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man eine Überfülle an allegorisch-bildlichem Ausdruck, hier das in sich ver-
schlossene Mysterium des Namens, auf das nur gezeigt werden kann. Adornos
hoch gegriffene theologische Interpretation von Kunstwerken, die sich enthu-
siastisch an einzelne Stellen heften, lassen an diesen eine interpretatorische
Fülle aufscheinen, für die in Bezug auf den Ausdruck des Werks als Ganzem
nur die Leerstelle des Namens einstehen kann. Er ersetzt die Notwendigkeit
ästhetischer Interpretation oder Kritik jedoch nicht.
Einer der wenigen Autoren, die das Modell
des Namens sowohl musik-
philosophisch aufnehmen als auch die kabbalistischen Quellen behandeln und
beides weiterentwickeln, ist der Philosoph Gunnar Hindrichs. Er nennt die
Berufung auf den Namen Gottes „eine der dunkelsten Ideen Adornos zur
Philosophie der Musik. Sie führt in den Bereich der Theologie und wird daher
oft als Idiosynkrasie angesehen.“
436
Hindrichs sucht Interpretationsmöglich-
keiten eines musikalischen Werks, die es nicht
im Streit der Rezeptionsge-
schichte aufgehen lassen. Zwar sei „das Werk“ nur interpretierend überhaupt
philosophisch reflektierbar, aber ebendiese Reflexion müsse der Eigenlogik,
dem begrifflich nie völlig dingfest zu machenden Aussagegehalt der Musik
gerecht werden.
437
Hindrichs zielt nicht auf eine systematische Musikphilo-
sophie, sondern ebenfalls auf ein Modell, nach dem sich das „veritative Sein“
des musikalischen Kunstwerks ohne Festlegungen denken lässt. Dieser onto-
logisierende „musikalische Materialismus“
438
bezieht sich für die Charakteri-
sierung der Differenz des Werks zu seiner Auslegung auf ein „theologische[s]
Modell“, dass das „Anderssein als die Sinnlosigkeit des Gottesnamens
formuliert.“
439
Der Name Gottes adressiere diesen, ohne sich aber anheischig
zu machen, ihn wirklich bestimmen zu wollen, und ebenso müsse auch die
musik philosophische Rede vom „veritativen Sein ohne propositionale Glie-
derung von Sachverhalten“ verfahren.
440
Hindrichs zitiert Adorno, entwickelt
dann aber im Folgenden das „Modell des Namens“ unabhängig von ihm,
441
436
Hindrichs.
Die Autonomie des Klangs. S. 255.
437
„Festgelegt ist, dass in dem unendlichen Streit um das, was das Material und seine Tendenz
sei, eine Größe zur Sprache kommt, die bereits vor der Interpretation des Werkes besteht,
wenngleich sie erst in der Interpretation als deren reflexiver Gesichtspunkt zur Sprache ge-
langt.“ (a. a. O. S. 264).
438
A. a. O. S. 265.
439
A. a. O. S. 263.
440
A. a. O. S. 255.
441
Hindrichs stellt die Ergebnisse seiner philosophischen Analyse gegen Adorno: Für Letzte-
ren sei das
Sein der Werke ihr Werden, tatsächlich aber sei das Werk ja eben mehr als seine
168
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und zwar anhand von Gershom Scholems Aufsatz von 1970.
442
Hindrichs legt
Wert auf die „Sinnlosigkeit“ des Gottesnamens. Dieser überragt und kon-
stituiert die Dinge, aber „Sinn hat nur die Tradition, die den Namen Gottes
in kombinatorischer Auslegung interpretiert“, während er „dennoch immer
anders ist.“
443
Dieses Verhältnis sei auch das des Kunstwerks zu seiner Inter-
pretation. Der nicht aussagbare Sinn wird von Hindrichs schließlich in Aus-
sagen wie „Es ist der Fall“, oder: „Das Werk wird sein, das es sein wird in der
Geschichte seiner Interpretationen“ gefasst, was natürlich auf „Ich werde da
sein, als der ich da sein werde“ anspielt.
444
Ähnliche Formulierungen, aller-
dings weniger ontologisierend als mit dem gesellschaftskritischen Ziel, auf das
intentionslose Objekt zu zeigen, finden sich in der Tat auch unabhängig von
der zitierten Namenstheorie bei Adorno und
haben eine ganz eigene Rezep-
tion erfahren. „Jeder Satz klang so, wie: so ist es und nicht anders“, sagt ein
Protagonist in Kurt Mautz’ Roman
Der Urfreund über den „Dozenten Amo-
relli“, eine Adorno nachempfundene Figur.
445
„So ist es“ hat Alexander Gar-
cia Düttmann in diesem Sinne einen „philosophischen Kommentar“ zu den
Minima Moralia genannt.
446
6.4 Scholems Kritik an zwei Thesen Adornos zu Schönberg
Sakrales Fragment. Im Folgenden werden noch zwei spezielle Probleme zu
besprechen sein, die Adorno und Scholem diskutierten. Erstens
geht es um die
Annahme, dass zwar die Kunst ein Rückzugsort der in die Immanenz einge-
gangenen Metaphysik bzw. Theologie sei, substanziell sakrale Kunst unter die-
sen Bedingungen aber unmöglich. Zweitens
geht
es erneut um den Umstand,
dass Adorno eine gewagte Bandbreite von Künstlern und Denkern mit dem
Interpretationsgeschichte. An der Stelle der
Ästhetischen Theorie, auf die Hindrichs verweist,
bezeichnet das ‚Werden‘ jedoch keineswegs die Interpretationsgeschichte eines Werks, son-
dern seine interne Struktur, die „innere Dynamik“; Adorno spricht vom „Prozeßcharakter
der Kunstwerke“. (GS 7, 263).
442
Vgl. Scholem.
Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala.
443
Hindrichs
. Die Autonomie des Klangs. S. 257, 261.
444
A. a. O. S. 262.
445
Mautz.
Der Urfreund, vgl. Jäger.
Adorno. S. 109 ff., Müller-Doohm.
Adorno. S. 215.
446
Garcia Düttmann.
So ist es, liefert eine erhellende Relektüre der „Wunde Adorno“ (a. a. O.
S. 137), geht aber an Adornos grundlegender geschichtsphilosophischer Konzeption insofern
vorbei, als er die Differenz von richtigem und falschem Leben „preisgibt“ (was er wiederum
der „menschelnden“ Fehlbarkeits-Ethik Judith Butlers nachträgt, vgl. a. a. O. S. 19 ff. mit Be-
zug auf Butler.
Zur Kritik der ethischen Gewalt): Das erstere äußere sich nicht etwa in der Ab-
schaffung unwürdiger Zustände, sondern sei gleichsam kontemplativ gegeben, „im Verhalten
zum falschen Leben, in dem So-ist-es.“ (Garcia Düttmann.
So ist es. S. 135).