Ostslavische Grabfunde in der Prähistorischen Abteilung
des Naturhistorischen Museums
Von Angelika H
EINRICH
1
(Mit 1 Karte und 4 Tafeln)
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Manuskript eingelangt am 30. Juli 1999
Fritz Eckart B
ARTH
zum 60. Geburtstag gewidmet.
Zusammenfassung
Die Prähistorische Abteilung ist reich an archäologischem Material aus dem ehemaligen Russischen Reich.
Neben der bekannten Kaukasus-Sammlung besitzt sie auch bisher kaum beachtete Funde aus verschiede-
nen anderen Landesteilen. Mit diesem Beitrag werden zwei Komplexe aus Kurganen der Umgebung von
Moskau vorgestellt. Diese Grabbeigaben - hauptsächlich Schmuckstücke - werden dem ostslavischen
Stamm der Vjatiˇcen zugeschrieben und in die zweite Hälfte des 12. bis erste Hälfte des 13. Jh. datiert. Es
ist dies die Zeit zwischen dem Zerfall der Kiever Rus’ und dem Einfall der Mongolen.
Abstract
The Prehistoric Department houses a rich archaeological material from the former Russian Empire. Apart
from the wellknown caucasian collection the assemblage comprises finds from several parts of the country
hardly noticed so far. In this contribution two assemblages from kurgans from the vicinity of Moskow are
presented. These grave furnishings, mainly ornaments, are attributed to an eastern slavic tribe called
Vjatiˇcen and date to first half of the 12
th
until the first half of the 13
th
century, which is the period between
the fall of the Rus’ in Kiev and the mongolian invasion.
1. Fundgeschichte
Die Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien besitzt zahlreiche
Fundgegenstände aus verschiedenen Teilen des ehemaligen Russischen Reiches. Aus
diesem umfangreichen Material sollen mit diesem Beitrag einige Funde aus Kurganen
der Umgebung von Moskau bekanntgemacht werden.
Im Jahr 1890 erwarb die damalige Anthropologisch-Prähistorische Sammlung der Anthro-
pologisch-Ethnographischen Abteilung des k.k. Naturhistorischen Hofmuseums im Tausch
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Dr. Angelika H
EINRICH
, Prähistorische Abteilung, Naturhistorisches Museum Wien, Burgring 7, A-1014
Wien. - Österreich.
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Die Reinzeichnung der Verbreitungskarte Abb. 1 wurde in dankenswerter Weise kostenlos von Dipl.-
Graph. Prof. W. S
TRASIL
durchgeführt und ist gleichfalls eine kleine Gabe zum 60. Geburtstag von F. E.
B
ARTH
.
Ann. Naturhist. Mus. Wien
101 A
97–118
Wien, Dezember 1999
©Naturhistorisches Museum Wien, download unter www.biologiezentrum.at
gegen prähistorische Bronzen
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„Typische Gegenstände aus den Kurganen des Gouverne-
ments
von Moskau, Rußland“
4
. Dieser Tausch ging auf die Initiative von Franz H
EGER
, dem
damaligen Abteilungsdirektor, zurück, der im Jänner 1890 am VIII. Russischen Archäo-
logen-Congress in Moskau teilgenommen hatte (H
EGER
1890: 142 ff.). Als Vermittler fun-
gierte Prof. Dmitri Nikolaeviˇc A
NUC
ˇ
IN
, Vizepräsident der Kaiserlichen Archäologischen
Gesellschaft und Vorstand des Anthropologischen Museums der Universität in Moskau.
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Zu diesem Komplex passen sowohl typologisch als auch chronologisch die der Anthropo-
logisch-Prähistorischen Sammlung bereits im Jahr 1887 von Nikolaj Georgieviˇc Z
OGRAFF
aus Moskau
6
als Geschenk überlassenen Fundstücke aus einem „Kurgan mit Skelett von
dolichocephalem Typus“ in Kosino bei Moskau.
