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Leitfaden für die Physiotherapie bei
Morbus
Parkinson
Zusammenfassung aus der deutschen Fassung der „Europäischen Physiotherapie-
Leitlinie beim idiopathischen Parkinsonsyndrom
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für die Schweiz mit besonderem
Augenmerk für die
praktische Anwendung der QRC
Inhalt
1. Einleitung .................................................................................................................................. 1
2. Ziel und Vorgehen der Schweizer Arbeitsgruppe ..................................................................... 2
3. Beschreibung von MP mit dem bio-psychosozialen Modell (ICF) .......................................... 2
4. Physiotherapie für PMP: Schwerpunkte ................................................................................... 4
5. Anamnese (Quick Reference Card 1) ....................................................................................... 8
6. Befund Körperfunktions-, Aktivitäts- und Partizipationsebene (Quick Reference Card 2) ...... 9
7. Physiotherapeutische Behandlung bei PMP (QRC 3 und 4) ................................................... 12
8. Gesundheitsmanagement ........................................................................................................ 20
9. Schlusswort ............................................................................................................................. 20
10. Referenzliste ........................................................................................................................... 28
1. Einleitung
Morbus Parkinson gehört mit einer Prävalenz von 0,1 bis 0,3% in Europa
2
zu den häufigsten
neurodegenerativen Erkrankungen. Die Behandlung von Patienten mit Morbus Parkinson (PMP) ist für
Physiotherapeuten eine Herausforderung. Eine Vielzahl von Problemen, die im Krankheitsverlauf
auftreten, wie z.B. Gang- und Gleichgewichtsdefizite
3,4,5
, sprechen nur unzureichend auf Medikamente
an. Aus diesem Grund spielt die Physiotherapie neben anderen nicht-medikamentösen Therapien eine
wichtige Rolle in der erfolgreichen Behandlung von Patienten mit MP (PMP)
6
. Es gibt mittlerweile
Studien
7,8,9
,
welche zeigen, dass eine gezielte Therapie die parkinsonspezifischen
Symptome und deren
sekundären Folgen hinauszögern oder reduzieren können. Die Evidenz dazu ist jedoch nicht
abschliessend geklärt
10
und die Nachfrage nach evidenzbasierter Therapie dementsprechend gross.
Richtlinien und Reviews können dabei einen Lösungsansatz darstellen, weil sie den einzelnen
Therapeuten Anhaltspunkte bieten, seine Interventionen zu reflektieren und allenfalls notwendige
Optimierungen vorzunehmen. Eine Guideline wurde speziell für die Physiotherapie erstellt. Unter der
Leitung des niederländischen Berufsverbandes hat eine Forschergruppe 2004 die ersten Richtlinien für
physiotherapeutische Behandlungen bei Parkinsonpatienten publiziert
11
. 2015 wurden diese Richtlinien
auf Aufforderung der APPDE (Association of Physiotherapists in Parkinson’s disease Europe) in
europäischer Zusammenarbeit aktualisiert und bereits online zur Verfügung gestellt
12
. Das Ziel war,
basierend auf neuen Forschungsergebnissen, die physiotherapeutischen Behandlungen zu verbessern.
Deshalb wurden Empfehlungen für Anamnese, Befund, Behandlung und Assessments abgegeben, die
jeder Therapeut für spezifische und problemorientierte Behandlungen nutzen kann.
Die deutschsprachige Leitlinie der Leitlinien Entwicklungsgruppe (LEG)
kann kostenlos gedownloaded werden auf: http://www.parkinsonnet.de
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Als eine Art Zusammenfassung der Leitlinie wurden sogenannte „Quick Reference Cards (QRC)“
erstellt, worin von den Guideline-Entwicklern als wichtig erachtete Empfehlungen tabellarisch
dargestellt wurden. Es sind 4 QRC`s: Anamnese (QRC 1), Befund (QRC 2), Stadien-spezifische
Behandlungsziele (QRC 3) und evidenzbasierte Behandlungsmassnahmen (QRC 4). Die übersichtlich
gestalteten QRCs werden während der Behandlung als Checklisten zur Unterstützung des
Behandlungsprozesses eingesetzt.
