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dieses nun unter, über oder gleich mit dem Niveau, welches vor Eintritt des Lohnzuwachses als normal
galt. Man sieht: Im ersten Fall ist es nicht die Abnahme im absoluten oder proportionellen Wachstum der
Arbeitskraft oder Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital überschüssig, sondern umgekehrt die Zunah-
me des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft unzureichend macht. Im zweiten Fall ist es nicht die
Zunahme im absoluten oder proportionellen Wachstum der Arbeitskraft oder der Arbeiterbevölkerung,
welche das Kapital unzureichend, sondern umgekehrt die Abnahme des Kapitals, welche die exploitable
Arbeitskraft, oder vielmehr ihren Preis, überschüssig macht. Es sind diese absoluten Bewegungen in der
Akkumulation des Kapitals, welche sich als relative Bewegungen in der Masse der exploitablen Arbeits-
kraft widerspiegeln und daher der eignen Bewegung der letztren geschuldet scheinen. Um mathemati-
schen Ausdruck anzuwenden: die Größe der Akkumulation ist die unabhängige Variable, die Lohngröße
die abhängige, nicht umgekehrt. So drückt sich in der Krisenphase des industriellen Zyklus der allgemei-
ne Fall der Warenpreise als Steigen des relativen Geldwerts, und in der Prosperitätsphase das allgemeine
Steigen der Warenpreise als Fall des relativen Geldwerts aus. Die sog. Currency-Schule schließt daraus,
daß bei hohen Preisen zu viel, bei niedrigen zu wenig Geld zirkuliert. <3. und 4. Auflage: bei hohen Prei-
sen zu wenig, bei niedrigen zu viel Geld zirkuliert.> Ihre Ignoranz und völlige Verkennung der Tatsachen
finden würdige Parallele in den Ökonomen, welche jene Phänomene der Akkumulation dahin deuten, daß
das eine Mal zu wenig und das andre Mal zu viel Lohnarbeiter existieren.
Das Gesetz der kapitalistischen Produktion, das dem angeblichen "natürlichen Populationsgesetz" zu-
grunde liegt, kommt einfach auf dies her- <649> aus: Das Verhältnis zwischen Kapital, Akkumulation
und Lohnrate ist nichts als das Verhältnis zwischen der unbezahlten, in Kapital verwandelten Arbeit und
der zur Bewegung des Zusatzkapitals erforderlichen zuschüssigen Arbeit. Es ist also keineswegs ein Ver-
hältnis zweier voneinander unabhängigen Größen, einerseits der Größe des Kapitals, andrerseits der Zahl
der Arbeiterbevölkerung, es ist vielmehr in letzter Instanz nur das Verhältnis zwischen der unbezahlten
und der bezahlten Arbeit derselben Arbeiterbevölkerung. Wächst die Menge der von der Arbeiterklasse
gelieferten und von der Kapitalistenklasse akkumulierten, unbezahlten Arbeit rasch genug, um nur durch
einen außergewöhnlichen Zuschuß bezahlter Arbeit sich in Kapital verwandeln zu können, so steigt der
Lohn, und alles andre gleichgesetzt, nimmt die unbezahlte Arbeit im Verhältnis ab. Sobald aber diese
Abnahme den Punkt berührt, wo die das Kapital ernährende Mehrarbeit nicht mehr in normaler Menge
angeboten wird, so tritt eine Reaktion ein: ein geringerer Teil der Revenue wird kapitalisiert, die Akku-
mulation erlahmt, und die steigende Lohnbewegung empfängt einen Gegenschlag. Die Erhöhung des
Arbeitspreises bleibt also eingebannt in Grenzen, die die Grundlagen des kapitalistischen Systems nicht
nur unangetastet lassen, sondern auch seine Reproduktion auf wachsender Stufenleiter sichern. Das in ein
Naturgesetz mystifizierte Gesetz der kapitalistischen Akkumulation drückt also in der Tat nur aus, daß
ihre Natur jede solche Abnahme im Exploitationsgrad der Arbeit oder jede solche Steigerung des Arbeits-
preises ausschließt, welche die stetige Reproduktion des Kapitalverhältnisses und seine Reproduktion auf
stets erweiterter Stufenleiter ernsthaft gefährden könnte. Es kann nicht anders sein in einer Produktions-
weise, worin der Arbeiter für die Verwertungsbedürfnisse vorhandner Werte, statt umgekehrt der gegen-
ständliche Reichtum für die Entwicklungsbedürfnisse des Arbeiters da ist. Wie der Mensch in der Religi-
on vom Machwerk seines eignen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk
seiner eignen Hand beherrscht.
2. Relative Abnahme des variablen Kapitalteils
im Fortgang der Akkumulation
und der sie begleitenden Konzentration
<650> Nach den Ökonomen selbst ist es weder der vorhandne Umfang des gesellschaftlichen Reichtums
noch die Größe des bereits erworbnen Kapitals, die eine Lohnerhöhung herbeiführen, sondern lediglich
das fortgesetzte Wachsen der Akkumulation und der Geschwindigkeitsgrad ihres Wachstums (A. Smith,
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Buch 1, Kap. 8). Bisher haben wir nur eine besondre Phase dieses Prozesses betrachtet, diejenige, in der
der Kapitalzuwachs stattfindet bei gleichbleibender technischer Zusammensetzung des Kapitals. Aber der
Prozeß schreitet über diese Phase hinaus.
