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heißen hier "confined labourers") dienen ausschließlich zur permanenten schweren und mit Pferden ver-
richteten Landarbeit. Auf je 100 Acres (1 Acre = 40,49 Aren oder 1,584
<723> preußische Morgen)
kommt im Durchschnitt kaum eine Cottage. Ein Fenlandpächter z.B. sagt aus vor der Untersuchungs-
kommission:
"Meine Pachtung erstreckt sich über 320 Acres, alles Kornland. Sie hat keine Cottage. Ein Arbeiter wohnt
jetzt bei mir. Ich habe vier Pferdemänner in der Umgegend logierend. Das leichte Werk, wozu zahlreiche
Hände nötig, wird durch Gänge vollbracht."
Der Boden erheischt viel leichtes Feldwerk wie Ausjäten des Unkrauts, Behackung, gewisse Düngerope-
rationen, Auflesen der Steine usw. Es wird verrichtet durch die Gänge oder organisierten Banden, deren
Wohnsitz in den offnen Ortschaften.
Der Gang besteht aus 10 bis 40 oder 50 Personen, nämlich Weibern, jungen Personen beiderlei Ge-
schlechts (13-18 Jahr), obgleich Jungen meist mit dem 13. Jahr ausscheiden, endlich Kindern beiderlei
Geschlechts (6 bis 13 Jahr). An der Spitze steht der Gangmaster (Gangmeister), immer ein gewöhnlicher
Landarbeiter, meist ein sog. schlechter Kerl, Liederjahn, unstet, versoffen, aber mit einem gewissen Un-
ternehmungsgeist und savoir-faire . Er wirbt den Gang, der unter ihm ar-
beitet, nicht unter dem Pächter. Mit letztrem akkordiert er meist auf Stückwerk, und sein Einkommen, das
im Durchschnitt nicht sehr hoch über das eines gewöhnlichen Landarbeiters steigt , hängt fast ganz ab
vom Geschick, womit er in kürzester Zeit möglichst viel Arbeit aus seiner Bande flüssig zu machen weiß.
Die Pächter haben entdeckt, daß Frauenzimmer nur unter männlicher Diktatur ordentlich arbeiten, daß
aber Frauenzimmer und Kinder, wenn einmal im Zug, mit wahrem Ungestüm, was schon Fourier wußte,
ihre Lebenskraft verausgaben, während der erwachsne männliche Arbeiter so heimtückisch ist, damit,
soviel er kann, hauszuhalten. Der Gangmeister zieht von einem Gut zum andren und beschäftigt so seine
Bande 6-8 Monate im Jahr. Seine Kundschaft ist daher viel einträglicher und sicherer für die Arbeiterfa-
milien als die des einzelnen Pächters, welcher nur gelegentlich Kinder beschäftigt. Dieser Umstand befe-
stigt seinen Einfluß in den offnen Ortschaften so sehr, daß Kinder meist nur durch seine Vermittlung
dingbar sind. Individuelles Verpumpen der letztren, getrennt vom Gang, bildet sein Nebengeschäft.
<724> Die "Schattenseiten" des Systems sind die Überarbeit der Kinder und jungen Personen, die unge-
heuren Märsche, die sie täglich zu und von den 5, 6 und manchmal 7 Meilen entfernten Gütern zurückle-
gen, endlich die Demoralisation des "Gangs". Obgleich der Gangmeister, der in einigen Gegenden "the
driver" (Treiber) heißt, mit einem langen Stabe ausgerüstet ist, wendet er solchen jedoch nur selten an,
und Klage über brutale Behandlung ist Ausnahme. Er ist ein demokratischer Kaiser oder eine Art Ratten-
fänger von Hameln. Er bedarf also der Popularität unter seinen Untertanen und fesselt sie an sich durch
das unter seinen Auspizien blühende Zigeunertum. Rohe Ungebundenheit, lustige Ausgelassenheit und
obszönste Frechheit leihen dem Gangs Flügel. Meist zahlt der Gangmeister in einer Kneipe aus und kehrt
dann wohl wankend, rechts und links gestützt auf ein stämmiges Frauenmensch, an der Spitze des Zuges
heim, die Kinder und jungen Personen hinterher tollend, Spott und Zotenlieder singend. Auf dem Rück-
weg ist das, was Fourier "Phanerogamie" nennt, an der Tagesordnung. Die Schwängerung dreizehn- und
vierzehnjähriger Mädchen durch ihre männlichen Altersgenossen ist häufig. Die offnen Dörfer, welche
das Kontingent des Gangs stellen, werden Sodoms und Gomorrhas und liefern doppelt soviel uneheliche
Geburten als der Rest des Königreichs. Was in dieser Schule gezüchtete Mädchen als verheiratete Frauen
in der Moralität leisten, ward schon früher angedeutet. Ihre Kinder, soweit Opium ihnen nicht den Garaus
macht, sind geborne Rekruten des Gangs.
