Von Hinterpommern nach irgendwo …



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mes an den langen Winterabenden, nach Neujahr 
ebenso das Absingen. Dabei ging die Sängerschar 
von Haus zu Haus.  
Das Osterwasser, das am Ostersonntag vor Son-
nenaufgang aus der Schottow geholt wurde, besaß 
angeblich eine geheimnisvolle Heilkraft. Wenn 
unterwegs auch nur ein Wort gesprochen wurde, 
ging diese Heilkraft verloren und es wurde zu 
„Schlabberwasser“. Zeitweise standen davon einige 
Flaschen in der Speisekammer, ohne dass ich wohl 
jemals gefragt, gesehen oder erfahren habe, ob oder 
wofür es genutzt wurde. 
    Beim Tanz am 1. Mai nahm Vater mich einmal 
auf den Arm und drehte mit mir auf dem Gutsspei-
cher einige Walzerrunden, vielleicht war er ja schon 
etwas angeheitert. Mutter und viele andere fanden 
jedenfalls viel Gefallen an unserem gemeinsamen 
Auftritt. Ich hatte danach am Imbissstand von Max 
Bartsch einen Wunsch frei und entschied mich für 
eine Dose Ölsardinen. Weil eine unserer Nachbarsfa-
milien sie offensichtlich regelmäßig aßen, hatte ein 
größeres Sortiment entleerter Dosen unterschied-
lichster Form und Beschriftung auf ihrem Müllplatz 
in mir schon lange eine Vorstellung von besonders 
wohlschmeckenden exotischen Delikatessen er-
weckt, die bei uns nie auf den Tisch kamen. Die 
Erinnerung an diesen 1. Mai ist aber auch deshalb so 
klar und deutlich, weil ich den Gutshof unter einem 
Tanz in 
den Mai 


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dicken Schneeteppich liegen sah, als stände Weih-
nachten unmittelbar bevor. Meine Schwester datiert 
diesen 1. Mai mit größter Gewissheit auf das Jahr 
1935. Beim Anblick von Ölsardinen kommt mir 
heute noch oft diese Maifeier in den Sinn, und ich 
kann Ölsardinen noch mit der gleichen Entdecker-
freude genießen wie damals, kaufe sie meistens auf 
Vorrat und esse sie wie damals am liebsten alleine, 
heute aber meistens mit Knäckebrot und Tomaten.  
Erinnerungen habe ich noch an den Aufbau einer 
Theke für ein Sportfest auf dem Fest- und Tanzplatz 
im Wustrow am Waldwege zum See. Max und Otto 
Bartsch waren mit dem Aufbau der Tische und dem 
Arrangement von Getränken, Rauch-, Süß- und 
Esswaren beschäftigt. Ein festliches Ereignis war 
auch das Pferdewaschen zu Pfingsten. Die Häuser 
waren mit Birkengrün und Kalmus üppig ge-
schmückt, wenn die Pferde zum Wasser der Schot-
tow geführt wurden. Auch Kinder durften auf ihnen 
schon einmal die Dorfstraße entlang reiten. Ich habe 
mich jedoch nie zum Reiten gedrängt.  
Gruselig wirkte der Neujahrsschimmel am Silves-
terabend: ein Pferdekopf auf einem mit einem wei-
ßen Laken bedeckten und von einem Reiter getrage-
nen Gestell; der Reiter mit Peitsche, der Schimmel 
mit mächtigem schwarzen Schwanz. Zum Schimmel 
gesellte sich ein Ziegenbock oder Storch, ein Bär mit 
Bärenführer, ein Brummachtelspieler und eine Frau 
Der  
Neujahrs-
schimmel 


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Die drei Linden auf dem Klapperberg mit dem Grab der 
Familie von Pirch um 1935
 


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mit großem Korb. Dieses Brummachtel bestand aus 
einem leeren kleinen (einem achtel) Heringsfass, 
über dessen Öffnungen eine getrocknete Schweins-
blase gespannt wurde. An ihr befand sich ein Bü-
schel schwarzes Rosshaar. Wurde daran gezogen, 
entstand der einem brummenden Bären ähnelnde 
Ton, zu dem der Bärenführer mit einem Stock auf 
den Boden stampfte und eine am Stock lose befestig-
te Konservendose zum Scheppern brachte. Die Frau 
sammelte nach dem Auftritt Geld, Obst, Spirituosen 
und Wurst ein. Was gegeben wurde, war anschlie-
ßend Gesprächsthema der mitlaufenden Dorfbewoh-
ner.  
Sommertags war in den späten Abendstunden das 
freistehende mächtige Wurzelwerk von den drei 
Linden auf dem Klapperberg in der Ortsmitte häufig 
Treffpunkt der älteren schulentlassenen Dorfjugend. 
Akkordeon, Ziehharmonika und Mandolinen beglei-
teten den Gesang der Volkslieder. Kinder, die nicht 
schon ins Bett mussten, saßen zu Füßen der Sänger 
und durften zuhören, zusehen und auch mitsingen.  
Zur Sommerzeit wurde an Wochenenden im 
Garten von Max Bartsch bei schönem Wetter mit 
dem Schifferklavier auch zum Tanz aufgespielt. Der 
Kaufmann Willi Radde hatte in den früheren Jahren 
selbst jeden Sonntagabend mit einer Quetschkom-
mode zum Tanz auf seinem Hof gespielt. Diese 
Musik war immer im ganzen Dorf zu hören.  
Musizie-
ren und 
Singen  
im Dorf 


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Meine Schwester spielte zu dieser Zeit leidlich 
Mandoline. Sie war es auch, die mir eines Tages im 
Wohn- und Schlafzimmer meiner Eltern das Koffer-
grammophon vorführte, das Mutter aus Berlin 
mitgebracht hatte. Die aus einem Schallhorn einset-
zende Musik versetzte mir einen derartigen Schreck, 
dass ich mit einem großen Satz aufs Chaiselongue 
sprang und meinen Kopf mit Kissen bedeckte. Ich 
mag damals fünf Jahre alt gewesen sein. Die Zither 
in unserer Nachbarfamilie Pallas konnte wohl nie-
mand richtig spielen, aber sie war ja immer schön 
anzusehen.  
Unterhaltung bot Kindern auch das Zusehen und 
Zuhören beim Kartenspielen in den Gartenlauben. 
Skat und Schafskopf wurden hier vom Frühjahr bis 
zum Herbst gespielt, sofern die Temperaturen es 
erlaubten. In sehr frühen Jahren spielten wir es dann 
selbst schon. Während der Kriegsjahre kam auch 
noch Siebzehnundvier dazu. Meine Vorliebe gilt bis 
heute dem Schafskopf, aber wo, außer in Bayern, 
wird noch Schafskopf gespielt?  
Wann mussten wir Kinder im Wohnschlafzimmer 
mit Großeltern und den älteren und jüngeren Ge-
schwistern überhaupt zu Bett? Frauen waren ja wohl 
immer mit Spinnen, Stricken, Strümpfestopfen und 
anderen Ausbesserungsarbeiten für die Kleidung 
der Familie beschäftigt, aber was trieben die Männer 
an den langen Winterabenden, wenn sie Haus und 
Musik  
im Hause  
Sommer 
und 
Winter 
im Tages-
lauf 


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