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stischen Reichtums und die Überlegenheit des ökonomischen Mechanismus, so hängt doch der Fortschritt
der Zentralisation keineswegs ab von dem positiven Größenwachstum des gesellschaftlichen Kapitals.
Und dies speziell unterscheidet die Zentralisation von der Konzentration, die nur ein andrer Ausdruck für
die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter ist. Die Zentralisation kann erfolgen durch bloße veränderte
Verteilung schon bestehender Kapitale, durch einfache Veränderung der quantitativen Gruppierung der
Bestandteile des gesellschaftlichen Kapitals. Das Kapital kann hier zu gewaltigen Massen in einer Hand
anwachsen, weil es dort vielen einzelnen Händen entzogen wird. In einem gegebnen Geschäftszweig hätte
die Zentralisation ihre äußerste Grenze erreicht, wenn alle darin angelegten Kapitale zu einem Einzelka-
pital verschmolzen wären. In einer gegebnen Gesellschaft wäre diese Grenze <656> erreicht erst in dem
Augenblick, wo das gesamte gesellschaftliche Kapital vereinigt wäre in der Hand, sei es eines einzelnen
Kapitalisten, sei es einer einzigen Kapitalistengesellschaft.
Die Zentralisation ergänzt das Werk der Akkumulation, indem sie die industriellen Kapitalisten instand
setzt, die Stufenleiter ihrer Operationen auszudehnen. Sei dies letztre Resultat nun Folge der Akkumulati-
on oder der Zentralisation; vollziehe sich die Zentralisation auf dem gewaltsamen Weg der Annexion –
wo gewisse Kapitale so überwiegende Gravitationszentren für andre werden, daß sie deren individuelle
Kohäsion brechen und dann die vereinzelten Bruchstücke an sich ziehn – oder geschehe die Verschmel-
zung einer Menge bereits gebildeter, resp. in der Bildung begriffner Kapitale vermittelst des glatteren
Verfahrens der Bildung von Aktiengesellschaften – die ökonomische Wirkung bleibt dieselbe. Die ge-
wachsne Ausdehnung der industriellen Etablissements bildet überall den Ausgangspunkt für eine umfas-
sendere Organisation der Gesamtarbeit vieler, für eine breitre Entwicklung ihrer materiellen Triebkräfte,
d.h. für die fortschreitende Umwandlung vereinzelter und gewohnheitsmäßig betriebner Produktionspro-
zesse in gesellschaftlich kombinierte und wissenschaftlich disponierte Produktionsprozesse.
Es ist aber klar, daß die Akkumulation, die allmähliche Vermehrung des Kapitals durch die aus der Kreis-
form in die Spirale übergehende Reproduktion ein gar langsames Verfahren ist, im Vergleich mit der
Zentralisation, die nur die quantitative Gruppierung der integrierenden Teile des gesellschaftlichen Kapi-
tals zu ändern braucht. Die Welt wäre noch ohne Eisenbahnen, hätte sie solange warten müssen, bis die
Akkumulation einige Einzelkapitale dahin gebracht hätte, dem Bau einer Eisenbahn gewachsen zu sein.
Die Zentralisation dagegen hat dies, vermittelst der Aktiengesellschaften, im Handumdrehn fertigge-
bracht. Und während die Zentralisation so die Wirkungen der Akkumulation steigert und beschleunigt,
erweitert und beschleunigt sie gleichzeitig die Umwälzungen in der technischen Zusammensetzung des
Kapitals, die dessen konstanten Teil vermehren auf Kosten seines variablen Teils und damit die relative
Nachfrage nach Arbeit vermindern.
Die durch die Zentralisation über Nacht zusammengeschweißten Kapitalmassen reproduzieren und ver-
mehren sich wie die andren, nur rascher, und werden damit zu neuen mächtigen Hebeln der gesellschaft-
lichen Akku- <657> mulation. Spricht man also vom Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation, so
sind darin – heutzutage – die Wirkungen der Zentralisation stillschweigend einbegriffen.
Die im Lauf der normalen Akkumulation gebildeten Zusatzkapitale (s. Kap. XXII, 1) dienen vorzugswei-
se als Vehikel zur Exploitation neuer Erfindungen und Entdeckungen, überhaupt industrieller Vervoll-
kommnungen. Aber auch das alte Kapital erreicht mit der Zeit den Moment seiner Erneuerung an Haupt
und Gliedern, wo es sich häutet und ebenfalls wiedergeboren wird in der vervollkommneten technischen
Gestalt, worin eine geringere Masse Arbeit genügte, eine größere Masse Maschinerie und Rohstoffe in
Bewegung zu setzen. Die hieraus notwendig folgende absolute Abnahme der Nachfrage nach Arbeit wird
selbstredend um so größer, je mehr die diesen Erneuerungsprozeß durchmachenden Kapitale bereits zu
Massen angehäuft sind vermöge der zentralisierenden Bewegung.
Einerseits attrahiert also das im Fortgang der Akkumulation gebildete Zuschußkapital, verhältnismäßig zu
seiner Größe, weniger und weniger Arbeiter. Andrerseits repelliert das periodisch in neuer Zusammenset-
zung reproduzierte alte Kapital mehr und mehr früher von ihm beschäftigte Arbeiter.
