder gegeben haben, die diesem
Konzept als Gelehrte folgen könnten.
Es ist äusserst interessant, die Denkmus
ter der Vergangenheit zu enträtseln und die
zum Humanismus der Renaissance führen
den geistlichen, ethischen, philosophischen
Konstruktionen identifizieren zu versuchen.
Für den einzigartigen Gutskomplex von Ed
wahlen sowie auch für das Gut und die Kir
che von Schleck haben wir dem europäisch
geprägten Geschlecht der Barone von Behr
in der Verwandschaft zu den hochadligen
böhmischen Geschlechtern von Schleinitz
und von Biberstein zu verdanken. Der heu
tige Zustand von den erwähnten Kulturdenk
mälern, die durch Kriege stark beschädigt
wurden, ist jedoch trotz fehlender Bau und
Kunstelemente genug aufschlussreich, um
das Erhaltene richtig deuten zu können und
die daraus gewonnenen Erkenntnisse für die
Zukunft weiterzugeben.
Endnotes
1
Behr, Paul Baron von. Aus der 800-Jäh-
rigen Geschichte des Geschlechtes Behr.
Göttingen, 1954–1956, S. 5.
2
Fircks, Friedrich von. Ueber den Ursprung
des Adels in dem Ostsee-Provinzen Russ-
lands und das den alten Rittergeschlech-
tern daselbst gebührende Prädicat. Vom
Freiherrn Friedrich von Fircks. Mitau und
Leipzig bey A. Reyher, 1843, S. 145.
3
Fircks, Friedrich von. Ueber den Ursprung
des Adels in dem Ostsee-Provinzen Russ-
lands. S. 145.
4
Pistohlkors, Gert von. Deutsche Geschich-
73
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER FAMILIE VON BEHR UND DEM HOF VON RUDOLPH II.
UND DEREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE KULTUR KURLANDS
te im Osten Europas. Baltische Länder.
Siedler Verlag, Berlin, 1994, S. 155.
5
Schmidt, Oscar Emil. Album Balticum.
Landschafts, Cultur und Reisebilder als
Beiträge zur baltischen Heimatskunde.
Bd. I, Riga, Ernst Plates, 1907, S. 22.
6
Schmidt, Oscar Emil. Album Balticum.
S. 24.
7
Vogell, Friedrich. Versuch einer Ge-
schlechtsgeschichte des hochadelichen
Hauses der Herren Behr im Hannover-
schen und Curländischen aus theils be-
reits gedruckten, theils ungedruckten
Urkunden entworfen. Zelle, bei Schweiger
und Pick, 1815, S. 99.
8
Baron Alexander von Behr — Edwahlen.
Der Kurländische Güterbesitz. Herder In
stitut, Marburg (Handschrift), DSHI 190
— Kurland, XVI, M 200, Tabelle, ohne
Seitenangabe.
9
Behr, Ulrich Baron von., Senning Alex
ander. Edwahlen und die Behrsche Ecke
in Kurland. Lührs & Röver, VerdenAller,
1979, S. 79.
10
Biographisches Lexikon zur Geschichte
der Böhmischen Länder. Hrsg. von He
ribert Sturm, Bd. 1, A–H, R. Oldenbourg
Verlag München–Wien, 1979, S. 90.
11
Neue deutsche Biographie. Bd. 23,
(Schinzel–Schwarz), Duncker & Humlot
Verlag, Berlin, 2007, S. 57.
12
Buchholz, Anton. Goldschmiedearbeiten
in Livland, Esthland und Kurland. Lübeck,
1892 Tafeln XV–XXIII.
13
Behr, Ulrich Baron von., Senning Alex
ander. Edwahlen und die Behrsche Ecke
in Kurland. Lührs & Röver, VerdenAller,
1979, S. 428.
14
Behr, Ulrich Baron von., Senning Alex
ander. Edwahlen und die Behrsche Ecke
in Kurland. Lührs & Röver, VerdenAller,
1979, S. 93.
15
Baugeschichte Schleck. NDS Landes-
archiv-Staatsarchiv Stade. Dep. 5 B II,
Nr. 1657, S. 3.
16
Allgemeines Lexikon der bildenden
Künstler von Antike bis zur Gegenwart.
Hrsg. von Ulrich Thieme und Felix Becker.
Bd. 3/4, E.A. Seemann Verlag, Leipzig,
1999, S. 171.
17
Das Foto ist im Bildarchiv des Herder In
stituts Marburg erhalten.
18
Sachs, Hannelore; Badstübner, Ernst;
Neumann, Helga. Christliche Ikonogra-
phie in Stichwörten. Koehler & Amelang,
München–Berlin, 1996, S. 342–346.
