D
AS
K
APITAL
B
AND
1
Karl Marx, Friedrich Engels
392
Zunächst muß die Jahresproduktion alle die Gegenstände (Gebrauchswerte) liefern, aus denen die im Lauf
des Jahres verbrauchten sachlichen Bestandteile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser bleibt
das Netto- oder Mehrprodukt, worin der Mehrwert steckt. Und woraus besteht dies Mehrprodukt? Viel-
leicht in Dingen, bestimmt zur Befriedigung der Bedürfnisse und Gelüste der Kapitalistenklasse, die also
in ihren Konsumtionsfonds eingehn? Wäre das alles, so würde der Mehrwert verjubelt bis auf die Hefen,
und es fände bloß einfache Reproduktion statt.
Um zu akkumulieren, muß man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln. Aber, ohne Wunder
zu tun, kann man nur solche Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsprozeß verwendbar sind, d.h.
Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich erhalten kann, d.h. Lebensmittel.
Folglich muß ein Teil der jährlichen Mehrarbeit
{607} verwandt worden sein zur Herstellung zusätzlicher Produktions- und Lebensmittel, im überschuß
über das Quantum, das zum Ersatz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der
Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die
sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält.[21a]
Um nun diese Bestandteile tatsächlich als Kapital fungieren zu lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines
Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter extensiv oder intensiv
wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Dafür hat der Mechanismus der kapita-
listischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, indem er die Arbeiterklasse reproduziert als vom Arbeits-
lohn abhängige Klasse, deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu sichern, sondern
auch ihre Vermehrung. Diese, ihm durch die Arbeiter klasse auf verschiednen Altersstufen jährlich gelie-
ferten, zuschüssigen Arbeitskräfte braucht das Kapital nur noch den in der Jahresproduktion schon ent-
haltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Verwandlung des Mehrwerts in Kapital
ist fertig. Konkret betrachtet, löst sich die Akkumulation auf in Reproduktion des Kapitals auf progressi-
ver Stufenleiter. Der Kreislauf der einfachen Reproduktion verändert sich und verwandelt sich, nach Sis-
mondis Ausdruck, in eine Spirale.[21b]
Kehren wir jetzt zu unserm Beispiel zurück. Es ist die alte Geschichte: Abraham zeugte Isaak, Isaak
zeugte Jakob usw. Das ursprüngliche Kapital von 10000 Pfd.St. bringt einen Mehrwert von 2000 Pfd.St.,
der kapitalisiert wird. Das neue Kapital von 2000 Pfd.St. bringt einen Mehrwert von 400 Pfd.St.; dieser,
wiederum kapitalisiert, also in ein zweites zusätzliches Kapital verwandelt, bringt einen neuen Mehrwert
von 80 Pfd.St., usw.
Wir sehen hier ab von dem vom Kapitalisten verzehrten Teil des Mehrwerts. Ebensowenig interessiert es
uns für den Augenblick, ob die Zusatzkapitale zum ursprünglichen Kapital geschlagen oder von ihm zu
selbständiger Verwertung getrennt werden; ob derselbe Kapitalist sie ausnutzt,
[21a] Es wird hier abstrahiert vom Ausfuhrhandel, vermittelst dessen eine Nation Luxusartikel in
Produktions- oder Lebensmittel umsetzen kann und umgekehrt. Um den Gegenstand der Untersu-
chung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumständen aufzufassen, müssen wir hier die
gesamte Handelswelt als eine Nation ansehn und voraussetzen, daß die kapitalistische Produktion
sich überall festgesetzt und sich aller Industriezweige bemächtigt hat.
[21b] Sismondis Analyse der Akkumulation hat den großen Fehler, daß er sich zu sehr mit der
Phrase: "Umsetzung von Revenue in Kapital" begnügt, ohne die materiellen Bedingungen dieser
Operation zu ergründen.
{608}
der sie akkumuliert hat, oder ob er sie andern überträgt. Nur dürfen wir nicht vergessen, daß neben den
neugebildeten Kapitalen das ursprüngliche Kapital fortfährt sich zu reproduzieren und Mehrwert zu pro-
duzieren, und daß dasselbe gilt von jedem akkumulierten Kapital in Beziehung auf das von ihm erzeugte
Zusatzkapital.
D
AS
K
APITAL
B
AND
1
Karl Marx, Friedrich Engels
393
Das ursprüngliche Kapital bildete sich durch den Vorschuß von 10000 Pfd.St. Woher hat sie ihr Besitzer?
