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Beträgt der mit einem Kapital von 1000 Pfd.St. periodisch, z.B. jährlich, erzeugte Mehrwert 200 Pfd.St.
und wird dieser Mehrwert jährlich verzehrt, so ist es klar, daß nach fünfjähriger Wiederholung desselben
Prozesses die Summe des verzehrten Mehrwerts = 5 × 200 ist oder gleich dem ursprünglich vorgeschoß-
nen Kapitalwert von 1000 Pfd.St. Würde der jährliche Mehrwert nur teilweis verzehrt, z.B. nur zur Hälfte,
so ergäbe sich dasselbe Resultat nach zehnjähriger Wiederholung des Produktionsprozesses, denn 10 ×
100=1000. Allgemein: Der vorgeschoßne Kapitalwert, dividiert durch den jährlich verzehrten Mehrwert,
ergibt die Jahresanzahl oder die Anzahl von Reproduktionsperioden, nach deren Ablauf das ursprünglich
vorgeschoßne Kapital vom Kapitalisten aufgezehrt und daher verschwunden ist. Die Vorstellung des Ka-
pitalisten, daß er das Produkt der fremden unbezahlten Arbeit, den Mehrwert, verzehrt und den
[4] "Die Subsistenzmittel der Arbeiter werden noch nicht auf einem Viertel der Erde den Arbei-
tern durch Kapitalisten vorgeschossen." (Richard Jones, "Textbook of Lectures on the Polit. Eco-
nomy of Nations", Hertford 1852, p.36.)
[4a] "Obgleich der manufacturer" (i.e. Manufakturarbeiter) "seinen Lohn vom Meister vorge-
schossen bekommt, verursacht er diesem in Wirklichkeit keine Kosten, da der Wert des Lohns
zusanmen mit einem Profit gewöhnlich in dem veredelten Wert des Gegenstands, auf den seine
Arbeit verwandt wurde, wiederhergestellt wird." (A. Smith l.c., Book II, ch. III, p.355.)
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ursprünglichen Kapitalwert erhält, kann absolut nichts an der Tatsache ändern. Nach Abfluß einer gewis-
sen Jahreszahl ist der von ihm geeignete Kapitalwert gleich der Summe des während derselben Jahreszahl
ohne äquivalent angeeigneten Mehrwerts und die von ihm verzehrte Wertsumme gleich dem ursprüngli-
chen Kapitalwert. Allerdings behält er in der Hand ein Kapital, dessen Größe sich nicht verändert hat,
wovon ein Teil, Gebäude, Maschinen usw., bereits vorhanden war, als er sein Geschäft in Gang brachte.
Aber hier handelt es sich vom Wert des Kapitals und nicht von seinen materiellen Bestandteilen. Wenn
jemand sein ganzes Besitztum aufzehrt dadurch, daß er Schulden aufnimmt, die dem Wert dieses Besitz-
tums gleichkommen, so repräsentiert eben das ganze Besitztum nur die Gesamtsumme seiner Schulden.
Und ebenso, wenn der Kapitalist das äquivalent seines vorgeschoßnen Kapitals aufgezehrt hat, repräsen-
tiert der Wert dieses Kapitals nur noch die Gesamtsumme des von ihm unentgeltlich angeeigneten Mehr-
werts. Kein Wertatom seines alten Kapitals existiert fort.
Ganz abgesehn von aller Akkumulation verwandelt also die bloße Kontinuität des Produktionsprozesses,
oder die einfache Reproduktion, nach kürzerer oder längerer Periode jedes Kapital notwendig in akkumu-
liertes Kapital oder kapitalisierten Mehrwert. War es selbst bei seinem Eintritt in den Produktionsprozeß
persönlich erarbeitetes Eigentum seines Anwenders, früher oder später wird es ohne äquivalent angeeig-
neter Wert oder Materiatur, ob in Geldform oder anders, unbezahlter fremder Arbeit.
Wir sahen im vierten Kapitel: Um Geld in Kapital zu verwandeln, genügte nicht das Vorhandensein von
Warenproduktion[1*] und Warenzirkulation. Es mußten erst, hier Besitzer von Wert oder Geld, dort Be-
sitzer der wertschaffenden Substanz; hier Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln, dort Besitzer von
nichts als Arbeitskraft, einander als Käufer und Verkäufer gegenübertreten. Scheidung zwischen dem
Arbeitsprodukt und der Arbeit selbst, zwischen den objektiven Arbeitsbedingungen und der subjektiven
Arbeitskraft, war also die tatsächlich gegebne Grundlage, der Ausgangspunkt des kapitalistischen Pro-
duktionsprozesses.
