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Einhaltung darstellen müssen. Eine Pflicht zur Schaffung strafrechtlicher
Sanktionen war damit nicht verbunden. Für den Bereich der
Marktmani-
pulation fehlten sogar jegliche Vorgaben.
b.
Marktmissbrauchsrichtlinie (MAR I)
Erst Ende der 1990er Jahre sollte sich dies ändern. In der EU wurde er-
kannt, dass ein integrierter und effizienter Finanzmarkt
Marktintegrität
voraussetzt. Der Marktmissbrauch verletze die Integrität der Märkte und
untergrabe das Vertrauen der Öffentlichkeit
12
. In der Mitteilung der Kom-
mission vom 11.5.1999 mit dem Titel „Umsetzung des Finanzmarktrah-
mens: Aktionsplan“ wurden Maßnahmen erwogen. Im April 2000 gab
der Europäische Rat das Ziel vor, den Aktionsplan bis 2005 umzusetzen.
Hervorgehoben wurde, dass eine
Richtlinie erforderlich sei
13
.
Die nachfolgende Richtlinie 2003/6/EG „über Insider-Geschäfte und
Marktmanipulation (Marktmissbrauch)“, die
Marktmissbrauchsrichtlinie
(Market Abuse Directive I – MAD I), verbot zwar in Bezug auf
Finanzin-
strumente Insiderhandel und Marktmanipulation, sah jedoch keine straf-
rechtlichen Sanktionen vor.
Nach Art. 14 Abs. 1 MAD I
war nur sicherzu-
stellen,
dass bei Verstößen gegen
die verantwortlichen
Personen
„geeig-
nete
Verwaltungsmaßnahmen
ergriffen
oder
im
Verwaltungsverfahren
zu
erlassende
Sanktionen
verhängt
werden
können“ und diese
„wirksam,
verhältnismäßig
und
abschreckend“
sind.
Damit hatten die Mitgliedstaa-
ten einen sehr großen Umsetzungsspielraum. Nach dem
Entwurf der
Richtlinie sollten dagegen die Mitgliedstaaten zur
Schaffung
von
Straftat-
beständen
verpflichtet sein. Diese Vorgabe wurde fallen
gelassen,
weil
die
h.M.
dem
Gemeinschaftsgesetzgeber die Kompetenz zur
Einführung
strafrechtlicher
Sanktionen
absprach
14
.
Folge war freilich ein sehr inhomogenes Schutzniveau bei der Be-
kämpfung des Marktmissbrauchs. So zeigte ein Report
aus dem Jahr
2007
15
, dass die
rechtliche Ausgestaltung der Sanktionen in den Mitglied-
12
Vgl. Erwägungsgründe Nr. 1 und 2 der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG (MAD I).
13
Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG (MAD I).
14
Waßmer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor §§ 38–40b Rn. 13 m.w.N.
15
CESR/07-693: Report on Administrative Measures and Sanctions as well as the Criminal
Sanctions available in Member States under the Market Abuse Directive (MAD).
214
staaten erheblich divergierte. Insidergeschäfte wurden teilweise über-
haupt nicht als Straftaten erfasst, die Strafrahmen reichten beim Insider-
handel und der Marktmanipulation von einem Jahr bzw. zwei Jahren bis
zu 15 Jahren. Auch der De-Larosière-Bericht
16
stellte im Jahr 2009 fest,
dass die Sanktionsordnungen „generell schwach und heterogen“ seien.
Schließlich zeigte ein Report
von 2012
17
, dass der Marktmissbrauch auch
in
tatsächlicher Hinsicht sehr unterschiedlich sanktioniert wurde.
Dies galt ebenso für Verstöße beim
EU-Emissionshandel, der durch
die
Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG
18
zum 1.1.2005 eingeführt
worden war. Um Treibhausgasemissionszertifikate vor Insiderhandel und
Marktmanipulation zu schützen, hatte die
EU-Versteigerungs-VO (EU)
Nr. 1031/2010
19
entsprechende Verbote sowie ergänzende Regelungen
geschaffen und den Mitgliedstaaten vorgeschrieben, dass bei Verstößen
im Zusammenhang mit Versteigerungen die in der Marktmissbrauchs-
richtlinie vorgesehenen Sanktionen verhängt werden können.
2. Seit dem Vertrag von Lissabon
a. Rahmenbedingungen
Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum 1.12.2009 änderte sich
die Rechtslage. Gemäß
Art. 83 Abs. 2 AEUV können nunmehr durch
Richtlinien
Mindestvorschriften für Straftaten und Strafen auch in bereits
harmonisierten Bereichen festgelegt werden, wenn sich die Angleichung
als „unerlässlich“ für die wirksame Durchführung der Politik der Union
auf einem Gebiet erweisen sollte. Zur Überprüfung der Notwendig-
keit auf dem Gebiet des Marktmissbrauchs führte die Kommission im
16
The High Level Group on Financial
Supervision in the EU, Report, 2009, S. 26.
17
ESMA/2012/70: Actual use of sanctioning powers under MAD.
18
Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.2003 über
ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und
zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG
des Rates, ABl. L 275, S. 32.
19
Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 der Kommission vom 12.11.2010 über den zeitlichen und
administrativen Ablauf sowie sonstige Aspekte der Versteigerung von Treibhausgasemis-
sionszertifikaten gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemein-
schaft, ABl. L 302, 1.