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durch seinen ganzen Aufsichtsbezirk gezogen, ohne
eine weitere richtige Antwort zu erhalten.
Schulzeit und Krieg verbinden sich mir auch mit
mehreren Einsätzen zum Sammeln von Kartoffelkä-
fern, die angeblich von alliierten Flugzeugen abge-
worfen worden waren.
Katoffel-
käfer
sammeln
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Lehrstellen gab es im Dorf nicht. Während ich im
April 1944 als „Jungmann“ in die Lehrerbildungsan-
stalt (LBA) Köslin einzog, verblieben die vier Mäd-
chen und zwei von vier Jungen meines Schuljahr-
ganges im Dorf und in ihren Familien. Ein Mitschü-
ler trat zwar in einem etwas weiter entfernten Dorf
eine Tischlerlehre an, aber großes Heimweh trieb ihn
nach einiger Zeit dann doch täglich mit dem Fahrrad
zurück nach Klein Nossin.
Die LBA glich mehr einer ideologischen Zurich-
tung und vormilitärischen Ausbildung als einer
Bildungsstätte. Die jeweiligen Jahrgänge waren statt
in Klassen oder Jahrgänge in Züge eingeteilt. Militä-
Aus Familie und dörflicher
Gemeinschaft nach Köslin
LBA-
Drill
Keine
Lehrstel-
len weit
und breit
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rischer Drill bestimmte den Tagesablauf, in meiner
Erinnerung so: Morgens das Wecken mit der Triller-
pfeife und die Rufe „Alles aufstehen!“, „Raustreten
zum Frühsport!“ und eine halbe Stunde später
„Fertigmachen zum Stubenappell!“. Im Schlafraum
mit den zehn Doppelbetten baute sich jeder mit den
Händen an der Hosennaht, geschlossenen Hacken
und an das Brustbein gezogenem Kinn vor seinem
Bett auf, wenn der „Zugführer vom Dienst“ den
Schlafraum zur Inspektion betrat und der Stubenäl-
teste laut „Achtung!“ rief. Wenn nach dem ebenso
laut ausgerufenen „Rühren!“ beim Rundgang die auf
Kante gebauten Betten und die Uniformen der
Jungmannen für in Ordnung befunden wurden,
erschallte wiederum ein lautes „Achtung!“, wenn
der Zugführer den Schlafraum verließ.
Die Kommandos „Fertigmachen zum Morgenap-
pell!“ und „Raustreten zum Morgenappell!“ wurden
ebenfalls mit der Trillerpfeife angekündigt. Mit
militärischem Zeremoniell wurde dazu die Haken-
kreuzfahne gehisst. Der Direktor der LBA verkünde-
te als Bannführer der Hitlerjugend die Tagesbefehle.
In den Unterrichtsräumen lief nach dem Frühstück
das gleiche Zeremoniell ab wie in den Schlafräumen,
wenn die Lehrer, Erzieher genannt, mit Beginn und
Ende der Stunde den Unterrichtsraum betraten oder
verließen. Möglicherweise habe ich einige Komman-
dos vergessen und den organisatorischen Ablauf
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auch nicht mehr ganz genau schildern können.
Wurde während des Unterrichts zur Beantwortung
einer Frage aufgerufen, hieß es: raustreten aus der
Sitzreihe, Haltung annehmen, Hacken hörbar zu-
sammenschlagen, rühren – und dann antworten.
Danach musste wieder Haltung angenommnen
werden usw.
Der Geschichts- und Englischlehrer Dr. Vogel
belegte Befehle dieser Art mit einem besonders
schnarrenden Ton und eigenem stets besonders
zackig wirkendem Auftreten. Er war Reserveoffizier
und wohl in einer Kadettenanstalt getrimmt worden.
Unsere vielen Uniformen mussten im Schrank mit
der zugehörigen Ausrüstung stets in Ordnung
gehalten werden. Dafür sorgten Appelle, bei denen
wir uns vor unseren geöffneten Schränken aufbauen
mussten, am Abend auch vor dem Schlafengehen im
Schuhputzraum zur Besichtigung der geputzten
Schuhe.
Schulische Aufgaben wurden verrichtet, wenn
„Stille Zeit“ die Tagesordnung bestimmte. Zu den
Mahlzeiten nahm an allen Tischen ein Erzieher Platz,
über den auch die Tischgespräche liefen. Vor Beginn
des Essens sagten die Jungmannen umlaufend einen
Tischspruch auf. An folgende kann ich mich noch
erinnern: „Der Teller ist kein Untergrund für Pyra-
midenbauten! Drum hüte dich vor jeder Masse, nicht
immer zahlt die Krankenkasse! Haut rein!“ und „Es
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Die Lehrerbildungsanstalt (LBA) in Köslin um 1940
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trinkt der Mensch, es säuft das Pferd, doch manch-
mal ist es umgekehrt! Guten Appetit!“
Mängel der Pflege von Uniformen und Schuhen
wurden geahndet, manchmal durch „Kostümfeste“
vor dem Schlafengehen. Dazu mussten die unter-
schiedlichen Uniformen jeweils von der Belegschaft
eines Schlafraumes mit größter Geschwindigkeit im
Foyer vorgeführt werden. Wurden Ordnungsmängel
festgestellt, wurden wir manchmal zur Strafe in
unseren Nachthemden auch um das große Gebäude
der Lehrerbildungsanstalt gescheucht, mussten zum
Schluss die an dem Gebäude existente Treppe auf
allen Vieren hochkriechen und dabei singen „Horch,
was kommt von draußen rein, hollahi, hollaho! Wird
wohl mein Feinsliebchen sein, …!“
Die Nachmittage waren oft mit Übungen auf dem
unmittelbar anschließenden Sportplatzgelände ver-
bunden, auch mit allerlei Ausmärschen, bei denen
das ganze Liedgut der Soldaten abgesungen oder
nur stumm zu den Klängen des Musikzuges mar-
schiert wurde, in dem ich eine Marschtrommel
spielte. Mehr Freude bereitete mir aber das Blasen
einer Fanfare auf einem Hügel des Sportplatzgelän-
des.
Ausgehuniformen wiesen uns an silbern paspelier-
ten Ärmelstreifen als Angehörige der Lehrerbil-
dungsanstalt aus, an schwarzen Schulterklappen
außerdem auch durch die in Silber gefassten Buch-
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