Von Hinterpommern nach irgendwo …



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Auf dem Weg von Köslin bis zur Insel Wollin 
haben wir kein einziges Kampfflugzeug am Himmel 
gesehen. Neben einigen schon erwähnten Wasser-
flugzeugen begegneten wir lediglich auf der Küsten-
straße zwischen Kolberg und Kamp einem Fieseler 
Storch, der in hüpfendem Flug über uns hinweg-
huschte. Natürlich klammerten wir uns sogleich an 
die Vorstellung, dass er zu einem Erkundungsflug 
unterwegs sei und wir vielleicht mit Entsatz bzw. 
militärischer Unterstützung für unseren Fluchtver-
such rechnen könnten. 
Wo und wie wir die Nacht auf der Insel Wollin 
zugebracht haben, weiß ich nicht mehr. Auf unserem 
Weg nach Heringsdorf auf der Insel Usedom, wo wir 
uns im Hotel Atlantik sammeln sollten, erstand ich 
am nächsten Morgen in einer Fleischerei am Weges-
rand gleich vielen anderen eine lange frische Wurst, 
die gerade aus dem Kessel gekommen war. Weil ich 
nur noch einen Brotbeutel für den Transport meiner 
letzten Habe besaß, hatte ich mir diese Wurst um 
den Hals gehängt. Da lief ich Vera, der Tochter 
meines ehemaligen Klein Nossiner Lehrers Otto 
Häcker, in die Arme. Sie war in der Nähe Köslins als 
Lehrerin tätig und befand sich mit den Dorfbewoh-
nern ebenfalls auf der Flucht. Nachdem wir uns 
begrüßt und über den Fluchtweg ausgetauscht 
hatten, trennten sich unsere Wege wieder. Später 
erfuhr ich, dass es Vera Häcker schon 1945 gelang, 
Wollin 
und 
Herings-
dorf 


116 
nach Wundichow und Klein Nossin zurückzukeh-
ren. Dort erwartete sie die schreckliche Nachricht, 
dass ihre Eltern an einem von ihrem Vater besonders 
geliebten Platz im Klein Nossiner Wald ihre noch 
nicht schulpflichtige kleine Tochter mit in den von 
ihnen durch Gift selbst gewählten Tod genommen 
hatten. 
Von der Wegstrecke der Begegnung mit Vera 
Häcker auf der Insel Wollin bis zum Sammelpunkt 
im Hotel Atlantik in Heringsdorf auf Usedom habe 
ich nicht mehr die blasseste Vorstellung. An den 
Namen des Hotels kann ich mich dagegen genau 
erinnern,  auch  an  die  Lage  unmittelbar  am  Strand. 
Vielleicht war das Hotel als Marschziel gewählt 
worden, weil es unser Schulführer oder einer der 
Erzieher persönlich kannte. Auf Nachfrage erfuhr 
ich am 10. Mai 1999 vom Bauamt der Gemeinde 
Heringsdorf, dass das Gebäude inzwischen wegen 
Baufälligkeit der Fundamente abgetragen worden 
sei. 
Im Hotel Atlantik endete der Fußmarsch unserer 
Flucht. Erinnerungen an die konkreten Umstände 
unseres Hotelaufenthaltes sind mir nicht verblieben. 
Wir fuhren nach Klärung organisatorischer Fragen 
durch unseren Schulführer mit der Bahn zu einer 
LBA in Pasewalk. Endstation unseres Fluchtweges 
war am 15. März aber erst in Celle, nachdem wir die 
Bahnfahrt mit einer Übernachtung in einem Bunker 
Von 
Herings-
dorf über 
Pasewalk 
nach 
Celle 


117 
im total zerstörten Hamburg unterbrochen hatten. 
Das Bild der Erinnerung an die Übernachtung prä-
gen schwarze Fassaden ausgebrannter Häuser, deren 
Fensterlöcher wie große Augenhöhlen von riesigen 
Totenschädeln wirkten. Brote mit süßlich schme-
ckender Blutwurst gaben Anlass zu makabren Be-
merkungen über deren Eigenschaften. 
In Celle kamen wir am 15. März an und wurden 
gleich im Schloss einquartiert. Mein Schlafraum 
befand sich im Dachgeschoss des Innenhofes, unser 
Aufenthaltsraum im mittleren Turm. Im Schlosspark 
blühten Stiefmütterchen, Krokusse und Forsythien. 
Hier im Westen schien alles paradiesisch friedlich, 
schön und anders zu sein als in dem jetzt von den 
Russen überrannten und von seinen Menschen 
verlassenen Hinterpommern. 
Kaum hatten wir uns im Schloss eingerichtet, gab 
es aber noch vor dem ersten Ausrücken in die gast-
gebende LBA Fliegeralarm, der uns stundenlang an 
den Bunker unter dem Schloss fesselte, weil die 
alliierten Bomber in mehreren Wellen einem Bom-
bardement Braunschweigs entgegenbrummten. Die 
Sonne schien. Vom Bunkereingang konnten wir 
deutlich die auf keine Gegenwehr mehr stoßenden 
Flugzeuge am Himmel sehen. Als wir nach der 
Entwarnung am späten Nachmittag mit Gesang in 
der sogenannten Glasschule, dem LBA-Gebäude im 
Bauhausstil in der Sägemühlenstraße, eintrafen und 
Flieger-
alarm und 
Rhabarber-
eintopf 
Im Celler 
Schloss 


118 
uns hungrig an die Tische setzten, verstand ich die 
Welt nicht mehr: Für uns stand ein Eintopf aus 
Kartoffeln und Rhabarber auf dem Tisch – aus der 
guten Küche einer Landarbeiterfamilie in Hinter-
pommern ins Celler Schloss mit diesem Eintopf! 
Meine Erinnerungen sind von unseren Marschge-
sängen in der Stadt geprägt, die Menschen aus 
geöffneten Fenstern mit Kopfschütteln bedachten, 
von Fliegeralarmen, von Bootsfahrten auf der Aller, 
vor denen wir uns mit Hilfe der auf der Flucht 
gefundenen Brotmarken immer mit Trüller-Keksen 
aus einem Laden an der Allerbrücke versorgten. 
Bald erlaubten die anhaltenden Angriffe englischer 
Tiefflieger diese Bootsfahrten aber nicht mehr. 
In bester Erinnerung sind mir zahlreiche Besuche 
im Celler Ratskeller, wo für ein paar aufgesammelte 
Brotmarken Bratkartoffeln und Rote Beete zu haben 
waren. Eintopf aus Kartoffeln und Rhabarber wurde 
nämlich noch häufiger in der Sägemühlenstraße 
serviert.  
Bleibende Eindrücke vermittelten mir das am 
Celler Schloss gelegene Bomann-Museum, dessen 
gelegentlicher Besucher ich seither geblieben bin. Als 
wir eines Tages dazu eingesetzt wurden, beim 
Empfang und Weitertransport von Flüchtlingen auf 
dem Bahnhof behilflich zu sein, traf ich auf Liesbeth 
und Irmgard Bartsch und Charlotte Damaske, drei 
junge Frauen aus Klein Nossin. Ihnen war die Flucht 
Ob noch 
Unterricht 
erteilt 
wurde?  
Bratkar-
toffeln 
und 
Bomann-
Museum 


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