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Im Herbst 1949 besuchte ich die Außenstelle des
Arbeitsamtes Lüchow-Dannenberg in Gartow und
bat um Vermittlung aus der Landwirtschaft in den
Bergbau nach Gelsenkirchen. So gelangte ich am 18.
November 1949 ins Wohnheim der Zeche Alma in
Gelsenkirchen-Rotthausen und fand hier eine Bleibe
in einem Zweibettzimmer, das ein türloses Durch-
gangszimmer zu einem Dreibettzimmer war. Diese
Barackensiedlung hatte zwangsverpflichteten
Fremdarbeitern bis zum Kriegsende als Unterkunft
gedient.
Die Arbeit begann unter Tage als Gedingeschlep-
per, der die von einem gelernten Hauer aus dem
Flöz gebrochene Kohle auf ein Transportband schau-
Als Bergmann und Industriearbeiter
Unter
Tage als
Gedinge-
schlepper
Vom
Höhbeck
nach
Gelsen-
kirchen
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feln musste. In den ersten Tagen meiner Bergmanns-
arbeit besaß die Kohle an meinem Arbeitsplatz eine
Mächtigkeit von bis zu gut zwei Metern, sodass man
im Stehen arbeiten konnte. Die Luft- und Tempera-
turverhältnisse waren gut, aber die Presslufthämmer
der Hauer und der entsetzliche Krach der metalle-
nen Schüttelrutsche setzten allen Neulingen schwer
zu. Der Flöz war in dieser Mächtigkeit vielleicht 50
Meter lang, fiel dann aber etwa 25 Meter auf weniger
als einen Meter steil ab, um danach in einer Mächtig-
keit von etwa 1,60 Meter wieder auf einer Länge von
etwa 50 Metern anzusteigen. Die Gedingeschlepper
mussten abwechselnd die steil herabstürzende Kohle
wieder auf das Gummiförderband des ansteigenden
Flözabschnittes ziehen. Eines Tages war ich dran, an
diesem Höllenplatz aus Donner und dickem Staub in
Hockstellung und mit einem Arschleder bekleidet zu
arbeiten. Nur ein kleiner Schein meiner Grubenlam-
pe leuchtete, sonst war kein Licht über oder unter
mir. In dem Krach war keine Stimme wahrzuneh-
men. Das ging in den ersten Tagen nicht ohne Angst-
schweiß ab.
Am Anfang hatten uns die Hauer mit dem Berg,
der Steindecke über der ausgebauten Kohle, vertraut
gemacht. So war beispielsweise besonders auf mögli-
chen Steinschlag zu achten, wenn sich kleine Stein-
krümel aus dem Hangenden lösten. Diese Lehre
sollte mir erst wesentlich später auf der Zeche Graf
Stein-
schlag
auf Graf
Bismarck
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Bismarck das Leben retten, als ich gerade in einem
mächtigen Streb die Essenspause – in der Berg-
mannssprache die Butterzeit – in der Nachtschicht
absaß. Kaum war ich nach herabfallenden Krümeln
auf einen benachbarten Platz gerutscht, löste sich aus
dem Hangenden ein etwa 100 Kilo schweres Stein-
stück, das rundherum von einer millimeterfeinen
Kohleschicht freigegeben wurde. Erschrocken rief
ich sofort die anderen Kumpel herbei, mit denen ich
die ausgebauten Kohlefelder durch das Zerschlagen
von Holzstempeln und das Rauben von Eisenstem-
peln zum Einsturz bringen musste. In der Berg-
mannssprache war das auch die Arbeit am „Toten
Mann“. Wir betrachteten den herabgefallenen Stein-
klumpen von allen Seiten und gingen mit besonde-
rer Vorsicht wieder an die Arbeit.
Auf der Zeche Alma erlebte ich auch, wie der
Kumpel Eugen aus Westpreußen zu Tode kam. Er
wurde von einem Holzstempel, der mit der Ketten-
rutsche transportiert wurde und sich am Ende hinter
einem sogenannten Mitnehmer befand, mit voller
Kraft an die Kohlenwand gedrückt. Auf der Zeche
Rheinelbe überraschte uns mal ein Feuer, das sich
angeblich an einem Holzstempel durch Reibung mit
der metallenen Schüttelrutsche entzündet haben
sollte. Wir liefen um unser Leben und waren glück-
lich, über Tage die Feuerwehr mit ihrem Atem-
schutzgerät einfahren zu sehen.
Berg-
manns–
tod
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Unauslöschlich sind mir bis heute die Erinnerun-
gen an die Arbeit in einem etwa 70 bis 80 Zentimeter
hohen Streb (Gang zu einer abzubauenden Kohle-
schicht). Bepackt mit dem Gezähe (Werkzeug ) einer
14 Pfund schweren Grubenlampe, einem doppelt so
schweren Mottek (Presslufthammer) und schwerem
Pin, oft auch noch mit langem Luftschlauch, mit Beil,
Fäustel und einer großen Kaffeeflasche mussten wir
bis zu 60 Meter weit auf Knieschonern kriechen, um
an den eingeteilten Arbeitsplatz zu gelangen. Dabei
konnte es passieren, dass der Kriechweg sich durch
gebrochenes Hangende und querstehende Stempel
so verengte, dass man von anderen Kumpels mit
einem Tritt auf den Hintern durch die Öffnung
gedrückt werden musste. Schweißgebadet begann
dann die Arbeit unter dem Geknatter der Abbau-
hämmer und in dem vom ständigen Wetterzug
aufgewirbelten und mitgeführten dichten Koh-
lenstaub. Auf welcher Zeche ich unter diesen Bedin-
gungen mein Geld verdiente, weiß ich aber nicht
mehr.
Zu einer Zeit, als ich selbst schon als Lehrhauer mit
dem Abbauhammer Kohle im Akkord hauen konnte,
fand ich im Geröll von Kohle und Stein in meinem
Arbeitsabschnitt – in der Bergmannssprache Kropp
genannt – große und mächtige Stücke einer verstei-
nerten Schlange neben zahlreichen Abdrücken von
Farn. Ich war sehr beeindruckt und bedauere es
Verstei-
nerte
Schlangen
und Farne
Zur
Kohle
kriechen
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