4.5. Bildungsaktivitäten und der Kontakt zur Außenwelt
Neben der medialen Verbindung zur Außenwelt besaß die persönliche Korrespon
denz einen großen Stellenwert. Der briefliche Austausch zwischen Kara und der Heimat
erfolgte wegen der gewaltigen Distanz nicht nur sehr verzögert; die Briefe wurden auch
zensuriert und auf eventuelle versteckte Botschaften hin chemisch behandelt. Unter den
damaligen Bestimmungen durften die Häftlinge die Post nicht individuell beantworten,
sondern hatten nur das Recht, auf einer Postkarte im Namen des Gefängniskom
mandanten eine gänzlich unpersönliche Empfangsbestätigung zurückzuschicken.
583
Die
se Regelung bedeutete allerdings bereits einen Fortschritt gegenüber den Verschär
fungen, die 1880 im Zuge der Separierung und Sonderbehandlung der „Politischen“ im
Kara-Tal angeordnet worden waren; damals war die Möglichkeit des zwar zensurierten,
aber vergleichsweise freien Briefwechsels mit der Heimat vollständig aufgehoben wor
den.
584
Später galten weniger restriktive Vorgaben. In Mal’cevskaja, wo ein vergleichs
weise schwaches Regime herrschte, durften die „Politischen“ zweimal im Monat einen
Brief schreiben, der jedoch der Zensur unterworfen war. Am Eintreffen neuer Briefe
nahm das gesamte Gefängnis Anteil.
585
So war es auch mit den Besuchen. Prinzipiell
war es Familienmitgliedern von Sträflingen möglich, über den Generalgouverneur die
Bewilligung für einen Besuch zu erwirken. Die beschwerliche Reise in die „andere
Welt“ der Katorga schreckte potentielle Besucher ab; immer wieder weilten aber Ange
hörige in der Nähe von Mal’cevskaja, beispielsweise Irina Kachovskajas Mutter. Die
Begegnungen fanden in Anwesenheit von Vertretern der Gefängnisadministration statt;
als Gesprächsthema war nur Familiäres gestattet.
586
Willkommene Botschafter aus der
zurückgelassenen Welt waren schließlich auch die Neuankömmlinge.
587
Auch jenseits dieser legalen Verbindungen zur Außenwelt pflegten die politischen
Häftlinge oft vielfältige Kontakte. Sie korrespondierten mit Insassen anderer Gefäng
nisse oder mit einstigen Mitgefangenen, die nun im „Freien Kommando“ (vorzeitige
Haftentlassung) oder in der Ansiedlung lebten.
588
Dafür waren sie auf Mittelspersonen
angewiesen. Im Falle des Austauschs zwischen Gornyj Zerentuj und Mal’cevskaja, der
dank der Nähe der Gefängnisse zueinander relativ eng sein konnte, wirkten Kriminelle
sowie der Arzt Dr. Rogalev, der ein vertrauliches Verhältnis zu den „Politischen“ pfleg
te und in beiden Gefängnissen tätig war, als Transporteure der illegalen Korrespon
denz.
589
Ähnlich verhielt es sich in den neunziger Jahren zwischen Akatuj, Algači und
dem an der Kara verbliebenen „Freien Kommando“.
590
Auf diesem Weg verbreiteten
583 D
EUTSCH
Sechzehn Jahre, S. 235, ebenso K
ON
Pod znamenem, S. 278f.
584 B
OGDANOVIČ
Posle pobega, S. 73f.
585 R
ADZILOVSKAJA
/O
RESTOVA
Katorga, S. 47.
586 R
ADZILOVSKAJA
/O
RESTOVA
Katorga, S. 46f., und K
ACHOVSKAJA
Iz vospominanij, S. 86.
587 K
ACHOVSKAJA
Iz vospominanij, S. 83. Vgl. auch
die Bemerkungen im Kap. 4.1 (S. 65).
588 Wie bereits erwähnt (Fußnote 547), wirkten Ansiedler zuweilen als Korrespondenten für die gefäng
nisinternen, handgeschriebenen Zeitungen, P
LESKOV
„Vol’nyj universitet“, S. 169.
589 Für die eine Seite (Mal’cevskaja) R
ADZILOVSKAJA
/O
RESTOVA
Katorga, S. 47, K
ACHOVSKAJA
Iz vospomi
nanij, S. 86, sowie für die andere Seite (Zerentuj) P
LESKOV
V gody, S. 149, und P
LESKOV
„Vol’nyj uni
versitet“, S. 172. Nicht unwichtig war auch die gute Beziehung, die Frejfel’d dank seinen medizini
schen Künsten zur Gattin des Gefängnisdirektors Archangel’skij in Akatuj (neunziger Jahre) unter
hielt, vgl. F
REJFEL
’
D
Iz prošlogo (okončanie), S. 99.
590 F
REJFEL
’
D
Iz prošlogo (okončanie), S. 98.
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