Was aber anfangs nur Ausgangspunkt war, wird vermittelst der bloßen Kontinuität des Prozesses, der
einfachen Reproduktion, stets aufs neue produziert und verewigt als eignes Resultat der kapitalistischen
Produktion. Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapi-
tal, in Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus
dem Prozeß heraus,
[1*] 4. Auflage: Wertproduktion
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wie er in ihn eintrat---persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum
für sich zu verwirklichen. Da vor seinem Eintritt in den Prozeß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet,
dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des
Prozesses beständig in fremdem Produkt. Da der Produktionsprozeß zugleich der Konsumtionsprozeß der
Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in
Ware, sondern in Kapital, Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kau-
fen, Produktionsmittel, die den Produzenten anwenden.[5] Der Arbeiter selbst produziert daher beständig
den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der
Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständli-
chungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existie-
rende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.[6] Diese beständige Reproduktion oder Ver-
ewigung des Arbeiters ist das sine qua non[1*] der kapitalistischen Produktion.
Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit
Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapi-
tals. Dies ist seine produkive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den
Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft
gezahlte Geld in Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individu-
elle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft
des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebens-
[5] "Da ist eine besonders merkwürdige Eigenschaft der produktiven Konsumtion. Was produktiv
konsumiert wird, ist Kapital, und es wird Kapital durch die Konsumtion." (James Mill, l.c. p.242.)
J. Mill ist jedoch dieser "besonders merkwürdigen Eigenschaft" nicht auf die Spur gekommen.
[6] "Es ist tatsächlich wahr, daß die erste Einführung einer Manufaktur viele Arme beschäftigt,
aber sie bleiben arm, und die Fortdauer der Manufaktur erzeugt ihrer noch viele." ("Reasons for a
limited Exportation of Wool", Lond. 1677, p.19.) "Der Pächter versichert nun entgegen aller Ver-
nunft, daß er die Armen erhalte. In Wirklichkeit werden sie im Elend erhalten." ("Reasons for the
late lncrease of the Poor Rates: or a comparative view of the prices of labour and provisions",
Lond. 1777, p.31.)
[1*] die unerläßliche Bedingung
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funktionen außerhalb des Produktionsprozesses. Das Resultat der einen ist das Leben des Kapitalisten,
das der andern ist das Leben des Arbeiters selbst.
Bei Betrachtung des "Arbeitstags" usw. zeigte sich gelegentlich, daß der Arbeiter oft gezwungen ist, seine
individuelle Konsumtion zu einem bloßen Inzident des Produktionsprozesses zu machen. In diesem Fall
setzt er sich Lebensmittel zu, um seine Arbeitskraft im Gang zu halten, wie der Dampfmaschine Kohle
und Wasser, dem Rad öl zugesetzt wird. Seine Konsumtionsmittel sind dann bloß Konsumtionsmittel
eines Produktionsmittels, seine individuelle Konsumtion direkt produktive Konsumtion. Dies erscheint
jedoch als ein dem kapitalistischen Produktionsprozeß unwesentlicher Mißbrauch.[7]
Anders sieht die Sache aus, sobald wir nicht den einzelnen Kapitalisten und den einzelnen Arbeiter be-
trachten, sondern die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse, nicht den vereinzelten Produktionsprozeß
der Ware, sondern den kapitalistischen Produktionsprozeß in seinem Fluß und in seinem gesellschaftli-
chen Umfang. – Wenn der Kapitalist einen Teil seines Kapitals in Arbeitskraft umsetzt, verwertet er da-
mit sein Gesamtkapital. Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Er profitiert nicht nur von dem, was er
vom Arbeiter empfängt, sondern auch von dem, was er ihm gibt. Das im Austausch gegen Arbeitskraft
veräußerte Kapital wird in Lebensmittel verwandelt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel, Nerven,
Knochen, Hirn vorhandner Arbeiter zu reproduzieren und neue Arbeiter zu zeugen. Innerhalb der Gren-
zen des absolut Notwendigen ist daher die individuelle Konsumtion der Arbeiterklasse Rückverwandlung
der vom Kapital gegen Arbeitskraft veräußerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploitierbare Arbeits-