Der Gang in seiner eben beschriebenen klassischen Form heißt öffentlicher, gemeiner oder Wandergang
(public, common or tramping gang). Es gibt nämlich auch Privatgänge (private gangs). Sie sind zusam-
mengesetzt wie der Gemeingang, zählen aber weniger Köpfe und arbeiten, statt unter dem Gangmeister,
unter einem alten Bauernknecht, den der Pächter nicht besser zu verwenden weiß. Der Zigeunerhumor
verschwindet hier, aber nach allen Zeugenaussagen verschlechtern sich Zahlung und Behandlung der
Kinder.
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Das Gangsystem, das sich seit den letzten Jahren beständig ausdehnt , existiert offenbar nicht dem Gang-
meister zulieb.
Es existiert zur Bereiche- <725> rung der großen Pächter , resp. Grundherrn . Für den
Pächter gibts keine sinnreichere Methode, sein Arbeiterpersonal tief unter dem normalen Niveau zu halten
und dennoch für alles Extrawerk stets die Extrahand bereit zu haben, mit möglichst wenig Geld möglichst
viel Arbeit herauszuschlagen und den erwachsnen männlichen Arbeiter "überzählig" zu machen. Nach
der früheren Auseinandersetzung versteht man, wenn einerseits die größere oder geringere Beschäfti-
gungslosigkeit des Landmanns zugestanden, andrerseits zugleich das Gangsystem wegen Mangels an
männlicher Arbeit und ihrer Wanderung nach den Städten für "notwendig" erklärt wird. Das unkrautreine
Feld und das Menschenunkraut von Lincolnshire usw. sind Pol und Gegenpol der kapitalistischen Pro-
duktion.
f) Irland
<726> Zum Schluß dieses Abschnitts müssen wir noch einen Augenblick nach Irland wandern. Zunächst
die Tatsachen, worauf es hier ankommt.
Irlands Bevölkerung war 1841 auf 8.222.664 Personen angewachsen, 1851 auf 6.623.985 zusammenge-
schmolzen, 1861 auf 5.850.309, 1866 auf 5
1
/5 Million. ungefähr auf ihr Niveau von 1801. Die Abnahme
begann mit dem Hungerjahr 1846, so daß Irland in weniger als 20 Jahren mehr als
5
/16 seiner Volksmen-
ge verlor. Seine Gesamtemigration von Mai 1851 bis Juli 1865 zählte 1.591.487 Personen, die Emigration
während der letzten 5 Jahre 1861-1865 mehr als eine halbe Million. Die Zahl der bewohnten Häuser ver-
minderte sich von 1851-1861 um 52.990. Von 1851-1861 wuchs die Zahl der Pachthöfe von 15 – 30
Acres um 61.000, die der Pachthöfe über 30 Acres um 109.000, während die Gesamtzahl aller Pachten
um 120.000 abnahm, eine Abnahme, die also ausschließlich der Vernichtung von Pachten unter 15 Acres,
alias ihrer Zentralisation geschuldet ist.
<727> Die Abnahme der Volksmenge war natürlich im großen und ganzen von einer Abnahme der Pro-
duktenmasse begleitet. Für unsren Zweck genügt es, die 5 Jahre 1861 – 1865 zu betrachten, während de-
ren über
1
/2 Million emigrierte und die absolute Volkszahl um mehr als
1
/8 Million sank. (s. Tab. A.)
Tabelle A
Viehstand
Jahr
Pferde
Hornvieh
Gesamtzahl
Abnahme
Gesamtzahl
Abnahme
Zunahme
1860
619.811
3.606.374
1861
614.232
5.579
3.471.688
134.686
1862
602.894
11.338
3.254.890
216.798
1863
579.978
22.916
3.144.231
110.659
1864
562.158
17.820
3.262.294
118.063
1865
557.867
14.291
3.493.414
231.120
Jahr
Schafe
Schweine
Gesamtzahl
Abnahme
Zu-
nah-
me
Gesamtzahl
Abnahme
Zunahme
1860
3.542.080
1.271.072
1861
3.556.050
13.97
0
1.102.042
169.030
1862
3.456.132
99.918
1.154.324
52.282
1863
3.308.204
147.928
1.067.458
86.866
1864
3.366.941
53.73
1.058.480
8.978