200
umfassenden Änderungsvorschlag
30
vor
31
. Die geänderte Fassung wurde
schließlich Gesetz und führte zu einer Neufassung der strafrechtlichen
Vorschriften zum Menschenhandel in den §§ 232 ff. StGB. Allgemein war
über die Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU hinaus eine Neufassung
der strafrechtlichen Vorschriften zum Menschenhandel anvisiert, die zu
einer größeren Praxistauglichkeit dieser Vorschriften und zur Verbesse-
rung der Bekämpfung des Menschenhandels führen sollte
32
.
2. Die Neuregelung und ihr europarechtlicher Kern
Die Gesetzesänderung enthielt folgende Neuregelungen: Die § 232
aF (Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung), § 233 aF
(Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft), § 233a
aF (Förderung des Menschenhandels) und § 233b aF StGB (Führungsauf-
sicht, Erweiterter Verfall) wurden ersetzt durch § 232 (Menschenhandel),
§ 232a (Zwangsprostitution), § 232b (Zwangsarbeit), § 233 (Ausbeutung
der Arbeitskraft), § 233a (Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheits-
beraubung) und § 233b StGB (Führungsaufsicht, Erweiterter Verfall). Die
neuen Normen sollen hier nicht umfassend dargestellt werden, sondern
neben ein paar allgemeinen Bemerkungen zu den Änderungen, soll der
Fokus auf den § 232 StGB (Menschenhandel) und insbesondere der Fra-
ge des europäischen Einflusses auf die Regelung gelegt werden.
Die bisherige Regelung von Menschenhandel war mit Hinblick auf
die internationale Terminologie missverständlich
33
, so dass durch die
Gesetzesänderung eine Neustrukturierung erfolgt ist. § 232 StGB (Men-
schenhandel) ersetzt § 233a aF StGB (Förderung des Menschenhandels).
Damit sollte dem Grundgedanke der internationalen Vorgaben besser
entsprochen werden, die eine Vorverlagerung der Strafbarkeit vor die Ba-
sisebene und eine weitgehende Erfassung der Nachschubebene und der
Logistikebene unabhängig von einem Ausbeutungserfolg vorsehen, um
30
BT-Drucks. 18/9095.
31
Trotz der ursprünglichen Einschätzung: „Weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen zur Um-
setzung der Richtlinie 2011/36/EU bedarf es nicht.“, BT-Drucks. 18/4613, S. 7.
32
BT-Drucks. 18/9095, S. 1.
33
BT-Drucks. 18/9095, S. 18.
201
so die Strafverfolgung arbeitsteilig operierender Täter zu erleichtern
34
.
Der Regelungsgehalt der §§ 232, 233 aF StGB (Menschenhandel zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung und zum Zweck der Ausbeutung der
Arbeitskraft) findet sich nunmehr in §§ 232a, 232b StGB (Zwangspros-
titution und Zwangsarbeit)
35
, was auf Tatbestandsebene eine Entflech-
tung der Rekrutierung der Opfer von deren eigentlicher Ausbeutung
herbeiführt
36
. Hinzugefügt wurden zudem zwei Tatbestände – Ausbeu-
tung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) und Ausbeutung unter Ausnutzung
einer Freiheitsberaubung (§ 233a StGB) – und es wurde entsprechend
der Anregung in Art. 18 Abs. 4 der Menschenhandels-Richtlinie eine Frei-
erstrafbarkeit in § 232a Abs. 6 StGB aufgenommen
37
.
Die Tatbestandsmerkmale in § 232 StGB sind nunmehr am Sprach-
gebrauch der Menschenhandels-Richtlinie orientiert und sehen den
folgenden Aufbau vor: es bedarf einer bestimmten Tathandlung, eines
Tatmittels (das Ausnutzen einer Zwangslage) und eines Ausbeutungs-
zwecks.
