Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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menschlicher Gewalt in ihrer Ambivalenz einzusetzen: Das Wort Aufklärung, 
das in der kritischen Theorie sowohl als gescheitertes wie auch als zu rettendes 
Movens der Zivilisations geschichte gilt. Versöhnung und Katastrophe stehen 
sich bei Adorno, obwohl unendlich verschieden, eben nicht dualistisch gegen-
über, sondern die erstere wäre utopisches und die Letztere ist reales Produkt 
des Kosmos, den die Menschen sich erschaffen wollten – und nur in der stän-
digen Reflexion der Letzteren lässt sich an erstere erinnern.
426
 Die unheimliche 
Erinnerung an die gescheiterte göttliche Gewalt gemahnt so an den Versuch 
einer Theologie unter den Bedingungen ihrer Unmöglichkeit. So ist es wohl 
kein Zufall, dass Adorno sowohl für den „antizivilisatorischen Charakter“ die 
Bezeichnung „zerstückte göttliche Gewalt“ als auch für den „jüdischen Ton-
fall der [Natur-]Extase“ den Namen der richtenden Gebura wählt und keine 
motivische Synthese anbietet. Die zitierten Stellen haben jedoch ihre Funktion 
als Allegorien und Metaphern in Adornos Analysen konkreter Werke und soll-
ten daher, so isoliert wie hier genommen, nicht interpretatorisch überstrapa-
ziert werden. Eine Adornosche Theorie der Dialektik göttlicher Gewalt lässt 
sich aus diesen Zitaten höchstens vage konstruieren.
Versuch,  den  Namen  selber  zu  nennen.  In  Adornos  Kunstphilosophie 
sind scheinbar direkt gegenläufige Beobachtungen verschmolzen. Ihre „bild-
losen Bilder“ sind, wie die in Scharen verglühenden Grasengel, in einem sol-
che der Versöhnung und des Leids. Das aber ist freilich eine Feststellung aus 
der Außenperspektive, Adorno erkennt, wie gesagt, vielmehr die Kunst selbst 
als paradox.
427
 Diese Qualität komme Kunstwerken zu, vom Standpunkt des 
Begriffsdenkens gesehen, weil ihre flüchtigen Ausdrucksmöglichkeiten „der 
bloß meinenden Sprache“ wie jeder Aussagenlogik überlegen seien und auf  
„intentionslose Sprache“ zielten. Die „Sprache“ der Musik war Adorno das 
Vorbild  eines  Denkens,  das  sich  der  prädizierenden  Logik  des  Identitäts-
zwangs entzieht: „Was sie sagt, ist als Erscheinendes bestimmt und zugleich 
426 
Vgl. Martin. 
Denken im Widerspruch. S. 47 ff.
427 
Vgl. etwa die oben schon teilweise zitierte Stelle der 
Ästhetischen Theorie: „Während Kunst 
dazu  versucht  ist,  eine  nichtexistente  Gesamtgesellschaft,  deren  nichtexistentes  Subjekt 
zu antezipieren, und darin nicht bloß Ideologie, haftet ihr zugleich der Makel von dessen 
Nichtexistenz an. Dennoch bleiben die Antagonismen der Gesellschaft in ihr erhalten. Wahr 
ist Kunst, soweit das aus ihr Redende und sie selber zwiespältig, unversöhnt ist, aber diese 
Wahrheit  wird  ihr  zuteil,  wenn  sie  das  Gespaltene  synthesiert  und  dadurch  erst  in  seiner 
Unversöhnlichkeit bestimmt. Paradox hat sie das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl 
tendenziell zu versöhnen; möglich ist das nur ihrer nicht-diskursiven Sprache.“ (GS 7, 251).


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verborgen.  Ihre  Idee  ist  die  Gestalt  des  göttlichen  Namens.  Sie  ist  entmy-
thologisiertes  Gebet,  befreit  von  der  Magie  des  Einwirkens;  der  wie  auch 
immer vergebliche Versuch, den Namen selber zu nennen, ohne Bedeutun-
gen mitzuteilen.“ Dabei werde das „Absolute“ plötzlich sichtbar und blende 
zugleich sein Licht so stark, dass es unerkennbar bleibe. (GS 16, 252) Dies 
erinnert erneut an Adornos Ästhetik des Feuerwerks, „das als einzige Kunst 
nicht dauern wolle, sondern einen Augenblick lang strahlen und verpuffen.“ 
(GS 7, 49 f.) Nach dieser Logik wird der vergebliche Versuch als der eigentlich 
erfolgreiche bestimmt, weil das Scheitern einer musikalischen „Konstruktion“ 
des Absoluten exemplarisch dessen Unfassbarkeit demonstriert – eine nega-
tiv-theologische Idee. (vgl. GS 16, 454 f., 463) Kontext dieser Überlegungen 
ist Adornos Scholem gewidmeter Text 
Sakrales Fragment, der sich mit Schön-
bergs Oper 
Moses und Aaron beschäftigt und auf den unten noch ausführlicher 
einzugehen ist. Bekanntlich wurde Moses der Name JHWH am brennenden 
Dornbusch offenbart. (vgl. Ex. 2,23 ff.) Gott redete aus dem Feuer, nur die 
gewaltige Stimme war vernehmbar, keine Gestalt zu sehen. (vgl. Dtn. 4, 12) 
Gott ist der menschlichen Vernunft unbegreiflich und in menschlichen Aus-
drücken unbeschreibbar. Wie der göttliche Name also eine eigentlich durch 
Menschen nicht zu versprachlichende Instanz – ja vielmehr die sprachender-
zeugende und durch Sprache schöpfende – umkreist, drückt für Adorno die 
Musik mehr aus, als sich über das von ihr Gemeinte in Begriffen sagen lie-
ße.
428
  Im  Hintergrund  stehen  hier  die  komplizierten  theologischen  Sprach- 
und  Namenstheorien  in  Scholems  und  Benjamins  Frühwerk,  die  auf   die 
gesamte romantische Sprachphilosophie ebenso hinweisen wie auf  jüdische 
Tradition.
429
 Von kabbalistischen Theorien des göttlichen Namens las Adorno 
zweifellos auch in Scholems wissenschaftlichen Studien.
430
 Doch das Motiv 
war ihm früher vertraut als diese: Es findet sich schon in seiner Habilitations-
schrift zu Kierkegaard (vgl. GS 2, 197), welche ohnehin Kracauers 
Detektivro-
man (KW 1, 109 ff.) voraussetzt. Darin wird ein invertiertes kierkegaardsches 
428 
Vgl. zur Namenstheorie auch Matern. 
Über Sprachgeschichte und Kabbala, Tiedemann. Begriff, 
Bild, Name.
429 
Vgl. Jacobson. 
Metaphysics of  the Profane. S. 85–155, Idel. Alte Welten – Neue Bilder. S. 269–280, 
untersucht die Beziehungen Scholems und Benjamins zur Namenstheorie des Kabbalisten 
Abraham Abulafia.
430 
Vgl. etwa Scholem. 
Die jüdische Mystik. S. 144 f.


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