FON BĒRU DZIMTAS SAIKNES RŪDOLFA II GALMĀ UN TO IETEKME
KURZEMES ARHITEKTŪRĀ UN MĀKSLĀ
Ojārs Spārītis
osparitis@gmail.com
Kopsavilkums
Atslēgas vārdi: Rūdolfs II, fon Bēru dzimta, Kurzemes hercogiste, Ēdoles pils,
Zlēku baznīca, renesanse, manierisms, humānisms, arhitektūra, māksla
Sakrālā arhitektūra un māksla ir būtiska Latvijas kultūras mantojuma sastāvdaļa. Sabied
rība to vienmēr respektējusi un tā ir tikusi mazāk postīta, tādēļ cauri gadsimtiem tā arī labāk
saglabājusies nekā citi kultūras mantojuma slāņi. Rakstā apcerēta neparasti augstas kvalitātes
raksti
74
arhitektūras un mākslas mantojuma daļa — Ēdoles un Zlēku muižu ansambļi, kas radušies
Kurzemē 17. gs. pirmajā pusē, un analizēti apstākļi, kas veicinājuši šo vērtību attīstīšanos.
Pēc Piltenes bīskapijas pāriešanas Dānijas karaļa Fridriha II valdījumā 1559. g., Johans
fon Bērs sāka pārvaldīt ievērojamas teritorijas gan tagadējās Igaunijas, gan Latvijas teritorijā —
Ēdoles un Zlēku muižas. Dažus gadus vēlāk — 1564. g. — Johans fon Bērs ieguva īpašumā
šīs un vēl citas muižas Kurzemē. Johanam fon Bēram bija ne vien plašs saimnieciskais vē
riens, bet arī izcilas politiskās komunikācijas iemaņas. Lai novērstu tālāk Krievijas ekspansiju
Baltijas jūras reģionā, Dānijas karaļa Fridriha II brālis — hercogs Magnuss — 1580. g. sūtīja
Johanu fon Bēru uz Maskavu ar diplomātisku uzdevumu pie Ivana IV (Bargā), kur viņš sekmīgi
pārstāvēja poļu un zviedru intereses un panāca mieru uz vairākiem gadu desmitiem.
Kā diplomāts un sekmīgs saimnieks Johana fon Bēra pēdās sekoja viens no viņa četriem
dēliem — Verners fon Bērs (1565–1612). Pēc tieslietu studijām Rostokas un Kēnigsbergas
universitātēs Verners fon Bērs atgriezās Kurzemē un sāka pārvaldīt Ēdoles, Ugāles, Popes un
Rindas muižas, no Ēdoles kā otru nozīmīgāko īpašumu izdalot un attīstot saimniecību Zlēku
muižā. Šajā laikā saimnieciski orientētais Kurzemes hercogs Vilhelms augstu vērtēja Vernera
fon Bēra diplomātiskās prasmes un 1596. g. nosūtīja viņu uz Prāgu saimniecisku saišu veido
šanai ar karaļa Rūdolfa II galmu, kura intereses, paralēli merkantilajām, bija cauraustas arī ar
renesanses humānisma idejām.
Diplomātiskā misija beidzās ar to, ka Prāgā Verners fon Bērs iepazinās ar ievērojamo čehu
magnātu Johana fon Šleinica un Annas fon Biberšteinas meitu Sibillu, kuru apprecēja jau
tā paša gada vasarā. Šo dzimtu savienība vairākās paaudzēs rosināja visaugstākās raudzes
kultūras paraugu iesakņošanos Kurzemē, kuru vidū ir gan Ēdoles pils un baznīcas izbūve, gan
Zlēku muižas kungu mājas arhitektūra, kura varēja rasties ar Prūsijas karaļa Fridriha II galma
arhitektu Žana de Bodta un Johana fon Kollāsa palīdzību. Arī Zlēku muižas kompleksa un tā
sastāvā integrētās Zlēku baznīcas arhitektoniskās un mākslinieciskās kvalitātes tālu pārsniedz
caurmēra sniegumu un ir vērtējamas kā izcili piemēri renesanses humānisma ideju un manie
risma stila tendenču pārcēlumam Latvijas kultūras mantojumā.
Par autoru
Dr. habil. art. Ojārs Spārītis, mākslas vēsturnieks, Latvijas Mākslas akadēmijas profesors.
Specializējies Latvijas arhitektūras un mākslas vēstures teorijas un stilistikas, kā arī kultūras
mantojuma aizsardzības jautājumos. Īpašu uzmanību pētījumos velta renesanses, reformācijas
un konfesionalizācijas perioda kultūras mantojumam.
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