Von Hinterpommern nach irgendwo …



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Einen Tag vor meinem 15. Geburtstag – am 24. Mai 
1945 – trieb mich die quälende Ungewissheit über 
das Schicksal der Eltern, Großeltern und Geschwis-
ter trotz aller Schreckensmeldungen über das Wüten 
der Russen bei der Eroberung Pommerns auf den 
Weg zurück nach Klein Nossin. Zu groß war das 
Heimweh nach dem vor drei Monaten verlassenen 
Dorf, in dem doch zu dieser Jahreszeit der Flieder 
blühte, die Kühe auf den Weiden waren und die 
Herden am Morgen und Abend mit dem Glockenge-
bimmel durchs Dorf zogen und ihre duftenden 
Fladen auf das Kopfsteinpflaster klacksten. Das 
Gemüse wuchs, die Kartoffeln standen auch schon 
im Kraut, und es begann das barfüßige Leben. 
Am ersten Tage schaffte ich es bis Eckernförde (?) 
und schlief in der Nacht zusammen mit Soldaten 
und Flüchtlingen auf Stroh in einem Kuhstall. Ich 
kann mich nur noch erinnern, dass das Innere des 
Stalls aus frei stehendem Fachwerk bestand und das 
Gebäude im Besitz eines Pastors sein sollte. Hier 
büßte ich meine gesamte Marschverpflegung ein, 
unter anderem drei kleine Dauerwürste. Ich hatte sie 
für Notzeiten in einem kleinen hölzernen Schmuck-
kasten in meinem Rucksack verstaut.  
Bei Sonnenschein zog ich am Morgen meines 
Geburtstages weiter in Richtung Kiel und vorbei an 
vielen im Freien kampierenden Soldaten, die in 
einem Waldgelände in kleinen Gruppen zusammen-
Geburts-
tag und 
Festessen 
Die  
Nacht in  
Eckern-
förde 
Aufbruch 
von 
Schleswig 
nach 
Pommern 
am  
24. Mai 
1945 


124 
hockten und in ihren Stahlhelmen Brennnesselsuppe 
kochten. Es hieß, das Gebiet nördlich des Kaiser- 
Wilhelm-Kanals – heute der Nord-Ostsee-Kanal – sei 
Kriegsgefangenenlager. In einem kleinen Waldstück 
stieß ich auf ein einsames Gehöft, an dem sich ein 
Kartoffelacker befand. Das brachte mich auf die Idee, 
den Leuten meinen unnötig gewordenen neuen 
Wollmantel im Tausch gegen Lebensmittel anzubie-
ten. 
Wir einigten uns auf einen mit Kartoffeln gefüllten 
Aluminiumkochtopf. Außerdem erbat ich mir noch 
einige Zwiebeln und etwas Salz, und weil ich seit 
dem  Erwachen  an  meinem  Geburtstag  nichts  geges-
sen hatte, dauerte es nicht lange, bis die ersten 
Kartoffeln auf ein paar zusammengesuchten Steinen 
gargekocht und gegessen waren. 
Irgendwo konnte ich danach auf einen LKW stei-
gen, der zur Kieler Kanalbrücke fuhr. Der Fahrer 
informierte seine Fahrgäste, dass an der Kanalbrücke 
ein Deutsch sprechender englischer Zivilist – ein 
emigrierter Jude – unter der Aufsicht bewaffneter 
englischer Soldaten alle Passanten kontrolliere. Das 
geschah auch tatsächlich. In meinem Brotbeutel 
entdeckte er unter den drei Fotos, die sich darin 
während der ganzen Flucht – aus welchen unerklär-
lichen Gründen auch immer – befunden hatten, ein 
Hochzeitsfoto eines Cousins aus Klein Gansen mit 
einem Hakenkreuzfähnchen in einer Girlande. Er 
Am  
Kieler 
Kanal 


125 
schaute mich argwöhnisch an und schickte mich zur 
Militärpolizei auf der anderen Seite der Brücke. Weil 
ich fürchtete, auf Waffen untersucht zu werden, warf 
ich in der Mitte der Brücke schweren Herzens das 
Fallschirmjägermesser in den Kanal, das ich irgend-
wo aufgelesen und seitdem als formschönes Messer 
so gerne benutzt hatte. Wortlos wurde ich auf der 
anderen Seite der Brücke empfangen, in einen Jeep 
verfrachtet und zum Verhör in eine Militärdienst-
stelle in der Stadt gebracht. Immerhin hatte ich 
damit bereits die angeblich unüberwindbare Kanal-
brücke passiert. 
Zwei Offiziere empfingen mich in der gepflegten 
zivilen Atmosphäre einer Villa und fragten freund-
lich, wie alt und ob ich Angehöriger des Werwolfes 
sei und wohin ich wolle. Ich konnte mich leidlich in 
Englisch verständigen, sodass das Gespräch sich 
bald auf meine Heimat und meine Familie als mein 
Reiseziel erstreckte. Nachdem ich von ihnen wieder-
holt gefragt worden war, ob ich wüsste, dass 
Pommern doch von den Russen besetzt sei und ich 
diese Frage bejahte, bekundeten sie mir recht deut-
lich ihr Unverständnis. Sie verabschiedeten mich 
höflich und wünschten mir weiterhin eine gute 
Reise. Die Fairness der beiden Herren beeindruckte 
mich sehr. Möglicherweise haben sie diese Verneh-
mung als ihrer unwürdig empfunden, weil sie mir 
gelegentlich den Rücken zuwandten, sich vor einem 


126 
der beiden Fenster leise unterhielten und dann mit 
mir das Gespräch fortsetzten. 
Zu Fuß und per Anhalter kam ich am 25. Mai bei 
strahlendem Sonnenschein noch bis Bad Schwartau.  
Hier bat ich in einem Hause auf meinem Wege 
darum, mich waschen zu dürfen. Bei den vielen auf 
den Straßen umherirrenden Flüchtlingen, Ausge-
bombten und Soldaten war dies durchaus üblich. 
Kaum hatte ich mitgeteilt, dass ich nach Klein Nos-
sin im Kreis Stolp wolle, erfuhr ich, dass sich im 
Hause jemand aus dem nur sechs Kilometer entfern-
ten Budow befinde. So wurde ich eingeladen, im 
Hause zu übernachten. 
Der Budower war der schwer kriegsbeschädigte 
Gerhard Hingst. Er teilte sich mit mir das Zimmer. 
Er war wohl gut zehn oder elf Jahre älter als ich. 
Seine im Krieg zertrümmerte Schädeldecke war 
durch eine Silberplatte ersetzt worden.  
Am Morgen des 26. Mai brachen wir beide in der 
Hoffnung auf, irgendwie unsere Heimatorte zu 
erreichen. In der Nähe von Bad Kleinen gerieten wir 
an die damalige Grenzlinie der sowjetischen Zone. 
Hier, an einem provisorisch errichteten Schlagbaum 
hielt uns der Anblick sowjetischer Soldaten zunächst 
von der Weiterreise ab. Wir arbeiteten vorüberge-
hend auf einem Bauernhof in Rugensee in der Nähe 
von Bad Kleinen und wohnten in einem Arbeiter-
haus eines Gutshofes ganz in der Nähe der Grenzli-
Überra-
schung  
in Bad 
Schwartau 
Weiter 
gen Osten 


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