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oder in konkreteren Bildern auszudrücken, seien es religiöse oder utopische,
hat Adorno verweigert: Der
menschliche Blick vermag
demnach die Dinge nicht
unverstellt zu erblicken, zu sehr ist er von der Immanenz der kapitalistischen
Wirtschaft – nichts anderes ist die „Verzauberung“ der Dinge – getrübt. Das
hat nicht nur Konsequenzen für die Utopie, sondern gleichermaßen für die
Erkenntnistheorie. Gefordert ist äußerste kritische Nüchternheit im Versuch,
Sache und Gedanke einander zu nähern, im Wissen,
„[…] daß man nicht jenes Ganze hat und daß man nicht souverän, mit der Miene
des Gottes, der allen Dingen ihre rechte Stelle zu teilt […] die Beschränktheit des
Gedankens übersteigen und den Gedanken an seine richtige Stelle bringen kann,
sondern daß der Gedanke sich wirklich auf Gnade und Ungnade, unbarmherzig in
die Dialektik selber hineinbegeben muß.“ (NL IV/2, 51 f.)
Scholem zweifelte an der ‚jüdischen Identität‘
132
Adornos,
ja der ganzen soge-
nannten Frankfurter Schule übrigens nie, obwohl er sie wie üblich ironisch
abhandelte: „Ich pflegte die drei Gruppen um die Bibliothek Warburg, um
das Institut für Sozialforschung um Max Horkheimer und die metaphysischen
Magier um Oskar Goldberg als die drei bemerkenswertesten ‚Jüdischen Sekten‘
zu definieren, die das deutsche Judentum hervorgebracht hat.“
133
Jedenfalls
hüte man sich, Leo Löwenthals rückblickendem Urteil zu widersprechen, dass
„ein jüdisches Element, wenn Sie es so nennen möchten, in den meisten von
uns lebte im Sinne von ‚es kommt noch‘, also der Hoffnung, des Unaussprech-
baren, das man nicht nennen kann […].“
134
Selbst Friedrich Pollock, der sich
nie als Jude sah, wies einmal auf einen „neuen Glauben“ hin, der eine Variante
jüdischen Messianismus’ implizierte.
135
Allerdings versteckt sich das ‚Jüdische‘,
wie der Gegenstand dieses Kapitels, oft im Detail. Die „Konstellation“ von
Bloch, Benjamin, Kracauer, Adorno und Horkheimer zeichnet sich nach einer
aufschlussreichen Nebenbemerkung von Rolf Wiggershaus dadurch aus, dass
ihre Teilnehmer die entsprechenden Themen unter den „Ausdrücken ‚theolo-
gisch‘ und ‚materialistisch‘“ verhandelten, die „dabei nicht streng zu nehmen“
seien.
136
Selten jedoch wird eine dezidiert
jüdische Position bezogen.
132
Vgl. Barboza.
Die „
jüdische Identität“ der Frankfurter Schule sowie ausführlich Jacobs.
The Frank-
furt School, Jewish Lives, and Antisemitism.
133
Scholem.
Von Berlin nach Jerusalem. S. 162.
134
Löwenthal.
Wir haben nie im Leben diesen Ruhm erwartet. S. 303.
135
Vgl. Lenhard.
„In den Marxschen Begriffen stimmt etwas nicht“. S. 8 f., unter Bezug auf Pollock.
Die
bessere Ordnung. S. 3.
136
Wiggershaus.
Ein abgrundtiefer Realist. S. 285.
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2.5 Drastische Schuld des Verschonten
Adornos wie auch Scholems Philosophie zittert von der nationalsozialistischen
Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, in der beide – wenn auch
auf unterschiedliche Art und Weise – die Verwirklichung von längst vorher
angelegten Tendenzen sahen.
Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch
heißt Scholems vielzitierter Text, in dem er sich auch jeden nachträglichen
Harmonisierungsversuch verbittet.
137
Adorno
hat dem mit Nachdruck beige-
pflichtet: Selbst Goethe und Kant hätten ihren Teil zum Scheiterhaufen beige-
tragen. „Schon wenn man ein Wort wie deutsch-jüdisches Gespräch hört nach
dem Geschehenen, kann es einem übel werden, und es ist die einfache Wahr-
heit, daß es ein solches Gespräch nie gegeben hat.“ (vgl. BW 8, 357 f.) Scholem
und Adorno waren sich dabei des vielgestaltigen Nachlebens des Antisemitis-
mus wohl bewusst. Dazu resümiert im Nachwort des Briefwechsels dessen
Herausgeber Asaf Angermann:
„Adornos Briefe verdeutlichen seine bislang nicht in ihrem vollen Umfang bekannte
Fremdheit im eigenen Land […][,] zu der […] nicht zuletzt eine antisemitisch
motivierte briefliche Morddrohung beitrug […], die er Ende der sechziger Jahre
erhielt […]. Adorno teilt mit Scholem seine Sorgen und Ängste, das Gefühl einer
tieferen Entwurzelung im scheinbar sicheren Deutschland […]. Der Briefwechsel
stellt insofern eine ‚Aufarbeitung der Vergangenheit‘ aus Sicht der Exilanten dar.
[…] Scholem wie Adorno widersetzen sich nicht nur den subtilen antisemitischen
Tendenzen, sondern genauso ihrem komplementären philosemitischen Gegenpart,
den sie zugleich vorausahnend diagnostizieren.“ (BW 8, 543)
In diesem Sinne ist mit Angermann vor philosemitischem Missbrauch dieses
deutsch-jüdischen Zwiegesprächs zu warnen.
138
Auch
ist stets zu bedenken,
wie kritisch und konflikthaft Adornos Verhältnis zum (eigenen) Judentum
war, hier kann es nur kursorisch umrissen werden. Schon sein aus jüdi-
schem Hause stammender Vater wurde protestantisch getauft.
139
Adorno
137
Vgl. Scholem.
Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch, ders.
Noch einmal: das deutsch-
jüdische Gespräch. Vgl. zu Kontext und Nachleben Fischer.
Selbstverleugnender Deutschenfresser?.
138
Vor einer voreiligen Betitelung Adornos als Juden warnt auch Braunstein.
Adornos Kritik der
politischen Ökonomie. S. 360 ff. Adorno selbst notierte zum Philosemitismus 1967: „Der Pro-
semitismus im nachhitlerschen Deutschland – soweit es so etwas gibt – hat folkloristischen
Charakter, und darin setzt der Antisemitismus sich fort. Eine interessante Völkerschaft, und
so tüchtig.“ (FAB 8, 30).
139
Das väterliche „Wiesengrund“ kürzte der Sohn mit der Emigration zum bekannten „W.“
ab, was jedoch nicht auf einen biographischen Konflikt zurückzuführen ist. Antisemiten