Von Hinterpommern nach irgendwo …



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139 
Arbeit 
und 
Leben 
ten, verdingte er sich bei dem Bauern Willi Winter in 
Kiefen und nach einiger Zeit wohnten und arbeiteten 
wir gemeinsam bei Willi Winter. Unsere Schlafkam-
mer war eine Abstellkammer, in die gerade mal zwei 
Betten passten. Für unsere Kleidung waren ein paar 
Haken an der Wand vorgesehen. Sie genügten auch. 
Im Winter glitzerten die nur einen halben Stein 
dicken und von Eiskristallen bedeckten Wände. Ich 
kann mich nicht erinnern, unter den widrigen Um-
ständen gelitten oder gefroren zu haben. Wir waren 
froh, dass wir überlebt und uns wiedergefunden 
hatten. 
Bei fast allen Bauern lebten Soldaten und Flüchtlin-
ge unseres Alters, deren einzige Abwechslung neben 
der Arbeit von früh bis spät am Wochenende der 
Tanz in der Gaststätte Jordan in Waddeweitz war. In 
dem großen gut geheizten Saal kam inmitten der 
abenteuerlich gekleideten Gäste stets eine vergnügli-
che Stimmung auf. Mein Bruder machte mich damit 
vertraut. Ich erschien dazu in meiner NSKK-Bree-
cheshose, den SA-Stiefeln und einem längsgestreif-
ten Sakko. Als Hemd diente mir ein weißes Nacht-
hemd mit grünen Biesen am Kragen und an den 
Ärmeln. Es war ein Geschenk der Stralsunder Haus-
wirtin. Mein Bruder war mit seinen gefärbten alten 
Uniformstücken schon etwas eleganter. Verbreitet 
waren damals Sandalen aus alten Autoreifen, die 
mein Bruder auch für mich fertigte. 


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Hier im Wendland wurde eine dem pommerschen 
Plattdeutsch verwandte Mundart gesprochen. Mein 
Bruder und ich sprachen zu dieser Zeit auch nur in 
unserem Plattdeutsch miteinander. 
Appelsmalt, etwas Schweineschmalz mit braun 
gebratenen Zwiebeln und Apfelspälten, war ein sehr 
begehrter und als komfortabel angesehener Brotauf-
strich. Sonntags kam zum Kaffee oft Bröck auf den 
Tisch, getrockneter Zuckerkuchen, der in den Kaffee 
gestippt wurde. Weitere bewahrungswürdige Gau-
menfreuden dieser Bauernküche haben den Weg in 
mein Gedächtnis nicht gefunden. 
Mein 17. Geburtstag wurde in den Waddeweitzer 
Gaststätten Hahlbohm und Jordan während einer 
Tanzveranstaltung gefeiert. Dazu hatte ich 17 Fla-
schen selbst gebrannten Schnaps mitgebracht: Ka-
kaolikör aus Rübensirup und Sahne, Eierlikör, 
Pfefferminzlikör – alles hergestellt auf der Basis von 
nachts in der Schweineküche gebrautem Rüben-
schnaps nach frei erfundenen Rezepten. Jeder, der 
wollte, durfte mitfeiern und -trinken. Ich konnte an 
diesem Tag in weißer Hose, passendem Hemd und 
braunen Halbschuhen mit Reißverschluss erschei-
nen, einem Geschenk von Tante Emma und Onkel 
Hugo aus den USA. Sie waren 1923 und 1927 aus 
Klein Nossin über Bremerhaven dorthin ausgewan-
dert. In dem durch die Garderobe gesteigerten 
Selbstwertempfinden ließ sich der Tango „Wenn bei 
Der 17. 
Geburts-
tag 