Durch seine eigne Arbeit und die seiner Vorfahren! antworten uns einstimmig die Wortführer der polit i-
schen Ökonomie[21c], und ihre Annahme scheint in der Tat die einzige, die zu den Gesetzen der Waren-
produktion stimmt.
Ganz anders verhält es sich mit dem Zusatzkapital von 2000 Pfd.St. Seinen Entstehungsprozeß kennen
wir ganz genau. Es ist kapitalisierter Mehrwert. Von Ursprung an enthält er nicht ein einziges Wertatom,
das nicht aus unbezahlter fremder Arbeit herstammt. Die Produktionsmittel, denen die zuschüssige Ar-
beitskraft einverleibt wird, wie die Lebensmittel, von denen diese sich erhält, sind nichts als integrierende
Bestandteile des Mehrprodukts, des der Arbeiterklasse jährlich durch die Kapitalistenklasse entrissenen
Tributs. Wenn diese mit einem Teil des Tributs von jener zusätzliche Arbeitskraft kauft, selbst zum vollen
Preise, so daß Äquivalent sich austauscht gegen Äquivalent – es bleibt immer das alte Verfahren des Er-
oberers, der den Besiegten Waren abkauft mit ihrem eignen, geraubten Geld.
Wenn das Zusatzkapital seinen eignen Produzenten beschäftigt, so muß dieser erstens fortfahren, das
ursprüngliche Kapital zu verwerten, und zudem den Ertrag seiner früheren Arbeit zurückkaufen mit mehr
Arbeit, als er gekostet hat. Als Transaktion zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse be-
trachtet, ändert es nichts an der Sache, wenn mit der unbezahlten Arbeit der bisher beschäftigten Arbeiter
zuschüssige Arbeiter beschäftigt werden. Der Kapitalist verwandelt vielleicht auch das Zusatzkapital in
eine Maschine, die den Produzenten des Zusatzkapitals aufs Pflaster wirft und durch ein paar Kinder er-
setzt. In allen Fällen hat die Arbeiterklasse durch ihre diesjährige Mehrarbeit das Kapital geschaffen, das
im nächsten Jahr zuschüssige Arbeit beschäftigen wird.[22] Das ist es, was man nennt: Kapital durch
Kapital erzeugen.
[21c] "Die ursprüngliche Arbeit, der sein Kapital seine Entstehung schuldete." (Sismondi, l.c., éd.
Paris, t.I, p.109.)
[22] "Die Arbeit schafft das Kapital, bevor das Kapital die Arbeit anwendet." ("Labour creates
capital, before capital employs labour.") (E. G. Wakefield, "England and America", London
1833, v.II, p.110.)
Die Voraussetzung der Akkumulation des ersten Zusatzkapitals von 2000 Pfd.St. war eine vom Kapitali-
sten vorgeschoßne, ihm kraft seiner "ursprünglichen Arbeit" gehörige Wertsumme von 10000Pfd.St. Die
Voraussetzung des zweiten Zusatzkapitals von 400 Pfd.St. dagegen ist nichts andres als die vorherge-
gangne Akkumulation des ersten, der 2000 Pfd.St., dessen kapitalisierter Mehrwert es ist. Eigentum an
vergangner unbezahlter Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung für gegenwärtige Aneignung
lebendiger unbezahlter Arbeit in stets wachsendem Umfang. Je mehr der Kapitalist akkumuliert hat, desto
mehr kann er akkumulieren.
Insofern der Mehrwert, woraus Zusatzkapital Nr.I besteht, das Resultat des Ankaufs der Arbeitskraft
durch einen Teil des Originalkapitals war, ein Kauf, der den Gesetzen des Warenaustausches entsprach,
und, juristisch betrachtet, nichts voraussetzt als freie Verfügung auf seiten des Arbeiters über seine eignen
Fähigkeiten,auf seiten des Geld- oder Warenbesitzers über ihm gehörige Werte; sofern Zusatzkapital Nr.II
usw. bloß Resultat von Zusatzkapital Nr.I, also Konsequenz jenes ersten Verhältnisses; sofern jede ein-
zelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des Warenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die Ar-
beitskraft kauft, der Arbeiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem wirklichen
Wert, schlägt offenbar das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung
oder Gesetz des Privateigentums durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein direktes Ge-
genteil um. Der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so
gedreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Ka-
pitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsproduktes ist und zweitens
von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß.
Das Verhältnis des Austausches zwischen Kapitalist und Arbeiter wird also nur ein dem Zirkulationspro-
zeß angehöriger Schein, bloße Form, die dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert. Der bestän-