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Familie, in der Konsum- oder Unterhaltungssphäre und insgesamt in der Lebenswirklichkeit
des globalen Kapitalismus (vgl. u.a. Stewart 2011; Cvetkovitch 2012; Berlant 2012; Gregg
2011).
Als
philosophische Vorläufer des gegenwärtigen Affekttrends in der hier fokussierten
Perspektive sind vor allem Spinoza, Nietzsche, Bergson, Whitehead, Simondon sowie
Deleuze und Guattari zu nennen – und damit Vertreter einer Tradition, die tendenziell sowohl
die klassische Trennung von Affekt und Vernunft unterläuft als auch die Tendenz zum
Individualismus in der Bestimmung von affektiven Phänomenen hinter sich lässt (vgl.
Massumi 2002 & 2015; Mühlhoff, in Vorbereitung). Statt dessen wird das Affektive in den
dynamischen, intensiven und oftmals machtförmigen Beziehungen zwischen Körpern verortet
– in einer relational- bzw. prozessontologischen Perspektive also, die individualisierte und
scharf kategorisierte Gefühle nur als abgeleitete Phänomene kennt (Seyfert 2012). Insofern
sind die in den affect studies anvisierten Untersuchungsgegenstände zumindest prima facie
deutlich unterschieden von diskreten, in etablierten Kategorien fassbaren und menschlichen
Individuen als mentale Zustände zuschreibbaren Emotionen – wie etwa Furcht, Freude,
Scham, Stolz oder Neid. „Affekt“ bezieht sich dagegen auf dynamische Verläufe und
Wirkverhältnisse, die sich vor allem zwischen Individuen und in Räumen oder materiellen
Arrangements vollziehen und sich nur provisorisch und näherungsweise auf stabile
Kategorien bringen lassen.
Diese vermeintliche Offenheit, Dynamik und Nicht-Feststellbarkeit des Affektiven – das
überrascht kaum – markiert bereits eine der zentralen Konfliktlinien in der Debatte um die
affect studies. Ein weiterer Stein des Anstoßes auf Seiten von Kritikern ist die Tendenz zu
einer anti-humanistischen bzw. präpersonalen Bestimmung von Affekt. Sollen mit „Affekt“
nicht allein menschliche Vollzüge gemeint sein, sondern tatsächlich dynamische Verhältnisse
zwischen Körpern jeglicher Art, dann ist das für manch einen konventionell geschulten
Forscher schlicht ein Themenwechsel. Eine passende Antwort auf dieses hartnäckige
Befremden lautet, dass gerade das Unterlaufen modernistischer Aufteilungen und Dualismen
– etwa dem zwischen menschlich/nicht-menschlich oder jenem zwischen mental/physisch –
einen beträchtlichen Teil der intellektuellen Innovationskraft der affect studies ausmacht. Dies
nicht zuletzt deshalb, weil diese Orientierung deutlich machen kann, inwiefern sich im
vermeintlich individuell-subjektiven Fühlen umfassende und vom Einzelnen kaum reflexiv
fassbare soziale Machtbeziehungen manifestieren (vgl. Massumi 2015, S. 204 ff.).
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Auch über diese sehr grundlegenden Streitpunkte hinaus ist die Mängelliste, die Kritikerinnen
der
affect studies in den letzten Jahren vorgebracht haben, auffällig lang. Papoulias und
Callard (2010) heben vor allem auf die vermeintlich willkürlichen, selektiven und theoretisch
unfundierten Anleihen bei empirischen Wissenschaften ab, insbesondere bei der
Neurobiologie, der Evolutionstheorie und bei verschiedenen psychologischen Ansätzen und
Schulen. Ruth Leys, deren 2011 in Critical Inquiry erschienene Philippika gegen den Trend
zum Affekt vermutlich die bis dato wirkmächtigste Gegenrede darstellt, sekundiert in diesem
Punkt. Leys fokussiert von vornherein vor allem auf solche Autoren (die maskuline Form ist
hier angebracht), die sich zentral im Feld der affektiven Neurowissenschaften bedienen –
Massumi, Connolly, Thrift, Smail und andere. Das limitiert freilich die Reichweite ihrer
Kritik, findet sich doch in Leys’ Essay so gut wie kein Verweis auf die oben genannten
kulturwissenschaftlichen Studien.
