203
oder erzwungene[n] Dienstleistungen“ spricht. Zusätzlich hat jedoch
der deutsche Gesetzgeber eine Legaldefinition in § 232 Abs. 1 S. 2 StGB
für ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, die auf die
Beschreibung des ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnisses in dem
§233 Abs. 1 aF StGB zurückgreift, die der Formulierung des § 15a Abs. 1
AÜG entsprach und auch in § 291 Abs. 1 S. 1 StGB gebraucht wird und
somit eine Abweichung von der Richtlinie darstellt
43
.
Absatz 2 regelt den Menschenhandel mittels der weiteren in Art.
2 Abs. 1 der Richtlinie genannten Tatmittel („Androhung oder Anwen-
dung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung,
Betrug, Täuschung“) als eigenen Straftatbestand. Der Grund ist laut der
Gesetzesbegründung der höhere Unrechtsgehalt, da der Täter in den
genannten Fällen besonders aktiv auf das Opfer Einfluss nehme
44
. Der
Strafrahmen ergibt sich sowohl aus der alten Rechtslage als auch aus Art.
4 Abs. 2d der Menschenhandels-Richtlinie, der eine Mindesthöchststrafe
von zehn Jahren Freiheitsstrafe in Bezug auf das dort genannte Tatmittel
der Anwendung schwerer Gewalt oder der Zufügung eines besonders
schweren Schadens vorsieht
45
.
Absatz 3 regelt verschiedene Qualifikationen. Gegenüber den
§ 233a Abs. 2 Nr. 1 bis 3 aF StGB stellt dies eine Erweiterung dar, die
teilweise der Umsetzung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie dient
46
und aus
dem sich auch der Strafrahmen ergibt
47
. Eine Qualifikation stellt etwa
nach § 232 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StGB dar, wenn das Opfer der Tat eine Person
unter 18 Jahren ist, wie von Art. 4 Abs. 2a iVm Art. 2 Abs. 6 der Richtli-
nie gefordert
48
. Das Qualifikationsmerkmal der „schweren körperlichen
Misshandlung“ in § 232 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StGB setzt die Anforderungen
des Art. 4 Abs. 2d der Richtlinie für den Fall um, dass „dem Opfer durch
die Straftat ein besonders schwerer Schaden zugefügt wurde“. Der For-
derung von Art. 4 Abs. 2c der Richtlinie bei „grob fahrlässiger“ Lebens-
gefährdung einen erhöhten Strafrahmen vorzusehen, wird künftig durch
43
BT-Drucks. 18/9095, S. 27.
44
BT-Drucks. 18/9095, S. 29.
45
BT-Drucks. 18/9095, S. 29.
46
BT-Drucks. 18/9095, S. 30.
47
BT-Drucks. 18/9095, S. 31.
48
BT-Drucks. 18/9095, S. 31.
204
das Qualifikationsmerkmal der „wenigstens leichtfertigen“ Todesgefahr
in § 232 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StGB entsprochen. Hingegen dient das ebenfalls
in Nr. 2 geregelte, das Opfer wenigstens leichtfertig „durch eine wäh-
rend der Tat begangene Handlung“ in Todesgefahr oder in die Gefahr
„einer schweren Gesundheitsschädigung“ Bringen, der Gewährleistung
eines möglichst umfassenden strafrechtlichen Schutzes, nicht aber der
Umsetzung der Richtlinie
49
. § 232 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StGB erfasst die bisher
in § 233a Abs. 2 Nr. 3 Alt. 3 und 4 aF StGB geregelten Qualifikationen
der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Begehung, was zugleich der
Anforderung von Art. 4 Abs. 2b der Richtlinie Rechnung trägt
50
. § 232
Abs. 3 S. 2 StGB sieht dieselben Qualifikationen für Straftaten nach Abs.
2 vor, jedoch mit einem höheren Strafrahmen und dem daraus folgenden
Verbrechenscharakter dieser Qualifikationstatbestände.
Absatz 4 regelt die Versuchsstrafbarkeit entsprechend der Vorgaben
des Art. 3 der Menschenhandels-Richtlinie.
