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Kap. 3). Bei Ahmed wird die Figur des
killjoy direkter als Sprechposition der
theoretisierenden Aktivistin angelegt, aber zugleich auch als Muster femininen und
feministischen Seins insgesamt (vgl. Ahmed 2010, Kap. 2). Das ist einerseits das bekannte
Unterlaufen einer diffamierenden Bezeichnung durch performative Aneignung, wie von
Judith Butler umfassend beschrieben, und insofern ein direkter Zug im sozialpolitischen und
sozio-semantischen Kampf um Anerkennung von Identitäten und Diskursrollen (vgl. Butler
2006). Andererseits bleibt die Figur des killjoy – so wie zuletzt auch die Figur des willful
subject – bei Ahmed durchgängig als Begriffsperson gewissermaßen auf der Immanenzebene
ihres Denkens wirksam. Ahmeds Texte sprechen durch diese Figur im Modus einer
charakteristischen Widerständigkeit, Widerspenstigkeit – sie performieren den Bruch mit den
Relevanzzuweisungen und Diskursnormen einer weißen, heteronormativen, kolonialen
(akademischen) Kultur und animieren Leser_innen zur Übernahme einer ähnlich kritisch-
disruptiven Haltung. Es ist dieser Zug in Sara Ahmeds Texten, den ich im Folgenden näher
beleuchten möchte, weil er die besten Einblicke in die Gestalt und Wirkweise ihrer
intellektuellen Haltung gewährt.
Ahmeds erste explizite Beschäftigung mit Emotionen und Affektivität – in The Cultural
Politics of Emotion (2004) – exemplifiziert recht genau den für die damalige Phase in den
Kulturwissenschaften charakteristischen Übergang von poststrukturalistischen, am Diskurs
und an signifikativen Regimen orientierten Ansätzen hin zu Ansätzen, bei denen Körper,
Sinnlichkeit, Materialität und eben auch Affekte und Emotionen zurück auf die Agenda
gelangen. In Ahmeds Affekt- und Emotionsverständnis treffen sich die beiden Paradigmen
und verbinden sich zu einer lebendigen Gemengelage. Emotionen kommen als menschliche
Körper ausrichtende, materialisierende Dynamiken in den Blick, die Ahmed gleichwohl vor
allem von der Seite ihrer diskursiven bzw. textuellen Zirkulation her fokussiert: „I am tracking
how words for feeling, and objects of feeling, circulate and generate effects: how they move,
stick, and slide. We move, stick and slide with them” (Ahmed 2004, S. 14). Dass und wie
gerade auch die Emotionsausdrücke selbst – also Wörter wie „Haß“, „Wut“, „Furcht“, „Ekel“
oder „Scham“ – diskursiv-medial zirkulieren, bildet ein zentrales Moment der affektiven
Realität und Wirkung der so benannten Gebilde. Insofern gibt es in Ahmeds Ansatz einen
konstruktivistischen Einschlag: diese labels benennen nicht primär vorgängig bestehende
Emotionszustände, sondern tragen in ihrer sprachlichen und medialen Zirkulation überhaupt
erst zur Ausprägung jener emotionalen „Realitäten“ bei, die zu benennen sie vorgeben.
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Es
handelt sich aber nicht um einen plumpen Konstruktivismus, der die Realität des Emotionalen
glatt in den Diskurs verlegt, sondern im Gegenteil um einen Ansatz, der auf die affektiv-
sinnlichen Wirkmomente und die Materialität solcher signifikativ-medialen Zirkulationen
abhebt. Genau wie es Wetherell fordert und entgegen der Tendenz bei Massumi werden
Affekt und Diskurs nicht separiert, sondern als integriertes Gefüge betrachtet. Auch wenn es
Ahmed nicht explizit ausarbeitet, liefert sie damit eine geschickte differentielle Bestimmung
von Affekt und Emotion. Es ist dasselbe relationale Affizierungsgeschehen, das Körper
ausrichtet, markiert und sozial positioniert, das in den etablierten Vokabularen und Skripten
des Emotionalen formiert, mobilisiert und verbreitet wird. Affekt und Emotion lassen sich
nicht in getrennte Register bannen, sondern müssen als Teilmomente desselben
grundlegenden Wirkungsgeschehens bestimmt werden. Dabei bezeichnet „Emotion“ die
benennbare und durch kulturelle Skripte präfigurierte Seite dieser Dynamik, die ihrerseits in
steter Transformation und Bewegung begriffen ist, während „Affekt“ das jeweilige
Vollzugsmoment, die konkrete Wirkweise, also die sinnlich-materiellen
Einwirkungsereignisse des Affektgeschehens fokussiert.
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Hier besteht eine Parallele zur Wirkweise der schon oben erwähnten, vom Historiker Reddy
beschriebenen „emotives“ (vgl. Reddy 2001).
