7
PMP, die schon gestürzt sind, zeigen innerhalb der folgenden 3 Monaten eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit, erneut zu stürzen
95
. Dies ist möglicherweise durch eine erhöhte Sturzangst zu
erklären. PMP, die keine Sturzgeschichte haben, können Sturzangst entwickeln
57
. Die Sturzangst könnte
zu ADL Einschränkungen führen, die wiederum ein Risikofaktor ist für zukünftige Stürze
101–103
.
Mobilitätseinschränkungen, die assoziiert werden mit erhöhter Sturzangst, sind Aufstehen von einem
Stuhl, Schwierigkeiten beim Drehen, Startschwierigkeiten (Hesitation), Festination, Verlust des
Gleichgewichtes und „schlurfende“ Schritte
104
. Auch reduziertes Selbstvertrauen für das Gleichgewicht
könnte das Sturzrisiko erhöhen
105
. Die meisten Stürze bei PMP ereignen sich im Raum beim Drehen,
beim Aufstehen, beim Bücken nach vorne oder bei Dual tasking
96
.
4.5.3 Dual Tasks
Dual- und Multitasking können zu Stürzen beitragen, weil es zu einer Kombination von reduzierter
psychomotorischer Geschwindigkeit und Aufmerksamkeitsflexibilität kommt
106
. Dieses Problem
verstärkt sich, wenn die Dual Tasks aus einer motorischen und einer mentalen Aufgabe bestehen (z.B.
Reden während des Gehens). Wenn Gehaufgaben komplexer werden, opfern ältere Menschen die
Leistung der mentalen Aufgabe (z.B. eine Frage beantworten) dem Ziel, ihren Gang und ihre Balance
zu optimieren. Diese Strategie wird die „Haltung erst“-Strategie genannt. Dennoch zeigen PMP eine
erhöhte Fehlerquote, sowohl in der mentalen als auch der motorischen Aufgabe
107
. Die Erklärungen
dafür liegen in den Defiziten der Aufmerksamkeit
108
, einer reduzierten Aufmerksamkeitsflexibilität und
in einer Einschränkung in der Priorisierung der Aufgaben
107
. Dem zu Folge kann Multitasking bei PMP
zu FOG oder Gleichgewichtsverlust während des Gehens
70,109
führen. Selbst die Aufforderung, während
des Trainings dem Physiotherapeuten zuzuhören, ist ein Beispiel für Dual Tasking und kann zum
Freezing beim Gehen oder zu einem Gleichgewichtsverlust führen, wenn PMP mit exekutiver
Dysfunktion beim Gehen beide Aufgaben bewältigen möchten
70,109
.
4.6 Schmerzen S.40-41
Schmerz ist bei PMP ein ernst zu nehmendes, oft belastendes Symptom und wird häufig unterbewertet
oder inadäquat behandelt. Die Neurophysiologie von Schmerzwahrnehmung ist immer noch weitgehend
unklar. Dopamin scheint die Schmerzwahrnehmung zu modulieren, indem es die Schmerzschwelle
erhöht
110
. Dopamin spielt eine Rolle bei der Beurteilung von Schmerz und den damit verbundenen
emotionalen Erfahrungen, die von Individuum zu Individuum sehr stark variieren können
111
. Verringerte
Dopaminlevel können dazu führen, dass Schmerzsignale und Reaktionen auf wahrgenommene Gefahr
nicht mehr adäquat verarbeitet werden. Die Schmerzwahrnehmung kann entweder erhöht oder
verringert sein, unabhängig von kognitiven Beeinträchtigungen
112
. Schmerzen bei PMP sind mit Alter
(weniger Schmerzen in höherem Alter), Geschlecht (Frauen haben mehr Schmerzen), Krankheitsdauer
und -schwere, Schwere der Depressionen, systemischer Komorbidität wie Diabetes, Osteoporose und
rheumatoider Arthritis verbunden
32
.
Für klinische Zwecke kann der Schmerz basierend auf der klinischen Beschreibung in primäre und
sekundäre Schmerzen eingeteilt werden. Muskuloskeletaler Schmerz ist bei PMP am häufigsten. Die
medikamentöse Behandlung von Schmerzen kann sowohl mit parkinsonspezifischen als auch mit
allgemeinen Medikamenten erfolgen. Die Dystonie kann allenfalls auch mittels Botulinum Toxin
Injektionen gelindert werden
119
.
4.7 Respiratorische Schwierigkeiten S. 42
PMP erleben respiratorische Beeinträchtigungen auf Grund der Krankheitspathologie und
medikamentöser Nebenwirkungen
114–116
. Pneumonie ist die häufigste Todesursache bei PMP, meistens
in H&Y 5
41–43
. Mögliche Ursachen der respiratorischen Beeinträchtigungen beinhalten:
• Dysphagie
117
• Schwäche der Atemmuskulatur und eingeschränkter Hustenstoss
118
• Reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit, resultierend in verminderter Ausdauer, tiefem
Fitnessniveau und reduzierter
pulmonaler Funktion
119
Ein intakter Hustenmechanismus ist wichtig, um die Atemwege zu befreien
120,121
. Die Schwäche der
inspirations-, expirations- und bulbären Muskulatur kann zu einem reduzierten Hustenstoss führen
122
.