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Ebenso äußern sich hier grundverschiedene Haltungen gegenüber Metaphysik und Ontologie und deren
möglicher Rolle im Rahmen einer Forschungsperspektive. Heute sieht sich die anti- oder nach-metaphysische
Orientierung vieler Wissenschaftler_innen mit einem Wiederaufleben genuin metaphysischer Entwürfe und
insbesondere auch mit einem strategischen Einsatz metaphysischer Konzeptionen im Rahmen der Ausarbeitung
von forschungsleitenden Orientierungen konfrontiert (vgl. Saar 2013; Mühlhoff in Vorbereitung).
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Gelegentlich wird den Verfechtern des Affekttrends zudem ein einseitiges und unkritisches
Zelebrieren von Affekten vorgehalten. Ausgeblendet blieben dann die zum Teil
hochproblematischen Wirkungen affektiver Markierungen – etwa jene, durch welche
bestimmte Populationen als minderwertig, gefährlich oder intellektuell defizitär gebrandmarkt
würden. Dass relationale affektive Dynamiken und Intensitäten gerade auch bei politisch
fragwürdigen Massenbewegungen, populistischen und demagogischen Veranstaltungen bis
hin zu offen faschistischen Ausbrüchen bedeutende Rollen spielen, würde ebenfalls gerne
vergessen (vgl. Hemmings 2005).
Die hier im Schnelldurchgang referierten Punkte können nur Schlaglichter auf jene Kritiken
werfen, die kulturtheoretische Arbeiten zum Themenfeld Affekt in den letzten Jahren auf sich
gezogen haben. Über die inhaltlichen Einwände hinaus machen diese Affekt-skeptischen
Texte vor allem deutlich, dass gerade auch der Stil bzw. die in diesem – vermeintlich – zum
Ausdruck kommenden intellektuellen Haltungen der Vertreterinnen der affect studies Anstoß
erregen. Ruth Leys’ Text etwa ist das Naserümpfen an vielen Stellen deutlich anzumerken –
schon als Motto wählt die Autorin den schnippischen Ausruf eines ihrer Seminarteilnehmer:
„If you don’t understand try to feel. According to Massumi it works“ (Leys 2011, S. 434).
Höchste Zeit also für eine Analyse einiger derjenigen intellektuellen Orientierungen, die im
Feld der affect studies maßgebend sind. Allein die Tatsache, dass es diesbezüglich sehr
gewichtige Differenzen innerhalb des Feldes gibt, verkompliziert die Sachlage gegenüber den
hier angedeuteten Kritiken in beträchtlicher Weise.
3. Metaphysiker, Forscher, Aktivisten – drei intellektuelle Haltungen im
Vergleich
Natürlich stellt die im Folgenden angestrebte Kontrastierung von drei zentralen Haltungen in
den
affect studies eine starke Vereinfachung und Auswahl dar. Neben der prozess- und
erfahrungsmetaphysischen Orientierung von Brain Massumi, der methodologisch-
forschungsorientierten Perspektive Margaret Wetherells und der kritisch-aktivistischen
Haltung Sara Ahmeds lassen sich mindestens noch eine postdisziplinär-kulturanalytische
Perspektive (personifiziert von Melissa Gregg) und eine medien- und technik-analytische
Line (verkörpert u.a. von Marie-Luise Angerer, Patricia Clough und Mark Hansen)
ausmachen. Gerade Melissa Greggs (2011) ethnographische, kulturgeschichtliche und
gegenwartsanalytische Einlassungen können durchaus als repräsentativ für einen breiteren
Trend gelten.
Die Auswahl der drei im Folgenden analysierten Haltungen ist an dem Umstand orientiert,
dass es sich dabei tendenziell um grenzmarkierende Positionen handelt. Markante
intellektuelle Typen als Grenzmarkierungen – so die Hoffnung – können das in sich
differenzierte Feld der affect studies auf besonders erhellende Weise konturieren.
Massumi ist es um die kristalline Dynamik affektiver Relationen, Intensitäten und Verläufe
jenseits von Kategorisierungen und disziplinären bzw. theoretischen Einhegungen zu tun.
Wetherell geht es dagegen vor allem um die methodisch kontrollierte Erforschung sozialer
Wirklichkeiten, insbesondere des menschlichen Interaktionsverhaltens. Sara Ahmed verfährt
hingegen konsequent aus der Perspektive und im Sinne jener, die sich in gegebenen sozialen
Verhältnissen in unterdrückten bzw. strukturell benachteiligten Positionen befinden. Affekt
kommt für sie daher vor allem als Stabilisator von Machtgefügen, als Markierung von
Ungleichheit in den Blick – zuvorderst aber als etwas, das den z.B. von strukturellem
Sexismus oder Rassismus Betroffenen geradezu ins Fleisch schneidet, ihnen gewaltförmig
und in schmerzlicher Verhärtung entgegen schlägt.