Absatz 1 enthält die Tathandlungen der Anwerbung, Beförderung,
Weitergabe, Beherbergung und Aufnahme von Personen
38
, was der For-
mulierung in Art. 2 Abs. 1 der Menschenhandels-Richtlinie entspricht. Als
Tatmittel ist vorgesehen das Handeln „unter Ausnutzung einer persönli-
chen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ih-
rem [= dem Opfer des Menschenhandels] Aufenthalt in einem fremden
Land verbunden ist“. Die Menschenhandels-Richtlinie spricht hier in Art.
2 Abs. 1 von dem „Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer
Schutzbedürftigkeit“, wobei entsprechend Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie „ei-
ne besondere Schutzbedürftigkeit [vor]liegt […], wenn die betreffende
Person keine wirkliche oder für sie annehmbare andere Möglichkeit hat,
als sich dem Missbrauch zu beugen.“ Da die deutsche Neuregelung hier
34
Renzikowski, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
2011/36/EU (BT-Drs. 18/4613), zum Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD
(Ausschuss-Drs. 18(6)217), zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von
Opfern von Menschenhandel in Deutschland (BT-Drs. 18/3256), 2016, S. 1.
35
BT-Drucks. 18/9095, S. 20.
36
Renzikowski (Anm. 34), S. 6.
37
BT-Drucks. 18/9095, S. 21.
38
Diese Handlungen fielen bisher unter § 233a Abs. 1 aF; BT-Drucks. 18/9095, S. 23.
202
restriktiver formuliert ist, ist zu beachten, dass die Merkmale der persön-
lichen oder wirtschaftlichen Zwangslage und der auslandsspezifischen
Hilflosigkeit richtlinienkonform weit auszulegen sind
39
.
Den Menschenhandel unter Anwendung der weiteren in Art. 2 Abs.
1 der Richtlinie genannten Tatmittel („Androhung oder Anwendung von
Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug,
Täuschung“) stellt der deutsche Gesetzgeber im Hinblick auf deren er-
höhten Unrechtsgehalt gesondert in § 232 Abs. 2 StGB unter Strafe
40
.
In Bezug auf Opfer unter 21 Jahren wird in § 232 Abs. 1 StGB auf das
Erfordernis eines Tatmittels gänzlich verzichtet, was über die Richtlinie
hinausgeht, die lediglich nach Art. 2 Abs. 5 einen Verzicht auf Zwangs-
mittel bei Handlungen gegenüber Personen unter 18 Jahren verlangt.
Der Strafrahmen sieht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf
Jahren vor. Letzteres entspricht der Mindesthöchststrafe in Art. 4 Abs. 1
der Richtlinie.
Hinsichtlich der Ausbeutungsformen orientiert sich § 232 an Art. 2
Abs. 3 der Richtlinie. Dabei ist der jeweilige (spätere) Ausbeutungszweck
im deutschen Recht Teil des objektiven Tatbestands und muss daher vom
Vorsatz des Täters erfasst sein
41
. Als Ausbeutungszwecke genannt sind
„die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexuel-
ler Ausbeutung, Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen, ein-
schließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken,
Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die
Organentnahme“. Somit entsprechen §§ 232 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a, Nr. 1c,
Nr. 1d, Nr. 2 und Nr. 3 StGB jeweils den Vorgaben in Art. 2 Abs. 3 der
Menschenhandels-Richtlinie
42
. Hinsichtlich § 232 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b StGB
hingegen gilt es zu differenzieren: die dort genannte „Beschäftigung“
entspricht durchaus der Regelung der Richtlinie, die von „Zwangsarbeit
39
Eisele, Schriftliche Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 8. Juni 2016, 2016, S. 5; entsprech-
end Art. 2 (2) „Eine besondere Schutzbedürftigkeit liegt vor, wenn die betreffende Person
keine wirkliche oder für sie annehmbare andere Möglichkeit hat, als sich dem Missbrauch
zu beugen.“
40
BT-Drucks. 18/9095, S. 26.
41
BT-Drucks. 18/9095, S. 26.
42
BT-Drucks. 18/9095, S. 27 ff.
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