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Kapitel 1. Betrachten der Verneinungsmittel von verschiedenen
Standpunkten aus
Die Negation vereinigt Wortformen, die ganz verschiedene morphologische
Bedeutungen und syntaktische Fügungspotenzen aufweisen.
Niemand gleicht morphologisch dem substantivischen Indefinitpronomen, wird
wie jemand an Stelle des Substantivs verwendet, substantivisch ist auch die Negation
nichts
. Kein gleicht in seinem Deklinationssystem dem unbestimmten Artikel
ein
und dem Possessivpronomen und ist vorwiegend attributiv. Nie, nirgends, niemals
gleichen den Pronominaladverbien und gehören zur Gruppe des Verbs;
nicht
erscheint als eine Partikel, die sich vorwiegend an das Verb anschließt, aber auch in
anderen Wortgruppen vorkommt: dieser nicht sehr kluge Mann; Eigenartig ist die
Funktion des modalen Satzäquivalents
nein
, das eine negative Parallele zu dem
positiven
ja
bildet.
Aber der ganz eigenartige Bedeutungsgehalt aller dieser Formen verbindet sie
doch, wie es auch beim Pronomen der Fall ist, zu einer geschlossenen grammatischen
Einheit. Es ist, wie das Pronomen, eine kommunikativ-grammatische Kategorie, aber
die Verbindung mit dem Kommunikationsprozess besteht hier darin, dass vermittels
der Negation die Einstellung des Sprechenden zum Inhalt seiner Rede (in betreff der
Realität dieses Inhalts) zum Ausdruck kommt. Die Negation ist also eine modale
Kategorie. Von den anderen Wortarten und Wortformen mit modaler Bedeutung
(verschiedene Formen des Verbs, Modalwörter und Partikeln) unterscheiden sich die
Negationen dadurch, dass sie (und nur sie) zwei sehr wichtige modale Satztypen
voneinander abgrenzen: die affirmativen (bejahenden) und die negativen
(verneinenden) Sätze. Dabei bilden sie im Deutschen, im Gegensatz zur russischen
Sprache, funktionell ein alternatives System, d. h. der Gebrauch in Beziehung auf den
gesamten Satzinhalt einer Negation schließt den Gebrauch anderer Negationen in
diesem Satz aus (mit Ausnahme des Gebrauchs im Inneren der nicht prädikativen
Wortgruppen), wenn die Nichtrealität dieses Inhalts ausgedrückt werden soll.
Dagegen nehmen die anderen lexikalen Modalmittel an diesem alternativen
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Modalsystem nicht teil und können sich miteinander und mit Negationen auf
verschiedene Weise kreuzen: Vielleicht komme ich dann rechtzeitig - Vielleicht
komme ich dann nicht rechtzeitig; Vielleicht würde ich dann rechtzeitig kommen —
Vielleicht würde ich dann nicht rechtzeitig kommen.
Das alles sondert die Negationen von anderen Wortarten ab. Die Negationen
werden hier eben ihrem Wesen nach als eine modale, kommunikativ-grammatische
Kategorie gedeutet.
Vom semantischen Standpunkt aus ist die Negation in zweifacher Hinsicht
zweideutig. Erstens: Indem sie negiert, nennt sie trotzdem das, was sie negiert, so
dass die verneinten Dinge, Sachverhalte usw. doch als Vorstellungen in der Rede
vorhanden sind und somit ein gewisses Scheinleben führen. Zweitens: Die
Verneinung der Existenz eines Sachverhalts, eines Dinges usw. kann stillschweigend
den Eindruck erwecken, als ob die semantisch entgegengesetzten Sachverhalte, Dinge
usw. bejaht werden. Z.B. «sie dürfen nicht weggehen...» ist gleichbedeutend mit dem
affirmativen Satz «Sie müssen dableiben».