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Ein zentraler Aspekt von Ahmeds Ansatz in
The Cultural Politics of Emotion betrifft die
Möglichkeit, dass bestimmte Worte oder Zeichen aufgrund wiederholter Verwendungen und
fortgesetzter diskursiver Zirkulation mit einer charakteristischen affektiven Valenz aufgeladen
werden und diese fortan nicht mehr loswerden. Ahmed spricht von „sticky signs“ (2004, S.
92). Als ein Beispiel nennt sie die Bezeichnung „Paki“ (für Menschen mit pakistanischem
Migrationshintergrund in England), welche durch wiederholten diffamierenden Gebrauch in
einen Assoziationsraum des Minderwertigen, Bedrohlichen und insgesamt Abjekten gebannt
werde: „To use a sticky sign is to evoke other words which have become intrinsic to the sign
through past forms of association. To use the word “Paki” might then stick to other words that
are not spoken: immigrant, outsider, dirty, and so on” (ibid.). Emotionen wie Ekel oder
Abscheu würden vermittels sticky signs in einem Diskursraum performativ hervorgebracht
und aufgrund der Beharrungskraft affektiver Markierungen dauerhaft mit bestimmten
Subjekten und Objekten assoziiert. Ahmed wählt dieses Beispiel nicht zuletzt deshalb, „since
this is an insult that has been addressed to me, and I remember its effects profoundly“ (2004,
S. 100).
Rassifizierende Markierungen wie diese, aber vor allem auch noch systematischere, zu festen
Strukturen verhärtete rassistische Ausschlüsse sind eins jener Themen, die Ahmed in ihren
phänomenologischen Schriften – dem Buch Queer Phenomenology (2006) und dem Aufsatz
„A Phenomenology of Whiteness“ (2007) – behandelt. Beide Texte nehmen den für die
Phänomenologie zentralen Topos der Orientierung auf – wie er etwa in Husserls Konzeption
des eigenleiblichen „Nullpunkts der Orientierung“ figuriert (vgl. Ahmed 2007, S. 151).
Im Unterschied zu Husserl, der mit eidetischer Geruhsamkeit – entlastet nicht zuletzt durch
die geschlechtliche und klassenspezifische Arbeitsteilung im bürgerlichen Haushalt – seine
räumliche Positionierung am professoralen Schreibtisch reflektiert, richtet Ahmed ihren Blick
auf für weiße „Normsubjekte“ zumeist unsichtbare soziale Ausschlüsse. So beschreibt sie für
Nicht-Weiße umso deutlicher spürbare Orientierungslinien einer im Zeichen des white
privilege errichteten sozialen Wirklichkeit. Hier kommt insbesondere Affektivität in ihrer
orientierenden und verortenden Funktion zur Geltung – als das, was manche Personen, aber
längst nicht alle, in bestimmte Räume und Gefüge bruchlos einbindet und darin in
Vertrautheit gleichsam aufgehen lässt, einem sanften flow vergleichbar: „To be comfortable is
to be so at ease with one’s environment that it is hard to distinguish where one’s body ends
and the world begins. (…) White bodies are comfortable as they inhabit spaces that extend
their shape“ (Ahmed 2007, S. 158). Dieselben Räume, Gefüge und Institutionen treten nicht-
weißen Personen hingegen als Blockaden, Schranken oder gar gleich als no-go-areas
entgegen, was sich affektiv in Form von leiblicher Unsicherheit, ontologischer Entwurzeltheit
oder als schmerzliche Differenzerfahrung manifestiert.
Ich zitiere eine Passage von Mia
McKenzie, die sich zwar nicht bei Ahmed findet, aber gut das traurige Strickmuster dessen
zum Ausdruck bringt, worum es hier geht:
Do you look white? If this seems in any way a complicated question, it can be easily discerned
by walking into a fancy store (in clean, neat clothing) and seeing how the people who work
there treat you. Do you get dirty looks upon entering? Do the shopkeepers glance at each other
with worry? Do you notice people following you around to make sure you’re not stealing
anything? If not, you may be white. (McKenzie 2014, 71)
Ahmed selbst verweist auf die Beschreibungen des phänomenologischen Psychiaters Frantz
Fanon (1952), die eindringlich darlegen, wie sich der hegemoniale weiße Blick als eine Bürde
und schmerzliche Restriktion ins operative Schema der nicht-weißen Leiblichkeit einschreibt,
darin objektivierend und hemmend wirkt (vgl. Ahmed 2007, S. 60 f.).
In Kontinuität mit diesen sich transformativ auf die Phänomenologie beziehenden Schriften
steht die ethnologische Studie
On Being Included (2012). Ahmed führte dafür Interviews mit
Gleichstellungsbeauftragten und ‚diversity workers’ an britischen Institutionen wie