215
Juni/Juli 2010 eine öffentliche Konsultation und Konferenz durch
20
. Am
20.10.2011 stellte die Kommission als Ergebnis der Konsultationen mit
allen wichtigen Akteuren fest, dass die Marktmissbrauchsrichtlinie „bis-
her die erwünschte Wirkung – einen wirksamen Beitrag zum Schutz der
Finanzmärkte zu leisten – verfehlt“ habe
21
. Gleichzeitig präsentierte sie
nicht nur den Entwurf einer neuen Marktmissbrauchsrichtlinie
22
, sondern
auch den Entwurf einer Marktmissbrauchsverordnung
23
. Die Verordnung
sollte auf Art. 114 AEUV, die Rechtsgrundlage zur Harmonisierung des
Binnenmarkts, gestützt werden, während man mit der Richtlinie von der
durch Lissabon eröffneten strafrechtlichen Annexkompetenz des Art. 83
Abs. 2 AEUV erstmals Gebrauch machen wollte.
b. Grundkonzeption
Die Grundkonzeption bestand darin, die bisher in der MAD I enthaltenen
Regelungen in eine europäische Verordnung zu überführen, die für alle
Mitgliedstaaten im Wege der Vollharmonisierung als unmittelbar gel-
tendes Recht einheitliche Regeln aufstellt. Hierbei sollte nicht nur wei-
teren rechtlichen, kommerziellen und technologischen Entwicklungen
Rechnung getragen, sondern es sollten auch Lücken in der Regulierung
von Märkten, Plattformen und Finanzinstrumenten geschlossen werden.
Zugleich sollte die Verordnung im Wege der Mindestharmonisierung
Mindestvorschriften für verwaltungsrechtliche Maßnahmen, Sanktionen
und Geldbußen festlegen, also insoweit die konkrete Ausgestaltung den
Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Dasselbe galt für die neue Richtlinie,
die für schwere Formen des Marktmissbrauchs Mindestvorschriften für
Straftaten und Strafen festlegen sollte.
20
Hierzu Fischer zu Cramburg, NZG 2010, 822.
21
Vgl. COM(2011) 654 endg. S. 4.
22
COM(2011) 651 endg.
23
COM(2011) 654 endg.
216
c. Bewertung
In Deutschland stießen diese Vorschläge, die eine ganz erhebliche Ver-
schärfung des bisherigen Sanktionsregimes bedeuteten, auf Skepsis und
Ablehnung
24
. Sie wurden gar als „kriminalpolitisches Flächenbombarde-
ment“ gebrandmarkt
25
. Der Bundesrat erhob am 16.12.2011
26
zunächst
eine Subsidiaritätsrüge gemäß Art. 12 lit. b EUV, da sich die Richtlinie
nicht auf Art. 83 Abs. 2 AEUV stützen lasse, der Vorschlag weder eine
Aussage zur Unerlässlichkeit der Mindestharmonisierung treffe noch
diese nachweise. Am 24.5.2012
27
forderte der Bundestag die Kommissi-
on auf, die Unerlässlichkeit erneut zu prüfen und zu begründen.
Dieser Kritik war freilich entgegenzuhalten, dass die Voraussetzun-
gen des Art. 83 Abs. 2 AEUV in Anbetracht des inhomogenen rechtlichen
und tatsächlichen Schutzniveaus innerhalb des Binnenmarktes durch-
aus erfüllt waren. Daher stand auch die sog. Lissabon-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes vom 30.6.2009
28
, die forderte, dass „nach-
weisbar feststehen [muss], dass ein gravierendes Vollzugsdefizit besteht
und nur durch Strafdrohung beseitigt werden kann“, nicht entgegen
29
.
Die Kritik war und ist jedoch berechtigt, soweit sie sich gegen die scharfe
Ausgestaltung des „Mindestschutzes“ richtet
30
.
d. Verabschiedung
Ungeachtet der Kritik präsentierte die EU-Kommission am 25.7.2012 er-
weiterte Vorschläge
31
, die aus aktuellem Anlass ergänzend Maßnahmen
zur Bekämpfung von Manipulationen von Benchmarks (wie LIBOR, EU-
RIBOR) vorsahen. Nachdem eine Einigung erzielt worden war und das
24
Vgl. nur Schröder, HRRS 2013, 253 ff.; Viciano-Gofferje/Cascante, NZG 2012, 968, 978 f.;
Walla, WM 2012, 1358, 1360 f.
25
Hohn, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2013, Kap. 6 Rn. 1.
26
BR-Drucks. 646/1.
27
BT-Plenarprotokoll 17/181 S. 21504A.
28
BVerfGE 123, 267, 412.
29
Waßmer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor §§ 38–40b Rn. 20; a.A. Schröder,
HRRS 2013, 253, 255; Trüg, Konzeption und Struktur des Insiderstrafrechts, 2014, S. 63 f., 69.
30
Vgl. Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG, 6. Aufl. 2012, Vor § 38 Rn. 7a.
31
COM(2012) 420 final; COM(2012) 421 final.
217
Plenum des Europäischen Parlaments Verordnung und Richtlinie jeweils
in seinen Standpunkt übernommen hatte, wurde die Marktmissbrauchs-
verordnung (Market Abuse Regulation – MAR) als Verordnung (EU) Nr.
596/2014 über Marktmissbrauch
32
und die Marktmissbrauchsrichtlinie
II (Market Abuse Directive II – MAD II) als Richtlinie 2014/57/EU über
strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation
33
im Amtsblatt der EU
veröffentlicht. Die Regelungen der MAR zu den Sanktionen und die zur
Umsetzung der MAD II erforderlichen Vorschriften hatten die Mitglied-
staaten zum 3.7.2016 in nationales Recht umzusetzen (vgl. Art. 39 Abs. 3
MAR; Art. 13 Abs. 1 MAD II).
IV. Vorgaben des neuen europäischen Marktmissbrauchsrechts
1. Marktmissbrauchsverordnung
Die Marktmissbrauchsverordnung enthält in Art. 30 bis 34 umfangreiche
Vorgaben:
a.
Verwaltungsrechtliche Sanktionen und Maßnahmen
Nach Art. 30 Abs. 1 MAR müssen die Mitgliedstaaten bei Verstößen
gegen die Vorschriften der Verordnung „angemessene“ verwaltungs-
rechtliche Sanktionen und Maßnahmen ergreifen. Hierzu gehören vor
allem Sanktionen bei Verstößen gegen das Verbot von Insidergeschäften
und bei der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen (Art.
14 MAR). Ebenso zählen hierzu Sanktionen bei Verstößen gegen das Ver-
bot der Marktmanipulation (Art. 15 MAR). Einzubeziehen ist jeweils auch
der Versuch. Daneben sind ergänzende Regelungen mittels Sanktionen
durchzusetzen, nämlich die Regelungen zur Vorbeugung und Aufde -
c kung von Marktmissbrauch (Art. 16 MAR) und zur Veröffentlichung von
Insiderinformationen (Art. 17 MAR), die Regelungen zu Insiderlisten (Art.
18 MAR), zu
Eigengeschäften von Führungskräften (Art. 19 MAR) und zu
Anlageempfehlungen (Art. 20 MAR).
32
ABl. L 173 v. 12.06.2014, S. 1.
33
ABl. L 173 v. 12.06.2014, S. 179.
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