Von Hinterpommern nach irgendwo …



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Klein Nossiner Schulklasse mit Lehrer Blaurock um 1936
 


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Aufgabe des mit dem Lehrer befreundeten Bürger-
meisters – bearbeiten. Andere Tätigkeiten sind mir 
nicht mehr so deutlich in Erinnerung.  
Ziemlich regelmäßig wurde die Schule von Schul-
rat Hein aus Stolp visitiert. Er kam stets mit dem 
Fahrrad, war von großer Statur und hatte – in mei-
ner Erinnerung – eine tiefe Stimme. Von ihm erhielt 
ich Einladungen zu mindestens zwei Preisausschrei-
ben an pommerschen Schulen. In einem Falle han-
delte es sich um den Rosenanbau in Bulgarien und 
dessen Bedeutung für die kosmetische Produktion. 
Als Preis erhielt ich alle Lehrbücher mit dem Stoff 
der Mittelschule und den einbändigen Volksbrock-
haus, ein Lexikon. Die Themenstellung stand im 
Kontext der Kriegsereignisse, die inzwischen den 
Balkan erfasst hatten.  
Ohne Begleitung von Eltern oder Geschwistern 
unternahm ich im Juni/Juli 1943 meine erste Reise
die über Stolp hinausreichte. Sie führte in das ca. 120 
Kilometer entfernte Köslin zur Aufnahmeprüfung 
für die Lehrerbildungsanstalt, die etwa zwei Wo-
chen dauerte. Neben schulischen Fächern spielte die 
sportliche Leistungsprüfung eine herausragende 
Rolle. Der für mich und andere Landpomeranzen 
problematischste Teil bestand in einer Mutprüfung, 
bei der Nichtschwimmer im Schwimmbad des 
Kösliner Kasernengeländes vom Drei-Meter-Brett 
springen mussten. Ich hatte bisher weder ein Kaser-
Schul-
visitation 
Die erste 
eigene 
„Fern-
reise“ 


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nengelände, ein Schwimmbad noch ein Sprungbrett 
gesehen. Als ich da auf der Spitze des Sprungbrettes 
stand und mein Blick sich auf die scheinbar unendli-
che Tiefe und Weite des Hundert-Meter-
Schwimmbeckens richtete, schlotterten mir die Knie 
mächtig, aber ich sprang. Was ich dann unter Wasser 
sah, wie ich mit weit aufgerissenem Mund Wasser 
schluckte, weil ich vor Angst schreien wollte, ist mir 
bis heute noch so gegenwärtig wie der Urlaut, den 
ich beim Auftauchen unter dem Gelächter der am 
Beckenrand sitzenden und stehenden Kameraden 
und Lehrer ausstieß. Die anwesenden Rettungs-
schwimmer warteten aber erst pflichtgemäß meinen 
erneuten kurzen Untergang ab, bevor sie mich 
herauszogen. Mutprobe und Aufnahmeprüfung 
waren damit bestanden.  
 


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Einige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrie-
ges kam Militär in unser Dorf. Die Einquartierung 
war das große Ereignis. LKWs, Geschütze, Motorrä-
der und viele Soldaten waren plötzlich um uns. 
Höhepunkt war der Auftritt einer mit allerlei Zierrat 
und Instrumenten von nie gesehenen Formen und 
Größen ausstaffierten großen Militärkapelle am 
Klapperberg. In Klein Nossin waren wohl noch nie 
vorher so viele Instrumente gleichzeitig erklungen. 
Eines Abends war das ganze Dorf zum Manöverball 
im Garten von Max Bartsch versammelt.  
Die nur wenige Kilometer von unserem Dorf 
entfernte polnische Westgrenze habe ich nie gese-
Nationalsozialismus und Krieg 
Unbe-
kanntes 
Polen 
Herbst 
1939 


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hen. Von Land und Leuten Polens war mir nichts 
bekannt, lediglich der Begriff der „polnischen Wirt-
schaft“. Mutter verwandte diesen Ausdruck als 
Tadel für undiszipliniertes Verhalten oder fehlende 
Ordnung. Wahrscheinlich hat sie Polen ebenfalls 
nicht selbst kennengelernt. Mit dem Ausruf: „Da 
kann man ja katholisch werden!“, wollte sie wohl ihr 
noch bis zur Ratlosigkeit reichendes Entsetzten über 
unakzeptable Zustände unüberhörbaren Ausdruck 
verleihen. – In Klein Nossin waren seit Jahrhunder-
ten alle Einwohner evangelisch. Es hieß, dass es im 
benachbarten Wundichow gleich am Ortseingang 
aus Richtung Groß Nossin Familien katholischer 
Konfession gäbe. Wenn ich mit dem Fahrrad nach 
Wundichow fuhr, habe ich mir deshalb die Häuser 
und deren Bewohner immer besonders interessiert 
angesehen aber lediglich auffällige Besonderheiten 
im Baustil der Häuser entdeckt. Immerhin!  
Kurz vor dem Überfall auf Polen am 1. September 
1939 verschwand das Militär wieder aus dem Dorf. 
Ob am Morgen des 1. September Geschützdonner zu 
hören war oder wie wir sonst vom Beginn des Krie-
ges erfuhren, erinnere ich nicht. Wahrscheinlich 
habe ich im Alter von neun Jahren aber auch man-
gels Urteilsfähigkeit den Ablauf des Ereignisses 
außerhalb des Dorfes nicht bewerten können. 
 
In unserer Nachbarschaft existierte in diesen 
Jahren nur bei dem Bauern Hermann Kebschull ein 


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Radio. In seinem Vorgarten wurde 1936 der Box-
kampf Max Schmeling gegen Joe Louis übertragen, 
woran ich mich erinnern kann. Dafür stand das 
Radio – ein Volksempfänger – im offenen Fenster.  
Bald wurde auch mein Vater zum Militär eingezo-
gen. Im westpommerschen Woldenberg musste er 
als Angehöriger des Landsturmes Gefangene bewa-
chen, die in landwirtschaftlichen Betrieben arbeite-
ten. Anfang der vierziger Jahre wurde er entlassen 
und war danach nebenberuflich ziviler Wachmann 
für die auf dem Klein Nossiner Gut und bei einigen 
Bauern arbeitenden französischen Kriegsgefange-
nen. Sie waren in einem Gutshaus kaserniert, dessen 
zur Dorfstraße gelegener Vorgarten mit einem hohen 
Stacheldrahtzaun umgeben war, durch den ich in 
der Mittags- und Abendzeit und an Wochenenden 
Kontakt zu den Gefangenen suchte, um die selbster-
lernten französischen Vokabeln zu erproben. Von 
diesen Kontakten profitierten aber auch die Gefange-
nen, denn ich hatte jederzeit alle sie interessierenden 
Informationen zum Verlauf der Fronten und sonsti-
ger Kriegsereignisse parat. Kontaktgespräche dieser 
Art haben sich mir besonders mit dem Eugen einge-
prägt, dessen Familiennamen mir und allen anderen 
längst entschwunden ist. Kunstvoll geschnitzte 
Vögel, andere Figuren und aus Zehn-Pfennig-
Stücken geschmiedete Fingerringe tauschten sie 
gegen besondere Leckerbissen, die sie auf dem Herd 
Franzö-
sische 
Kriegsge-
fangene 


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