141 
Capri die rote Sonne im Meer versinkt …“ wie ein 
Triumphmarsch tanzen. 
„Urlaub“ gab es nur alle paar Wochen für den 
knapp 20 Kilometer entfernten Frisör in Lüchow.  
Lukrativer als mit harter Arbeit ließ es sich vom 
Schwarzhandel mit landwirtschaftlichen Produkten 
leben. Beim Dreschen im Winter verschwand schon 
einmal ein Sack Weizen im Stroh und am Abend für 
500 Mark ins Nachbardorf. Eines Abends erdreistete 
ich mich sogar, auf der Diele ein Huhn zu fangen, es 
in meine Arbeitsjacke zu wickeln und lebend durch 
das Wohnzimmer zu tragen, in dem der Bauer und 
sein Vater saßen. Für das Huhn gab es 300, manch-
mal gar 350 Reichsmark. Bei einem Besuch zu Be-
ginn der sechziger Jahre habe ich dem Bauern Willi 
Winter davon erzählt. 
Viel Geld verdiente ich am Rande der Tanzveran-
staltungen in Waddeweitz beim Tauschhandel mit 
Feuersteinen und Eiern gegen amerikanische Ziga-
retten. Mit einigem Geschick ließ sich der 
Tauschwert für ein Ei über Feuersteine und Zigaret-
ten innerhalb kurzer Frist von 5 auf 18 Mark stei-
gern. 
Von der Bäuerin Else Schaate in Klein Gaddau 
konnte ich längere Zeit größere Mengen Eier für 2,50 
Mark das Stück kaufen und in Waddeweitz in jeder 
beliebigen Menge für 7,50 Reichsmark verkaufen. 
Einmal erwarb ich von ihr zehn Zentner Kartoffeln. 
Schwarz-
handel in 
Wadde-
weitz 


142 
Bruno Leddin 
* Berlin 17. Febr. 1898 
† 25. März 1951 
 
Seit 1918 Mitglied der SPD, bis 
1933 Gewerkschaftssekretär beim 
Deutschen Landarbeiterverband 
Stolp und Lauenburg, 1947 
Leiter des Sozialamtes Hanno-
ver, MdL, MdB, Mitglied des 
SPD-Bundesvorstandes
 
Rechts vor dem großen Funkturm das Haus auf dem  
Höhbeck, in dem wir am 23. Dezember 1947 eine Bleibe 
fanden
 
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143 
Sie erhielt für einen Zentner aus der Pflichtabliefe-
rung nur um 2,50 oder 3,50 Reichsmark. Ich zahlte 
ihr hingegen für den Zentner 15 Mark. Mit ihrem 
eigenen Einspänner fuhr ich sie dann nach Wadde-
weitz, wo ich von einem Händler 180 Mark für den 
Zentner erhielt. Er wohnte schräg gegenüber der 
Gaststätte Jordan in einem noch heute gut erhaltenen 
Haus und machte mit diesen Produkten sein Geld in 
Hamburg. Einmal kaufte ich von ihm eine Tafel 
Schokolade für 400 oder 500 Mark. 
 
Meine Arbeitskleidung bestand teilweise aus 
Hosen und Jacken von Feldhütern, also von entklei-
deten Vogelscheuchen. Lange trug ich einen Hut, 
dessen linke Krempe ich hochgeschlagen und mit 
einer Pfauenfeder dekoriert hatte. 
Ungefähr zur Zeit der ersten Landtagswahl in 
Niedersachen 1947 fand mein Bruder Otto eines 
Tages vor dem Ortseingang Kiefen im Straßengra-
ben einen Werbetext der SPD, der auch den Namen 
Bruno Leddin aus Hannover enthielt. Das war der 
Freund meines Vaters, der vor 1933 Geschäftsführer 
des Landarbeitervereins in Ostpommern, Vorsitzen-
der des Wahlvereins der SPD im Kreis Stolp und 
Mitglied des Pommerschen Provinzial Landtages 
war, bis die Nazis ihn 1933 seiner Ämter enthoben 
und er Pommern hatte verlassen müssen. Mein 
Bruder kannte ihn persönlich gut, ich ihn nur aus 
Die erste 
Landtags-
wahl in 
Nieder-
sachsen  
Arbeits-
kleidung 
im Wend-
land 


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