JLCL 2016 - Band 31(2) 17-24
Automatisierter Abgleich des Lautstandes althochdeutscher Wortformen
21
für „Alemannisch, 900–950“
Übereinstim-
mungsgrad
G
ra
ph
em(
e)
Ide
alisi
ert
e Wo
rt-
fo
rm
B
ele
gt
e
Wo
rt
fo
rm
A
ng
ewan
dt
e R
egel
Z
ut
ref
fe
n
d
?
G
le
ic
h
e F
äll
e
Ve
rä
nderung
K
umul
iert
e
Summ
e
Endung
gistirnies
kestirnis
es
is
{Sg, Gen}
-
41
- 0,56
- 0,56
C final
gistirnies
kestirnis
s = s
+
64
± 0,00
- 0,56
V
1
Endsilbe
gistirnies
kestirnis
e > i
-
49
- 0,31
- 1,78
prävokalis
ches
j
gistirnies
kestirnØis
j > Ø
/ C_V
+
64
± 0,00
- 0,87
C vor V
1
gistirnies
kestirnis
n = n
/ C_
+
64
± 0,00
- 0,87
C initial
gistirnies
kestirnis
g > k
/ _i
+
12
+ 4,33
+ 3,46
Präfix-V
gistirnies
kestirnis
i > e
/ g_-
-
33
- 0,94
+ 2,52
C medial
gistirnies
kestirnis
s = s
+
64
± 0,00
+ 2,52
C medial
gistirnies
kestirnis
t = t
/ s_
+
64
± 0,00
+ 2,52
V
Tonsilbe
gistirnies
kestirnis
i = i
/ _rC
+
48
+ 0,33
+ 2,85
C medial
gistirnies
kestirnis
r = r
/ _C
+
64
± 0,00
+ 2,85
Abbildung 3: Ermittlung des absoluten Übereinstimmungsgrades einer Wortform
mit einem Zeit-Dialekt-Raum
JLCL
Mittmann
22
6
Beispielfall (Einzelwort)
Abbildung 3 zeigt das Vorgehen des Computerprogramms für die bereits in Abbildung 1 dargestell-
te Wortform
kestírnis
aus der
St. Galler Schularbeit
. Die rechten vier Tabellenspalten enthalten
dabei die Veränderungen der absoluten Übereinstimmungsgrade für den Zeit-Dialekt-Raum
„Ale-
mannisch, 900–950“
. Die Spalte „Zutreffend?“ gibt an, ob nach den Angaben bei B
RAU-
NE
/R
EIFFENSTEIN
(2004) die Entsprechungsregel, die das Programm durch Abgleich von idealisierter
und belegter Wortform als anzuwenden erkennt, auf diesen Zeit-Dialekt-Raum zutrifft oder nicht.
Die Spalte „Gleiche Fälle“ nennt die Anzahl an Zeit-Dialekt-Räumen, die sich ebenso verhalten wie
„Alemannisch, 900–950“
, sodass anhand dieses Wertes die Veränderung des Übereinstimmungsgra-
des ermittelt werden kann.
Bestünde der Text nur aus diesem einen Wort, würde abschließend das Ergebnis von + 2,63 in
Bezug zu dem Ergebnis für den „idealen“ Zeit-Dialekt-Raum gesetzt, das für dieses Wort + 10,77
(= 100 %) beträgt. Der relative Übereinstimmungsgrad des Wortes mit dem Zeit-Dialekt-Raum
„Alemannisch, 900–950“
beläuft sich nach dieser Methode also auf etwa 26,5 %.
7
Auswertung eines vollständigen Textes
Nach Abgleich aller 104 Wörter der
St. Galler Schularbeit
(Text bei S
TEINMEYER
1916,
121) mit den
einzelnen Zeit-Dialekt-Räumen zeigt Abbildung 4 die Auswertung für den Gesamttext:
8
vor
800
800
–
850
850
–
900
900
–
950
950
–
1000
1000
–
1050
1050
–
1100
nach
1100
Langobardisch
-65
-65
-65
-65
-65
9
-65
-65
-65
Alemannisch
-26
-12
+17
+22
+53
+78
+47
+47
Bairisch
-25
-21
+14
+14
+16
+41
+9
+9
Ostfränkisch
-51
-24
+10
+10
+12
+39
+10
+10
Rheinfränkisch
-52
-28
+6
+6
+8
+35
+6
+8
Mittelfränkisch
-60
-55
-19
+3
+3
+29
±0
+2
Niederfränkisch
-58
-47
-45
-46
-46
-45
-35
-13
Altsächsisch
-35
-35
-35
-35
-35
-35
-35
-35
Abbildung 4: Relative Übereinstimmungsgrade der
St. Galler Schularbeit
mit den Zeit-Dialekt-Räumen (gerundet, %)
Die mit Abstand höchste Übereinstimmung, ca. 78 %, wird also für
„Alemannisch, 1000–
1050“
ermittelt, gestützt durch die nächstbesten Werte in den benachbarten Zeitabschnitten sowie
Dialekten des Althochdeutschen. Die Annahme S
ONDEREGGERS
(1980, Sp. 1049), die
St. Galler Schul-
arbeit
stamme aus der ersten Hälfte des 11.
Jahrhunderts, wird somit bestätigt.
8
Ausblick
Erst nach Analyse sämtlicher althochdeutscher Texte wird eine Aussage dazu möglich sein, inwie-
fern die beschriebene Untersuchungsmethode tatsächlich dazu geeignet ist, neue Erkenntnisse zu
Entstehungszeiten und Schreibdialekten zu liefern. Dafür muss zunächst aber die Analyse der
umfangreicheren Texte zeigen, ob die Angaben aus den Grammatiken in Summe einen plausiblen