Ein reduzierter Hustenstoss führt zu einem ineffizienten Freimachen der Luftwege, was die Entwicklung
8
von respiratorischem Versagen und den Tod begünstigen kann. Therapeuten sind sich der Bedeutung
der Auswirkung von motorischen Beeinträchtigungen auf die Mobilität bewusst. Nebst der Behandlung
dieser sind aber gerade in späteren Stadien auch die respiratorischen Probleme von Bedeutung.
Daher sind rechtzeitige therapeutische Interventionen zur Verbesserung der Lebensqualität und zur
Sicherstellung des Überlebens dieser PMP notwendig.
5. Anamnese (Quick Reference Card 1)
Die QRC 1 und 2 beinhalten auch Empfehlungen von Assessments. Dabei ist zu beachten, dass nicht
alle in validierter Form in Deutsch zur Verfügung stehen. Für Gütekriterien bezüglich Assessments
verweisen wir auf Schädler et al.
123
QRC 1 hilft, die wichtigsten Auskünfte bezüglich der parkinsonspezifischen Symptome und deren
Einfluss im Alltag auf verschiedenen ICF-Ebenen einzuholen. Vor allem die Auswirkungen von
primären Parkinsondefiziten im Alltag und die Wirkungen/Nebenwirkungen von parkinsonspezifischen
Medikamenten werden erfragt.
Ein bekanntes primäres Parkinsonsymptom ist die akinetische Phase oder das sogenannte „Freezing of
Gait“. In der Anamnese sollte deswegen die Zeitspanne des Freezings und die möglichen Auslöser gut
hinterfragt werden. Patienten fühlen sich durch Bewegungsblockaden sehr oft stark eingeschränkt und
reduzieren ihre sozialen Aktivitäten. Als Folge vermindert sich die Lebensqualität und Isolation kann
sich einschleichen
4
, was mit dem „Parkinson’s Disease Questionnaire 39“ objektiviert werden kann.
Freezing hat ausserdem sehr oft auch Stürze und Verletzungen zur Folge,
da die normalen Reflexe und
die posturale Haltungsstabilität fehlen
124
. Hier darf eine Fallanamnese nicht fehlen. Der „Falls Efficacy
Scale-I“ als Selbstwirksamkeitsfragebogen kann dabei zusätzliche Informationen über vorhandene
Sturzangst geben.
Fragebögen
Sie können Zeit für die Anamnese sparen, indem PMP die Fragebögen bereits vor dem Erstkontakt
ausfüllen. So kann die Anamnese gezielter und spezifischer gestaltet werden. Zudem kann es als
objektiver Parameter dienen, um Veränderungen ersichtlich zu machen.
Freezing Of Gait Questionnaire (FOGQ)
Freezing ist ein Erstarren, charakterisiert durch die reduzierte Fähigkeit, das Gehen zu initiieren oder zu
erhalten
3
und wird mit einem erhöhten Fallrisiko in Bezug gebracht
4,90,125,126
. Während des Befundes ist
es schwierig, Freezing zu bewerten, weil es selten während der Befunderhebung auftritt.
Physiotherapeuten sind deshalb oft auf die subjektive Schilderung des Patienten angewiesen. Anhand
dieser Informationen kann man bestimmte Situationen im Befund überprüfen (z.B. Gehen und Drehen
unter Zeitdruck, Gehen und Drehen bei engen Raumverhältnissen
127
). Wenn Patienten kürzlich die
Erfahrung gemacht haben, dass ihre Füsse am Boden kleben blieben, bittet der Physiotherapeut den
Patienten, die 6 Fragen des „Freezing Of Gait Questionnaire“ zu beantworten
128
. Dieses Instrument
eignet sich, um das Freezing bei PMP zu identifizieren
123
. Der Fragebogen wurde durch Vogler et al
validiert
129
.
Falls Efficacy Scale-International (FES-I)
Vertrauen, das Gleichgewicht beibehalten zu können, scheint bei älteren Menschen ein Mediator
zwischen „Angst zu fallen“ und „funktionellen Fähigkeiten“ zu sein. Wenn Patienten im letzten Jahr
gefallen sind oder wenn es Situationen gab, in denen sie fast gefallen wären, ist es notwendig, die Angst
vor dem Fallen zu objektivieren. Die „Falls Efficacy Scale-I“ ist ein ausgedehnter
Selbstwirksamkeitsfragebogen, in dem die Patienten über ihre Angst zu fallen bei 16 verschiedenen
Aktivitäten befragt werden
123,130,131
. Das Testresultat, das sich aus der Summe der Punkte ergibt, liegt
zwischen 16 (keine Sturzangst) und 64 Punkten (maximale Sturzangst). Dieser Fragebogen wurde auf
Deutsch validiert
130
.
Parkinson‘s Disease Questionnaire-39 (PDQ-39)
Der Fragebogen „Parkinson‘s Disease Questionnaire-39“ erhebt in 39 Items die alltagsrelevante,
gesundheitsbezogene Lebensqualität und das Wohlbefinden von PMP
132
. Diese werden zu den