Die allgemeinen Grundlagen des kapitalistischen Systems einmal gegeben, tritt im Verlauf der Akkumu-
lation jedesmal ein Punkt ein, wo die Entwicklung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der
mächtigste Hebel der Akkumulation wird.
"Dieselbe Ursache, sagt A. Smith, "die die Löhne erhöht, nämlich die Zunahme des Kapitals, treibt zur
Steigerung der produktiven Fähigkeiten der Arbeit und setzt eine kleinere Arbeitsmenge instand, eine
größere Menge von Produkten zu erzeugen."
Abgesehn von Naturbedingungen, wie Fruchtbarkeit des Bodens usw., und vom Geschick unabhängiger
und isoliert arbeitender Produzenten, das sich jedoch mehr qualitativ in der Güte als quantitativ in der
Masse des Machwerks bewährt, drückt sich der gesellschaftliche Produktivgrad der Arbeit aus im relati-
ven Größenumfang der Produktionsmittel, welche ein Arbeiter, während gegebner Zeit, mit derselben
Anspannung von Arbeitskraft, in Produkt verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel, womit er funk-
tioniert, wächst mit der Produktivität seiner Arbeit. Diese Produktionsmittel spielen dabei eine doppelte
Rolle. Das Wachstum der einen ist Folge, das der andren Bedingung der wachsenden Produktivität der
Arbeit. Z.B. mit der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit und der Anwendung von Maschinerie wird in
derselben Zeit mehr Rohmaterial verarbeitet, tritt also größere Masse von Rohmaterial und Hilfsstoffen in
den Arbeitsprozeß ein. Das ist die Folge der wachsenden Produktivität der Arbeit. Andrerseits ist die
Masse der angewandten Maschinerie, Arbeitsviehs, mineralischen Düngers, Drainierungsröhren usw.
Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. Ebenso die Masse der in Baulichkeiten, Riesenöfen,
Trans- <651> portmitteln usw. konzentrierten Produktionsmittel. Ob aber Bedingung oder Folge, der
wachsende Größenumfang der Produktionsmittel im Vergleich zu der ihnen einverleibten Arbeitskraft
drückt die wachsende Produktivität der Arbeit aus. Die Zunahme der letzteren erscheint also in der Ab-
nahme der Arbeitsmasse verhältnismäßig zu der von ihr bewegten Masse von Produktionsmitteln oder in
der Größenabnahme des subjektiven Faktors des Arbeitsprozesses, verglichen mit seinen objektiven Fak-
toren.
Diese Veränderung in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, das Wachstum in der Masse der
Produktionsmittel, verglichen mit der Masse der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt sich wider in seiner
Wertzusammensetzung, in der Zunahme des konstanten Bestandteils des Kapitalwerts auf Kosten seines
variablen Bestandteils. Es werden z.B. von einem Kapital, prozentweis berechnet, ursprünglich je 50% in
Produktionsmitteln und je 50% in Arbeitskraft ausgelegt, später, mit der Entwicklung des Produktivgrads
der Arbeit, je 80% in Produktionsmitteln und je 20% in Arbeitskraft usw. Dies Gesetz des steigenden
Wachstums des konstanten Kapitalteils im Verhältnis zum variablen wird auf jedem Schritt bestätigt (wie
schon oben entwickelt) durch die vergleichende Analyse der Warenpreise, gleichviel ob wir verschiedne
ökonomische Epochen bei einer einzigen Nation vergleichen oder verschiedne Nationen in derselben
Epoche. Die relative Größe des Preiselements, welches nur den Wert der verzehrten Produktionsmittel
oder den konstanten Kapitalteil vertritt, wird in direktem, die relative Größe des andern, die Arbeit be-
zahlenden oder den variablen Kapitalteil vertretenden Preiselements, wird im allgemeinen in umgekehr-
tem Verhältnis stehn zum Fortschritt der Akkumulation.
Die Abnahme des variablen Kapitalteils gegenüber dem konstanten oder die veränderte Zusammenset-
zung des Kapitalwerts zeigt jedoch nur annähernd den Wechsel in der Zusammensetzung seiner stoffli-
chen Bestandteile an. Wenn z.B. heute der in der Spinnerei angelegte Kapitalwert zu
7
/8 konstant und
1
/8
variabel ist, während er Anfang des 18. Jahrhunderts
1
/2 konstant und
1
/2 variabel war, so ist dagegen die
Masse von Rohstoff, Arbeitsmitteln usw., die ein bestimmtes Quantum Spinnarbeit heute produktiv kon-
sumiert, vielhundertmal größer als im Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, daß mit der
wachsenden Produktivität der Arbeit nicht nur der Umfang der von ihr vernutzten Produktionsmittel
steigt, sondern deren Wert, verglichen mit ihrem Umfang, sinkt. Ihr Wert steigt also absolut, aber nicht