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veräußerlichen Besitztums bildet, wie z. B. Vieh. Nomadenvölker entwickeln zuerst die Geldform, weil
all ihr Hab und Gut sich in beweglicher, daher unmittelbar veräußerlicher Form befindet, und weil ihre
Lebensweise sie beständig mit fremden Gemeinwesen in Kontakt bringt, daher zum
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Produktenaustausch sollizitiert. Die Menschen haben oft den Menschen selbst in der Gestalt des Sklaven
zum ursprünglichen Geldmaterial gemacht, aber niemals den Grund und Boden. Solche Idee konnte nur in
bereits ausgebildeter bürgerlicher Gesellschaft aufkommen. Sie datiert vom letzten Dritteil des 17. Jahr-
hunderts, und ihre Ausführung, auf nationalem Maßstab, wurde erst ein Jahrhundert später in der bürger-
lichen Revolution der Franzosen versucht.
In demselben Verhältnis, worin der Warenaustausch seine nur lokalen Bande sprengt, der Warenwert sich
daher zur Materiatur menschlicher Arbeit überhaupt ausweitet, geht die Geldform auf Waren über, die
von Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines allgemeinen Äquivalents taugen, auf die edlen Metalle.
Daß nun,"obgleich Gold und Silber nicht von Natur Geld, Geld von Natur Gold und Silber ist"[42], zeigt
die Kongruenz ihrer Natureigenschaften mit seinen Funktionen.[43] Bisher kennen wir aber nur die eine
Funktion des Geldes, als Erscheinungsform des Warenwerts zu dienen oder als das Material, worin die
Wertgrößen der Waren sich gesellschaftlich ausdrücken. Adäquate Erscheinungsform von Wert oder
Materiatur abstrakter und daher gleicher menschlicher Arbeit kann nur eine Materie sein, deren sämtliche
Exemplare dieselbe gleichförmige Qualität besitzen. Andrerseits, da der Unterschied der Wertgrößen rein
quantitativ ist, muß die Geldware rein quantitativer Unterschiede fähig, also nach Willkür teilbar und aus
ihren Teilen wieder zusammensetzbar sein. Gold und Silber besitzen aber diese Eigenschaften von Natur.
Der Gebrauchswert der Geldware verdoppelt sich. Noch ihrem besondren Gebrauchswert als Ware, wie
Gold z. B. zum Ausstopgen hohler Zähne, Rohmaterial von Luxusartikeln usw. dient, erhält sie einen
formalen Gebrauchswert, der aus ihren spezifischen gesellschaftlichen Funktionen entspringt.
Da alle andren Waren nur besondre Äquivalente des Geldes, das Geld ihr allgemeines Äquivalent, ver-
halten sie sich als besondre Waren zum Geld als der allgemeinen Ware.[44]
[42] Karl Marx, l. c. p. 135.[1*] "Die Metalle...sind von Natur Geld."(Galiani, "Della Moneta" in
Custodis Sammlung, Parte Moderna, t. III, p. 137.)
[43] Das Nähere darüber in meiner eben zitierten Schrift, Abschnitt: "Die edlen Metalle".
[44] "Das Geld ist die allgemeine Ware."(Verri, l. c. p. 16.)
[1*] Siehe Band 13 unserer Ausgabe, S.131
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Man hat gesehn, daß die Geldform nur der an einer Ware festhaftende Reflex der Beziehungen aller and-
ren Waren. Daß Geld Ware ist[45], ist also nur eine Entdeckung für den, der von seiner fertigen Gestalt
ausgeht, um sie hinterher zu analysieren. Der Austauschprozeß gibt der Ware, die er in Geld verwandelt,
nicht ihren Wert, sondern ihre spezifische Wertform. Die Verwechslung beider Bestimmungen verleitete
dazu, den Wert von Gold und Silber für imaginär zu halten.[46] Weil Geld in bestimmten Funktionen
durch bloße Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann, entsprang der andre Irrtum, es sei ein bloßes Zei-
chen. Andrerseits lag darin die Ahnung, daß die Geldform des Dings ihm selbst äußerlich und bloß Er-
scheinungsform dahinter versteckter menschlicher Verhältnisse. In diesem Sinn wäre jede Ware ein Zei-
chen, weil als Wert nur sachliche Hülle der auf sie verausgabten menschlichen Arbeit.[47] Indem man
aber die gesellschaftlichen Charak-
[45] "Silber und Gold an sich, die wir mit dem allgemeinen Namen Edelmetall bezeichnen kön-
nen, sind im...Werte...steigende und fallende...Waren...Dem Edelmetall kann man dann einen hö-
heren Wert zuerkennen, wenn ein geringeres Gewicht davon eine größere Menge des Produkts
oder Fabrikats des Landes etc. kauft."([S. Clement,]"A Discourse of the General Notions of Mo-
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ney, Trade, and Exchange, as they stand in relations to each other. By a Merchant", Lond. 1695,
p. 7.)"Silber und Gold, gemünzt oder ungemünzt, werden zwar als Maßstab für alle anderen Din-
ge gebraucht, sind aber nicht weniger eine Ware als Wein, Öl, Tabak, Tuch oder Stoffe."([J.
