153
Dass ich verbotswidrig gehandelt hatte, wurde mir
erst nach diesem Besuch bewusst. Einige Nachbarn
hatten vor mir als Fallensteller Glück im Walde
gehabt, und von ihnen hatte ich mir schließlich die
Praxis abgesehen.
Im Frühjahr 1948 konnten wir etwas Gartenland
bewirtschaften. Aber ich organisierte noch auf ande-
re Weise Lebensmittel. Ich zertrümmerte in dem
zum ehemaligen Funkturm auf dem Höhbeck gehö-
renden Gebäude einen großen Transformator und
kam dadurch an große Mengen Kupferdraht auf
Rollen heran. Die tauschte ich in Kiefen und Klein
Gaddau gegen Lebensmittel. Die Entfernung dort-
hin, immerhin ca. 40 Kilometer, legte ich mit dem
Fahrrad zurück. Ich war gut beraten, den Draht nicht
den Bauern rund um den Höhbeck angeboten zu
haben, denn eines Tages kam es zu einem unange-
nehmen Verhör wegen des zertrümmerten Genera-
tors, obwohl dieser doch seine Brauchbarkeit schon
zum Zeitpunkt der Sprengung des Gebäudes völlig
eingebüßt hatte. Auch diese Sache ging glimpflich
für mich aus. Alle befragten Nachbarn sagten zu
meinen Gunsten aus.
Vom Höhbeck aus habe ich bis um die Zeit der
Währungsreform im Juni 1948 wöchentlich Fahrten
zum ca. 30 Kilometer entfernten Einwohnermelde-
amt nach Dannenberg unternommen, um für uns
eine größere Wohnung in einem zentraleren Ort des
Unsere
Wohnungs-
not
154
Kreisgebietes zu finden, weil sich der unmittelbar an
der Zonengrenze und gut einen Kilometer außerhalb
der Ortschaften Pevestorf und Brünkendorf gelegene
Höhbeck als recht ungünstiger Standort für eine
Verbesserung unserer Wohnsituation erwies. Es
existierten dort nur zwei Wohnhäuser. Von den
umliegenden Ortschaften war er wegen des steilen
Anstiegs der Straße streckenweise nur zu Fuß er-
reichbar. Das war besonders für Mutter strapaziös.
Mein Fahrrad war aus Einzelteilen von den in
dieser Zeit an Waldrändern nahe gelegener Dörfer
vielfach vorhandenen Schrottplätzen zusammenge-
setzt. Die Reifen wurden aus brauchbaren Stücken
alter Reifen so zusammengefügt, dass die Räder
nicht entgegen den Stückansätzen rollten. Sie liefer-
ten aber dennoch ein regelmäßiges Tack-Tack-
Geräusch. Bei diesem reparaturanfälligen Zustand
aller Teile – wie z. B. auch der Kette – habe ich
Dannenberg natürlich nicht immer erreicht. Ein
Erfolg war mir mit diesen Strampeleien leider auch
abschließend nicht beschieden. Wir konnten den
Höhbeck nicht verlassen.
Nicht selten bin ich an Sonntagen mit meinen
Brüdern oder alleine auf dem Höhbeck gewandert,
habe den weiten Ausblick auf das Flusstal der Elbe
und die Sicht über die Zonengrenze und weit dar-
über hinaus genossen, im Sommer oft im Gras gele-
gen und dem Gebrumm der Flugzeuge gelauscht,
Mitten
im Walde
155
die über den Höhbeck nach West-Berlin flogen, um
die sowjetische Blockade der Transportwege über
Land und Wasser zu überwinden. In solchen Situati-
onen überkamen mich oft lebhafte Erinnerungen an
die vielen Waldwanderungen mit der Klein Nossiner
Dorfjugend.
Im Sommer 1948 nahm ich eine Zeit lang Geigen-
unterricht in Gartow. Um Nachbarn in der Enge des
Hauses nicht zu belästigen, übte ich im Walde neben
unserem Wohnhaus. Meine Schwester hat noch
lebhafte Erinnerungen an meine musikalischen
Übungen, zu denen ich die Noten auf dafür geeigne-
te Zweige der Kiefern stellte. Ich erinnere mich
weder daran, noch an die produzierten Töne.
Hier auf dem Höhbeck erlebten wir 1948 mit der
Währungsreform die langsam einsetzende Normali-
sierung des Lebens in der Nachkriegszeit. Wir er-
freuten uns des Überlebens in der wieder vereinten
restlichen Familie, aber wir vermissten das vertraute
und vertrauensvolle Leben in der Klein Nossiner
Dorfgemeinschaft sehr. Jeden von uns schmerzte der
endgültige Verlust der Heimat und der nun in alle
Windrichtungen verstreuten Verwandten, Nachbarn
und anderen Dorfbewohner. Deren Adressen fehlten
meist und wer hatte in dieser Zeit schon ein Telefon.
Und wo waren die, denen 1945 die Flucht über die
Ostsee geglückt war, und wie konnte man zu den
Adressen der in die verschiedenen Besatzungszonen
Normali-
sierung
und
unsere
Einsam-
keit
156
gelangten anderen Dorfbewohner gelangen? Und
wer hatte nach der Währungsreform Geld zum
Telefonieren und Reisen?
In der Erinnerung an das Heimatdorf verfestigte
sich die ehemals weite Sicht vom nördlichen Ende
des Grundstückes an unserem Wohnhaus auf das
Tal der Schottow mit den Wiesen, das mit hohen
Birken, Kiefern und großem Wacholder bestandene
steile Nordufer und der großen Gänseweide an der
Brücke mehr und mehr zum Bild eines verloren
gehenden geheimen persönlichen Besitzes in einer
versinkenden Landschaft.
Von der nach der Währungsreform allgemein
einsetzenden besseren materiellen Versorgung
verspürten wir wenig. Vater wurde für tot erklärt,
Mutter trug schwer an ihren gesundheitlichen Lei-
den und erhielt nur eine karge Witwenrente. Meine
Schwester musste Mutter weiterhin zur Seite stehen;
ich verdiente 40 Mark monatlich. Bereits in den
Bergbau abgewanderte Bekannte kamen mit eige-
nem Motorrad zu Besuch, berichteten von ihren
Löhnen, Arbeitszeiten und den Chancen für besseres
Wohnen und Leben. So machte auch ich mich eines
Tages auf den Weg ins Ruhrgebiet und fuhr am 19.
November 1919 zur ersten Schicht unter Tage auf
der Zeche Alma in Gelesenkirchen ein. Und ich
nutzte von diesem oder dem nächsten Tage ab die
Bildungsangebote der Volkshochschule.
Nach
der Wäh-
rungs-
reform
Dostları ilə paylaş: |