Zu den Negationswörtern im Deutschen gehören: negative Pronomen (kein (-e,
-er, -es), keiner, keinerlei, niemand, nicht), Adverbien (nie, niemals, nimmer,
nimmermehr, nirgends, nirgendwo, nirgendwohin, nirgendwoher, keinesfalls,
keineswegs), die Partikel „nicht“, die Verneinung „nein“, einige Konjunktionen
(weder…noch, kein…noch, nicht-sondern, ohne…zu, (an)statt…zu, ohne daß,
(an)statt daß, als daß); als Verneinungswort tritt auch das Adverb „kaum“ auf.
Außerdem finden wir zahlreiche wortbildende Mittel im funktionalen Feld der
Verneinung.
Von ihnen sind die meisten (nicht, nichts, nie, niemals, nirgends, nirgendwo,
nirgendwohin,
nirgendwoher,
keinesfalls,
keineswegs,
nein,
weder-noch)
unflektierbar. Nur „niemand“ und „kein“ haben einen ausgeprägten Formenbestand.
«Kein» wird im Singular wie der unbestimmte Artikel «ein» und im Plural wie ein
Adjektiv flektiert:
Er hat keinen Freund. Er hat keine Freunde.
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Bei „niemand“ sind folgende Formen ausgebildet:
N.
niemand
A.
niemand(en)
D.
niemandem
G.
niemandes
Auf Grund ihrer verschiedenen Position im Satz müssen die Negationswörter
im Deutschen unterschiedlichen Wortklassen zugeordnet werden:
1) ...kommt
(keiner, niemand, nichts)
2) Er läuft ...
(nie, niemals, nirgends, nirgendwo, nicht,
nirgendwohin, keinesfalls, keineswegs)
3) Er liest … Buch.
(kein)
4) Kommt er? … , er kommt nicht
(nein, keineswegs, keinesfalls)
5) … ein Schüler war krank.
(nicht)
6) Er ist … im Institut ... zu Hause. (weder … noch)
Im Satzbeispiel 1) sind die Negationswörter substantivische Pronomina (sie
sind ersetzbar durch „der Freund“, “er“ u.a.). Im Beispiel 2) sind sie Adverbien (sie
sind ersetzbar durch «dort», «heute» u.a.). Im Beispiel 3) sind sie Artikel im weiteren
Sinne (sie sind ersetzbar durch «ein», «mein» u.a.), im Beispiel 4) sind sie
Satzäquivalente (sie sind ersetzbar durch «ja», «doch» u.a.). Im Beispiel 5) sind die
Negationswörter Partikeln (sie sind ersetzbar durch «auch», «nur» u.a.), im Beispiel
6) sind sie Konjunktionen (sie sind ersetzbar durch «sowohl - als auch», «entweder -
oder» u.a.).
Durch diese Beispiele wird deutlich, dass nicht nur die Negationswörter
insgesamt, sondern dass auch einzelne Negationswörter verschiedenen syntaktischen
Klassen angehören. Von einer eindeutigen Zuordnung zu einer bestimmten
Wortklasse kann man lediglich sprechen bei «nie», «niemals», «nirgends», «nirgend-
wo», «nirgendwohin», «nirgendwoher» (Adverb), bei «niemand» und «nichts»
(substantivisches Pronomen), bei «nein» (Satzäquivalent) und bei «weder - noch»
(Konjunktion). Die anderen Negationswörter können - je nach ihrem Kontext - in
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verschiedene Wortklassen eingehen: «Kein» kann als substantivisches Pronomen
(«substantivische» Verwendung in 1)) oder als Artikelwort («adjektivische»
Verwendung in 3)) auftreten, «keineswegs» und «keinesfalls» erscheinen als Adverb
(genauer: als Modalwort) 2) oder als Satzäquivalent 4), «nicht» ist entweder Adverb
2) oder Partikel.
Das gemeinsame semantische Kennzeichen aller Negationswörter besteht
darin, dass sie die verneinende Einstellung zum Inhalt einer Aussage ausdrücken. Es
kann jedoch durch die Negationswörter der gesamte Satzinhalt (Satznegation, totale
Negation) oder auch nur ein Teil des Satzes, ein Wort oder eine Wortgruppe verneint
werden (Sondernegation, partielle Negation):
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