Child,]"A Discourse concerning Trade, ant that in particular of the East-Indies etc.", London
1689, p. 2.)"Vermögen und Reichtum des Könegreiches können genaugenommen nicht auf Geld
beschränkt, noch können Gold und Silber als Waren ausgeschlossen werden."(Th. Papillon,]"The
East India Trade a most Profitable Trade", London 1677, p. 4.)
[46] "Gold und Silber haben Wert als Metalle, bevor sie Geld sind."(Galiane, l. c. [p. 72.]) Locke
sagt:"Die allgemeine Übereinstimmung der Menschen legte dem Silber, wegen seiner Qualitäten,
die es zum Geld geeignet machten, einen imaginären Wert bei."[John Locke,"Some Considera-
tions etc.", 1691, in "Works", ed. 1777, v. II, p. 15.] Dagegen Law:"Wie könnten verschiedne
Nationen irgendeiner Sache einen imaginären Wert geben...oder wie hätte sich dieser imaginäre
Wert erhalten können?" Wie wenig selbst aber von der Sache verstand:"Das Silber tauschte sich
aus nach dem Gebrauchswert, den es hatte, also nach seinem wirklichen Wert; durch seine Be-
stimmung als Geld erhielt es einen zuschüssigen Wert(une valeur additionnelle)."(Jean
Law,"Considérations sur le numéraire et le commerce" in E. Daires Édit. der "Économistes
Financiers du XVIII. siécle", p. 469, 470.)
[47] "Das Geld ist ihr"(der Waren)"Zeichen."(V. de Forbonnais,"Éléments du Commerce", Nouv.
Édit. Leyde 1766, t. II, p. 143.)"Als Zeichen wird es von den Waren angezogen."(l. c. p.
155.)"Das Geld ist Zeichen für eine Sache und vertritt
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tere, welche Sachen, oder die sachlichen Charaktere, welche gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit
auf Grundlage einer bestimmten Produktionsweise erhalten, für bloße Zeichen, erklärt man sie zugleich
für willkürliches Reflexionsprodukt der Menschen. Es war dies beliebte Aufklärungsmanier des 18. Jahr-
hunderts, um den rätselhaften Gestalten menschlicher Verhältnisse, deren Entstehungsprozeß man noch
nicht entziffern konnte, wenigstens vorläufig den Schein der Fremdheit abzustreifen.
Es ward vorhin bemerkt, daß die Äquivalentform einer Ware die quantitative Bestimmung ihrer Wertgrö-
ße nicht einschließt. Weiß man, daß Gold Geld, daher mit allen andren Waren unmittelbar austauschbar
ist, so weiß man deswegen nicht, wiefiel z. B. 10 Pfund Gold wert sind. Wie jede Ware kann das Geld
seine eigne Wertgröße nur relativ in andren Waren ausdrücken. Sein eigner Wert ist bestimmt durch die
zu seiner Produktion erheischte Arbeitszeit und drückt sich in dem Quantum jeder andren Ware aus,
worin gleichviel Arbeitszeit geronnen ist.[48] Diese Festsetzung seiner
sie."(Montesquieu,"Esprit des Lous", Oeuvres, Lond. 1767, t. II, p. 3.)"Das Geld ist nicht bloßes
Zeichen, denn es ist selbst Reichtum; es vertritt nicht die Werte, es ist ihr Äquivalent."(Le Trosne,
l. c. p. 910.)"Betrachtet man den Begriff des Werts, so wird die Sache selbst nur als ein Zeichen
angesehn, und sie gilt nicht als sie selber, sondern als was sie wert ist."(Hegel, l. c. p. 100.) Lange
vor den Ökonomen brachten die Juristen die Vorstellung von Geld als bloßem Zeichen und dem
nur imaginären Wert der edlen Metalle in Schwung, im Sykophantendienst der königlichen Ge-
walt, deren Münzverfälschungsrecht sie das ganze Mittelalter hindurch auf die Traditionen des
römischen Kaiserreichs und die Geldbegriffe der Pandekten stützten."Niemand kann und darf
Zweifel hegen", sagt ihr gelehriger Schüler, Philipp von Valois, in einem Dekret von 1346,"daß
nur Uns und Unserer königlichen Majestät zukommt...das Münzgeschäft, die Herstellung, die Be-
schaffenheit, der Vorrat und alle die Münzen betreffenden Verordnungen, sie so und zu solchem
Preis in Umlauf zu setzen, wie es Uns gefällt und gutdünkt." Es war römisches Rechtsdogma, daß
der Kaiser den Geldwert dekretiert. Es war ausdrücklich verboten, das Geld als Ware zu behan-
deln. "Geld jedoch zu kaufen soll niemand gestattet sein, denn zum allgemeinen Gebrauch ge-
schaffen, darf es nicht Ware sein."Gute Auseinandersetzung hierüber von G. F. Pagnini,"Saggio
sopra il giusto pregio delle cose", 1751, bei Custodi, Parte Moderna, t. II. Namentlich im zweiten
Teil der Schrift polemisiert Pagnini gegen die Herren Juristen.