2. Ziel und Vorgehen der Schweizer Arbeitsgruppe
Angeregt durch die niederländische Forschergruppe hat sich im Juni 2010 in der Schweiz eine
Interessengruppe gebildet (siehe Seite 21). Die Gruppe verfolgt das Ziel, gestützt auf die Erkenntnisse
der Leitlinie, die Behandlung von PMP in der Schweiz zu optimieren. Bei der Implementierung von
Leitlinien ist es wichtig, die Erkenntnisse möglichst einfach und kompakt zugänglich zu machen. Auf
der Basis eines Beispiels aus England
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wurden innerhalb der Gruppe im Rahmen eines
Konsensprozesses eine Zusammenfassung der Leitlinie gemacht.
Die Interessengruppe ist davon ausgegangen, dass viele Begriffe selbsterklärend sind und direkt
angewendet werden können. Falls dies nicht der Fall ist, kann jederzeit auf das Original in Englisch
12
oder Deutsch
1
zurückgegriffen werden. Für Informationen bezüglich des Levels der Evidenz beruft sich
die Gruppe, unter Vorbehalt der Aktualität der Publikation, ebenfalls auf das Original. Andere Punkte
wurden näher beschrieben oder weiter erklärt. So kann dieses Dokument als eine Art unterstützender
„Leitfaden oder Gebrauchsanleitung“ für die QRC eingesetzt werden. Die im nachfolgenden Text
angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die deutsche Übersetzung der EU Guideline
.
Wichtiger Hinweis
:
Die Empfehlungen der Guidelines und dieses Leitfadens basieren in erster Linie
auf Forschungsergebnissen und klinischen Erfahrungen mit PMP. Deshalb sind sie nicht direkt
übertragbar für die Behandlung von Personen mit atypischem Parkinsonsyndrom (PSP, MSA und
anderen).
3. Beschreibung von MP mit dem bio-psychosozialen Modell (ICF)
3.1 Diagnose S. 21
Ein Arzt (Hausarzt oder Neurologe) stellt die Diagnose hauptsächlich an Hand vom Auftreten von
Kardinalsymptomen wie reduziertes Tempo (Bradykinesie), reduzierte Amplitude beim Bewegen
(Hypokinese), Steifigkeit (Rigor), Ruhetremor oder posturale Instablität
14,15
. Ein symmetrischer Start
der Symptome, Stürze innerhalb des ersten Jahres und keine Wirksamkeit von parkinsonspezifischen
Medikamenten gehören zu den RED Flags und deuten eher auf einen atypischen Parkinson
16
. Da es in
der frühen Phase bei beiden Formen des Parkinson 10-20% Übereinstimmung der Symptome gibt,
kommt es in bis zu 35% der Fälle zu eine Fehldiagnose durch die Hausärzte
17
. Die Symptome von MP
und die Differenzierung zwischen MP und atypischem Parkinson ist schwierig und obwohl ein MRI die
Diagnose unterstützen kann, ist MP mit 100% Sicherheit nur post-mortem diagnostizierbar
18,19
. Darum
sollte die Diagnose vorzugsweise durch spezialisierte Neurologen
20,21
erfolgen.
Die Komplexität der Parkinsonkrankheit ist gross. Defizite können eine direkte Folge der Krankheit
sein, aber auch durch Parkinsonmedikamente oder Inaktivität ausgelöst und/oder verstärkt werden. Sie
werden in Beeinträchtigungen auf Funktions- Aktivitäts- und Partizipationsebene eingeteilt:
3.2 Beeinträchtigungen auf Funktionsebene S. 23
Die primären Defizite werden durch den Dopaminmangel in der Substantia Nigra verursacht. Im
Anfangsstadium (Hoehn &Yahr I-II, Tabelle 1) sind bis auf die posturale Instabilität alle drei anderen
motorischen Kardinalsymptome je nach Subtyp in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden: Akinese,
Rigor und Tremor.