7
Leider ist es heute nicht mehr möglich zu eruieren, ob es sich bei den beiden hier vor-
gestellten Komplexen wirklich um geschlossene Funde handelt und, wenn ja,
ob diese
jeweils aus einem oder aus mehreren Gräbern stammen. Die Zusammensetzung der bei-
den Fundposten erlaubt jedoch mit einer gewissen Berechtigung anzunehmen, daß es
sich um Beigaben aus jeweils einem Grab handelt. Die Frage nach der Vollständigkeit
der Grabinventare muß allerdings offen bleiben.
2. Material
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2.1. Funde aus dem ehemaligen Gouvernement Moskau (Taf. 1-3):
- 2 beschädigte siebensprossige Schläfenringe (Hauptmasse: Bronze mit oxidiertem Anteil, relativ Sn-
reich)
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, blechförmig; an jeder Seite der drahtförmigen Bügel jeweils eine Öse, bei einem Stück durch
Kerben verziert; die Schauseite ist auf der Mittelfläche durch ein die Ränder begleitendes Leitermuster,
auf den Sprossen durch ein Winkelmuster verziert; ein Stück mit Gußfehler; gr. erh. B: 57 und 56 mm,
gr. erh. L.: 62 und 64 mm; Inv.-Nr. 16.278 (Taf. 1/1-2).
- 1 bandförmiger Fingerring aus Bronze (keine Analyse); gegossen; die schmalen, offenen Enden auf der
Rückseite zusammengebogen; stark verbreitertes Vorderteil mit durchbrochenem Muster: in der Mitte ein
von einem breiten, mit sehr schwach erhaltenem Kerbmuster verzierten Ring eingefaßtes Kreuz, seitlich
davon jeweils ein rundes Loch und an den Rändern vier Gruppen von je drei dreieckigen Durchbrüchen;
beiliegend ein Fingerknochen
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; Dm. 23,2 mm; B. des Vorderteiles 19 mm; Inv.-Nr. 16.272 (Taf. 1/3).
- 1 bandförmiger Fingerring aus Bronze (keine Analyse); gegossen; die schmalen, offenen Enden auf der
Rückseite zusammengebogen; verbreitertes Vorderteil mit mitgegossener Verzierung: im Mittelfeld ein
Sonnenmuster, in den seitlichen Feldern jeweils ein florales Motiv; entlang der Ränder je eine schmale
Rille; Dm. 20,9 mm; B. des Vorderteiles: 10,3 mm; Inv.-Nr. 16.275 (Taf. 1/4).
- 1 scheibenförmiges, gewölbtes Anhängsel (Hauptmasse: Bronze mit etwas Pb, Saum: oxidiert, Sn-reich)
mit bandförmigem Kreuz und erhabenen, aufgesetzten Punkten sowie einem den Rand begleitenden
Kerbmuster; in der Mitte und am Rand beschädigt, Öse nur teilweise erhalten; Dm 22 mm; Inv.-Nr.
16.279 (Taf. 1/5).
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Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien 101 A
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Notiz im Verzeichnis der eingelangten Sendungen unter dem Datum 2.4.1890. Bereits am 24.4. bedankte
sich H
EGER
für die Sendung und teilte D. N. A
NUTSCHIN
(A
NUC
ˇ
IN
) mit, daß er eine kleine Collection zu-
sammenstellen werde. Leider ist es bislang
nicht gelungen zu eruieren, welche Gegenstände damals als
Tauschobjekte nach Moskau geschickt wurden.
4
Inventar der Prähistorischen Abteilung, Band 8. Inventarisierung durch Dr. M. H
OERNES
am 13.2.1891.
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Am 10. März 1890 wurde er zum Korrespondierenden Mitglied der Anthropologischen Gesellschaft in
Wien gewählt (s. Sitzungsprotokolle im Archiv der Anthropologischen Gesellschaft).
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Polytechnisches Museum Moskau, Sekretär der Kaiserlichen Gesellschaft der Freunde der Naturwissen-
schaften, der Anthropologie und der Ethnographie.
©Naturhistorisches Museum Wien, download unter www.biologiezentrum.at