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3. Progressive Produktion einer relativen Übervölkerung
oder industriellen Reservearmee
Die Akkumulation des Kapitals, welche ursprünglich nur als seine quantitative Erweiterung erschien,
vollzieht sich, wie wir gesehn, in fortwährendem qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in be-
ständiger Zunahme seines konstanten auf Kosten seines variablen Bestandteils.
Die spezifisch kapitalistische Produktionsweise, die ihr entsprechende Entwicklung der Produktivkraft
der Arbeit, der dadurch verursachte Wechsel in der organischen Zusammensetzung des Kapitals halten
nicht nur Schritt mit dem Fortschritt der Akkumulation oder dem Wachstum des gesellschaftlichen
Reichtums. Sie schreiten ungleich schneller, weil die einfache Akkumulation oder die absolute Ausdeh-
nung des Gesamtkapitals von <658> der Zentralisation seiner individuellen Elemente, und die technische
Umwälzung des Zusatzkapitals von technischer Umwälzung des Originalkapitals begleitet sind. Mit dem
Fortgang der Akkumulation wandelt sich also das Verhältnis von konstantem zu variablem Kapitalteil,
wenn ursprünglich 1:1, in 2:1, 3:1, 4: 1, 5: 1, 7:1 usw., so daß, wie das Kapital wächst, statt
1
/2 seines
Gesamtwerts progressiv nur
1
/3,
1
/4,
1
/5,
1
/6,
1
/5 usw. in Arbeitskraft, dagegen
2
/3,
3
/4,
4
/5,
5
/6,
7
/8 usw. in
Produktionsmittel umgesetzt wird. Da die Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang des Gesamtka-
pitals, sondern durch den seines variablen Bestandteils bestimmt ist, fällt sie also progressiv mit dem
Wachstum des Gesamtkapitals, statt, wie vorhin unterstellt, verhältnismäßig mit ihm zu wachsen. Sie fällt
relativ zur Größe des Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachstum dieser Größe.
Mit dem Wachstum des Gesamtkapitals wächst zwar auch sein variabler Bestandteil, oder die ihm ein-
verleibte Arbeitskraft, aber in beständig abnehmender Proportion. Die Zwischenpausen, worin die Akku-
mulation als bloße Erweiterung der Produktion auf gegebner technischer Grundlage wirkt, verkürzen sich.
Nicht nur wird eine in wachsender Progression beschleunigte Akkumulation des Gesamtkapitals er-
heischt, um eine zusätzliche Arbeiterzahl von gegebner Größe zu absorbieren oder selbst, wegen der be-
ständigen Metamorphose des alten Kapitals, die bereits funktionierende zu beschäftigen. Ihrerseits schlägt
diese wachsende Akkumulation und Zentralisation selbst wieder um in eine Quelle neuer Wechsel der
Zusammensetzung des Kapitals oder abermalig beschleunigter Abnahme seines variablen Bestandteils,
verglichen mit dem konstanten. Diese mit dem Wachstum des Gesamtkapitals beschleunigte und rascher
als sein eignes Wachstum beschleunigte relative Abnahme seines variablen Bestandteils scheint auf der
andren Seite umgekehrt stets rascheres absolutes Wachstum der Arbeiterbevölkerung als das des varia-
blen Kapitals oder ihrer Beschäftigungsmittel. Die kapitalistische Akkumulation produziert vielmehr, und
zwar im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d.h. für die mittleren
Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuß-
Arbeiterbevölkerung.
Das gesellschaftliche Gesamtkapital betrachtet, ruft die Bewegung seiner Akkumulation bald periodi-
schen Wechsel hervor, bald verteilen sich ihre Momente gleichzeitig über die verschiednen Produkti-
onssphären. In einigen Sphären findet Wechsel in der Zusammensetzung des Kapitals statt ohne Wachs-
tum seiner absoluten Größe, infolge bloßer Konzentration <3. Auflage: Zentralisation>; in <659> andren
ist das absolute Wachstum des Kapitals mit absoluter Abnahme seines variablen Bestandteils oder der von
ihm absorbierten Arbeitskraft verbunden; in andren wächst das Kapital bald auf seiner gegebnen techni-
schen Grundlage fort und attrahiert zuschüssige Arbeitskraft im Verhältnis seines Wachstums, bald tritt
organischer Wechsel ein und kontrahiert sich sein variabler Bestandteil; in allen Sphären ist das Wachs-
tum des variablen Kapitalteils und daher der beschäftigten Arbeiterzahl stets verbunden mit heftigen
Fluktuationen und vorübergehender Produktion von Übervölkerung, ob diese nun die auffallendere Form
von Repulsion bereits beschäftigter Arbeiter annimmt oder die mehr unscheinbare, aber nicht minder
wirksame, erschwerter Absorption der zuschüssigen Arbeiterbevölkerung in ihre gewohnten Abzugska-
näle. Mit der Größe des bereits funktionierenden Gesellschaftskapitals und dem Grad seines Wachstums,
mit der Ausdehnung der Produktionsleiter und der Masse der in Bewegung gesetzten Arbeiter, mit der