3. Bewertung der Neuregelung
Diese neue Gesetzesfassung ist wie folgt zu bewerten: die Neuregelung
ist insgesamt terminologisch klarer und näher an den internationalen
Vorgaben, was zu begrüßen ist. Die neue Fassung des Menschenhandels
in § 232 StGB hat eine größere Nähe zum internationalen Begriffsver-
ständnis, sie orientiert sich stärker am chronologischen Ablauf eines
tatsächlichen „Menschenhandels“ (Nachschubebene, Logistikebene und
Basisebene), indem sie die Rekrutierung der Opfer von der eigentlichen
Ausbeutung trennt. Allerdings beinhaltet sie auch einen teilweise sehr
komplizierten Aufbau und viele Verweisungen
51
.
Die Neufassung wirft dabei verschiedene Probleme auf, von denen
hier nur einige aufgezeigt werden sollen. So muss beispielsweise die
Zwangslage bzw. auslandsspezifische Hilflosigkeit nunmehr zum Zeit-
punkt der Tathandlung des Anwerbens usw. vorliegen, so dass die Neu-
49
BT-Drucks. 18/9095, S. 31.
50
BT-Drucks. 18/9095, S. 31.
51
Beispielsweise verweist § 232b Abs. 4 StGB ua auf § 232a Abs. 4 StGB, der seinerseits
wiederum auf § 232 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1 bis 3 StGB verweist.
205
regelung hier enger ist als die alte Fassung. Damit sind gerade die prob-
lematischen Fälle, in denen das Opfer zum Zweck der Ausbeutung erst
in eine hilflose Lage versetzt wird, nach dem neuen Recht allenfalls über
die Teilnahmevorschriften als Anstiftung oder Beihilfe, nicht jedoch als
originäre Täterschaft strafbar
52
.
Auch sind manche Formulierungen nicht unbedingt glücklich ge-
wählt. Beispielsweise ist die Formulierung „wenn diese Person ausge-
beutet werden soll“ in § 232 Abs. 1 Nr. 1 StGB ungewöhnlich. Vorzugwür-
dig würde die üblichere Formulierung „[…] wer eine andere Person zur
Ausbeutung…“ sein, was zudem inhaltlich näher an der Richtlinie wäre,
die die Worte „zum Zwecke“ verwendet
53
. Auch der in der Legaldefiniti-
on des „ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnisses“ verwendete Be-
g riff des „rücksichtslosen Gewinnstrebens“ wirft die Frage auf, ob eine
solche Ausbeutung ohne ein rücksichtsloses Gewinnstreben überhaupt
denkbar ist und damit die Frage nach der Funktion und dem Inhalt dieses
restriktiven Merkmales.
Teilweise sieht die Norm eine erhebliche Vorverlagerung der Straf-
barkeit vor – wie beispielsweise in § 232 Abs. 2 Nr. 2 aE StGB, wonach
es ausreicht, der Bemächtigung einer Person durch eine dritte Person
Vorschub zu leisten. Zudem sind die neuen Qualifikationstatbestände
zum Teil deutlich über die Anforderungen der Richtlinie hinaus erweitert
worden. So findet sich in der Richtlinie die leichtfertige Verursachung
einer schweren Gesundheitsgefährdung ebenso wenig wie die durch
eine während der Tat begangene Handlung herbeigeführte Todes- oder
Gesundheitsgefährdung nach § 232 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StGB. Darüber hi-
naus ist zu beachten, dass § 232 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwar im Entwurf als
Qualifikation bezeichnet wird
54
, es sich aber inhaltlich teilweise um eine
Erfolgsqualifikation handelt
55
.
Insgesamt bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten, Überschnei-
dungen
56
und Widersprüche zu anderen Strafnormen (z. B. passt die
52
Renzikowski (Anm. 34), S. 7.
53
Eisele (Anm. 39), S. 6.
54
BT-Drucks. 18/9095, S. 30.
55
So auch Eisele (Anm. 39), S. 10.
56
So wäre § 233a StGB z.T. unter § 239 Abs. 3 StGB fassbar, der denselben Strafrahmen
vorsieht.
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