197
ebenfalls eine bedenkliche Situation: Im Jahre 2015 gab es 364 abge-
schlossene Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zweck
der sexuellen Ausbeutung mit 416 Opfern, wobei mehr als die Hälfte der
Opfer unter 21 Jahre alt waren (225, 54 %)
12
. Von dieser Gruppe war
fast ein Drittel minderjährig, was eine erhebliche Steigerung zum Vor-
jahr von 35 % darstellt
13
. Zudem wurden 19 Verfahren zum Zweck der
Arbeitsausbeutung mit 24 Tatverdächtigen und 54 Opfern abgeschlos-
sen
14
. Auch hier ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. So geht
beispielsweise der Sklaverei-Index 2016 davon aus, dass in Deutschland
14.500 Menschen als Opfer von Menschenhandel in sklavereiähnlichen
Verhältnissen leben
15
.
Mithin stellt der Menschenhandel ein Kriminalitätsphänomen dar,
das auf europäischer und nationaler Ebene von großer Bedeutung ist
und eine erhebliche Anzahl von Opfern aufweist. Dementsprechend
liegt auf beiden Ebenen ein umfassendes rechtliches Regelungsregime
vor, das in der Folge näher dargestellt werden soll.
IV. Die rechtliche Entwicklung auf europäischer Ebene
Auf europäischer Ebene sind zur Bekämpfung des Menschenhandels
vielfältige Instrumente geschaffen worden, die das anhaltende Interesse
und ein umfassendes Vorgehen gegen diesen Kriminalitätsbereich wider-
spiegeln. Von besonderer Bedeutung sind dabei der „Rahmenbeschluss
2002/629/JI des Rates vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschen-
handels“
16
, der ein frühes Tätigwerden der EU in diesem Bereich illustriert
und der Harmonierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten diente
17
, so-
wie der „EU-Plan über bewährte Vorgehensweisen, Normen und Verfah-
12
BKA, Lagebericht Menschenhandel, 2015, https://www.bka.de/DE/AktuelleInforma-
tionen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Menschenhandel/menschenhandel_node.html
(zuletzt abgerufen am 23.11.2016).
13
BKA (Anm. 12).
14
BKA (Anm. 12).
15
http://www.globalslaveryindex.org/index/ (zuletzt abgerufen am 23.11.2016).
16
ABl. L 203 vom 1.8.2002.
17
Vogel/ Eisele, in: Grabitz/ Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 59.
Ergänzun gslieferung 2016, Art. 83 AEUV Rdn. 55.
198
ren zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels“
18
. Auch das
„Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste
und zum Schutz der Bürger“
19
aus dem Jahre 2010 räumt der Bekämp-
fung von Menschenhandel ausdrücklich Priorität ein
20
. Und letztlich die
„Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und
zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses
2002/629/JI des Rates“ (im Folgenden Menschenhandels-Richtlinie), die
Teil umfassender Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels
darstellt und den aktuellen europäischen Rahmen für die Mitgliedstaa-
ten beschreibt
21
.
V. Die Rechtslage in Deutschland
Im deutschen Strafgesetzbuch ist der Menschenhandel insbesondere in
den §§ 232 ff. StGB geregelt, die erst im Oktober 2016 durch eine Geset-
zesreform neugestaltet worden sind, und auf die sich die folgenden Aus-
führungen konzentrieren. Dennoch sind in diesem Kontext auch weitere
Normen, insbesondere das Sexualstrafrecht mit §§ 180a, 181a StGB, von
Relevanz.
1. Die Gesetzeshistorie der Neuregelung
Die alte Rechtslage in den § 232 bis § 233b aF StGB wurde durch das
37. StrÄndG vom 11.2.2005
22
, das am 19.2.2005 in Kraft trat, eingefügt
23
.
Aufgrund der europäischen Menschenhandels-Richtlinie, die als Umset-
zungsfrist den 6.4.2013 vorsah, bestand jedoch hinsichtlich dieser Re-
18
ABl. C 311 vom 9.12.2005.
19
ABl. C 115 vom 4.5.2010.
20
ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 21.
21
ABl. L 101 vom 15.4.2011, S. 1.
22
BGBl. I S. 239.
23
Zu der alten Rechtslage siehe Böse, in: NK-StGB, § 232 Rdn. 1 ff.; Eisele, in: Schönke/Schrö-
der, § 232 Rdn. 1 ff.; Lackner/ Kühl, StGB, 28. Aufl. 2044, § 232 Rdn. 1 ff.; erste Ausführungen
zu der neuen Rechtslage finden sich bei Zimmermann, in: SSW-StGB, 3. Aufl. 2016, Vorb
§ 232 ff. Rdn. 1 ff.
199
gelung Reformbedarf. Im Jahre 2013 scheiterte ein erster Umsetzungs-
versuch der deutschen Regierung mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur
Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostituti-
onsstätten“
24
wegen des Ablaufs der Legislaturperiode. Nunmehr hat
jedoch Deutschland mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung
des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregisterge-
setzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 11.10.2016“
25
, in
Kraft getreten am 15.10.2016, als letzter EU-Staat und sehr verspätet die
Richtlinie umgesetzt.
Auch hierbei gab es jedoch einige Schwierigkeiten in der Umsetzung.
Der ursprüngliche Entwurf
26
sah keine Neuregelung, sondern lediglich
Ergänzungen der geltenden Rechtslage vor. Es sollten die Strafvorschrift
des § 233 aF StGB auf die Fälle des Menschenhandels zum Zweck der
Begehung strafbarer Handlungen und der Bettelei erweitert werden.
Zudem sollte auch der Menschenhandel zum Zweck des Organhandels
ausdrücklich in § 233 aF StGB unter Strafe gestellt werden. Der Qualifi-
kationstatbestand des § 233a aF StGB sollte auf die Fälle, in denen das
Opfer unter 18 Jahre alt ist, und auf die Fälle der grob fahrlässigen Ge-
fährdung des Lebens des Opfers erweitert werden. Da in der Sache ein
Gleichklang als erforderlich angesehen wurde, sollten diese Erweiterun-
gen auch für die entsprechenden Qualifikationstatbestände der §§ 232
und 233 aF StGB gelten
27
.
Dieser Entwurf war Kritik ausgesetzt, da dessen Systematik nicht nur
von der international üblichen Terminologie, sondern auch von den Straf-
gesetzen der meisten europäischen Staaten abwich
28
. Es wurde kritisiert,
dass der Entwurf nicht weit genug gehe und Zweifel daran geäußert, ob
die geschaffene Rechtslage den Vorgaben der Richtlinie entspreche
29
.
Schließlich legte der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz einen
24
BT-Drucks. 17/13706.
25
BGBl. I S. 2226.
26
BT-Drucks. 18/4613.
27
BT-Drucks. 18/4613, S. 1.
28
Renzikowski/ Kudlich, ZRP 2015, 45.
29
Grimmeisen, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 8. Juni 2016, S. 3; Renzikowski/ Kudlich,
ZRP 2015, 45, 46.
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